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Nur ein Jahr her und doch so weit weg. Jules Bianchi 2014 in Monte Carlo. Damals belegte der Franzose Rang neun. Seit Oktober liegt Bianchi nun schon im Koma. Foto: dpa/p-a

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Formel 1 in Monaco: Jules Bianchi: Warten auf das zweite Wunder

Formel-1-Pilot Jules Bianchi rettete sein Team vor dem Aus. Siebeneinhalb Monate nach seinem fürchterlichen Unfall kämpft der Franzose weiter um sein Leben.

Von Christian Hönicke

Für Fernando Alonso war die Sache klar. „Das ist ein Wunder“, sagte der zweimalige Formel-1-Weltmeister, „wenn man in einem Auto sitzt, das nicht konkurrenzfähig ist und dann Punkte holt.“ Der McLaren-Pilot sprach vom Rennen in Monaco vor einem Jahr, und von Jules Bianchi. Der Franzose war damals im hoffnungslos unterlegenen Marussia auf Rang neun gefahren und hatte so die beiden ersten und einzigen WM-Punkte des Rennstalls geholt. In diesem Jahr wird Bianchi nicht in Monte-Carlo an den Start gehen. Seit seinem fürchterlichen Unfall vor siebeneinhalb Monaten beim Rennen in Suzuka liegt er im Koma. Während die Kollegen wie jedes Jahr durch das Hafenbecken des Fürstentums rasen, kämpft er ein paar Kilometer weiter westlich im Krankenhaus von Nizza um sein Leben. „Ihn jetzt nicht hier zu sehen mit uns auf der Startaufstellung, das ist sehr traurig“, sagte Alonso. „Er ist jetzt in Nizza, eine halbe Stunde entfernt von uns hier, also kann er hoffentlich extra viel Energie spüren, die wir ihm senden.“

An den Grand Prix von Monaco vor einem Jahr erinnert sich auch Philippe Bianchi noch ganz genau. „Ich war einer der Ersten, der ihn in die Arme schließen konnte“, sagte Bianchis Vater dem Sender „Canal+“. Sein Sohn habe immer von WM-Punkten geträumt. „Als er aus dem Wagen stieg, war er so glücklich. Das ist eine Erinnerung, die mich auch in diesem Moment wieder aufwühlt.“

Bianchi hatte gute Chancen, bei Ferrari zu landen - dann kam der Unfall dazwischen

Jules Bianchis fahrerisches Talent war schon früh aufgefallen. Seit 2010 war er im Nachwuchsprogramm von Ferrari, ohne seinen Unfall hätte er wohl realistische Chancen gehabt, einmal der Teamkollege von Sebastian Vettel zu werden. Der Zwischenschritt über das Ferrari-Kundenteam Sauber war schon geplant, der Vertrag für 2015 unterschrieben. Dann kam jener verhängnisvolle 5. Oktober 2014, an dem er auf der regennassen Piste von Suzuka geradeaus rutschte und in einen tonnenschweren Bergungskran einschlug. Offiziell, weil er trotz Gelber Gefahrenflaggen sein Tempo nicht ausreichend drosselte.

Die Formel 1 führte danach als Konsequenz das so genannte „Virtuelle Safetycar“ ein, bei dem den Fahrern an Gefahrenstellen Richtzeiten vorgegeben werden, um sie einzubremsen. Viel mehr hat sich für die anderen Piloten seither nicht geändert. Die Show muss weiterrollen, wer nach Bianchi fragt, erhält meist nur Durchhalteparolen als Antwort. Der Tod, auch der mögliche, bleibt das Tabu der Rennfahrer, die ihre Angst davor aus Selbstschutz nicht zulassen dürfen. Die Loyalitätsbekundungen, meist unter dem Twitter-Hashtag „ForzaJules“, werden von Monat zu Monat weniger. Für Bianchis Familie allerdings ist seither jeder Tag eine „Folter“. So beschreibt es sein Vater, der wie die anderen nahen Angehörigen jeden Tag an dessen Bett verbringt, im unerträglichen Schattenreich zwischen Hoffnung und Angst. „Das Wichtigste für mich ist, dass Jules am Leben ist“, sagt Philippe Bianchi. „Aber so ein Unfall wiegt schwerer als der Tod. Das Leiden kennt kein Ende. Doch jeden Tag freuen wir uns auch, dass er noch unter uns ist.“

Die Mediziner räumten Bianchi von Anfang an kaum Chancen ein

Die Mediziner haben seinem Sohn von Anfang an kaum Überlebenschancen eingeräumt. Äußerlich quasi unverletzt, erlitt er bei dem Aufprall schwere Gehirnschäden. Zunächst verbesserte sich der Zustand von Jules Bianchi dennoch, er konnte früher als erwartet von Japan in die Heimat transportiert werden, allerdings waren die vergangenen Monate seinem Vater zufolge eine „Phase der Stagnation“. Der 25-Jährige atmet zwar selbstständig, alle Organe funktionieren, aber „die neurologische Entwicklung ist nicht so, wie sich das eine Familie wünschen würde“, sagt sein Vater. Auf Berührungen reagiert Bianchi, er greift die Hände seiner Angehörigen, wenn sie seine umfassen. „Aber ist das echt oder sind es Reflexe? Es ist kaum zu sagen. Wir würden uns so wünschen, dass er aufwacht.“

John Booth weiß, dass das nicht sehr wahrscheinlich ist. „Natürlich hoffen wir trotzdem alle auf ein Wunder“, sagte der Chef des Teams, das inzwischen Manor Marussia heißt. Für Booth ist die Rückkehr nach Monaco emotional doppelt belastend. Denn der Mann, der eine halbe Stunde entfernt mit dem Tod kämpft, hat seinem Team mit den beiden WM-Punkten das Überleben gesichert. Bianchis neunter Platz vor einem Jahr war dafür verantwortlich, dass sich der von der Pleite bedrohte Rennstall Rang neun in der Konstrukteurs-WM und eine Millionen-Prämie sicherte. „Ohne Jules' Resultat wären wir heute nicht hier, daran besteht kein Zweifel“, sagte Booth.

Ein Wunder hat Bianchi also bereits vollbracht. Nun hoffen alle, dass er es noch ein zweites Mal schafft.

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