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Massenunfall beim Start des Grand Prix von Belgien 2012.

© dpa

Formel-1-Legende Jackie Stewart im Interview: "Der Unfall von Jules Bianchi hat sie komplett geschockt"

Die Piloten können ihr Risiko nicht einschätzen, sagt der dreimalige Formel-1-Weltmeister Jackie Stewart im Interview zum Unfall von Jules Bianchi.

Von Christian Hönicke

Jackie Stewart, 76, wurde 1969, 1971 und 1973 Weltmeister in der Formel 1. Auch für seinen Kampf für mehr Sicherheit wurde der Schotte 2001 von der Queen zum Ritter geschlagen. Im Interview mit dem Tagesspiegel sprach er am 22. Juni 2015 - vor dem Tod von Jules Bianchi - über seine Erfahrungen mit dem Tod und die Unfähigkeit der heutigen Rennfahrer, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

Sir Jackie, ist die Formel 1 noch gefährlich?

21 Jahre lang haben wir jetzt keinen Todesfall mehr gehabt. Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass man mit Geschwindigkeiten über 300 km/h fährt und immer Fahrfehler oder Defekte möglich sind. Die Formel 1 ist das beste Beispiel für Risikomanagement, nicht nur im Sport. Aber auf der Rückseite jeder Eintrittskarte steht immer noch: Motorsport ist gefährlich. Also: ja.

Ende 2014 verunglückte Jules Bianchi in Japan schwer. Vor dem nächsten Rennen stellten sich die Fahrer in einem Kreis auf. Es schien, als sei den meisten erst da bewusst geworden, wie gefährlich ihr Beruf ist.

Das liegt an der Seltenheit, mit der sie mit dem Tod konfrontiert werden. Wir haben das niemals gemacht, wir standen nicht beim nächsten Rennen in einem Kreis und hielten eine Schweigeminute. Weil so lange kein Fahrer mehr gestorben ist, haben die heutigen Piloten keinen blassen Schimmer davon, was es bedeutet, sich mit dem Thema Tod auseinanderzusetzen. Der letzte Tote war Ayrton Senna 1994, den kannten die meisten gar nicht mehr.

Bianchi liegt weiter im Koma. Seinen Kollegen fällt es immer noch schwer, darüber zu sprechen. Nico Rosberg brach vor Kurzem ein Gespräch darüber mit den Worten ab: Bitte lassen Sie uns das Thema wechseln.

Der Unfall von Jules hat sie alle komplett geschockt, und sie haben ihn noch immer nicht richtig aus ihrem System bekommen. Fast keiner der aktuellen Fahrer wüsste mit einem Todesfall umzugehen. Es war das Gleiche bei den Indycars in den USA. Da hatte es länger keinen tödlichen Unfall mehr gegeben, bis Dan Wheldon 2011 starb. Das hatte einen schrecklichen Effekt auf die Fahrer, sie konnten ihre Gefühle nicht kontrollieren.

Man muss Trauer und Angst unterdrücken, wenn ein Kollege verunglückt ist?

Irgendwie musst du weitermachen. Bei dem fürchterlichen Feuerunfall von Piers Courage 1970 in Zandvoort fuhren wir durch Feuer und Rauch, Runde für Runde, denn das Rennen wurde nicht gestoppt. Manche Leute nannten es gefühllos, dass wir weiterfuhren, manche nannten uns Fahrer einfach dumm.

Und, was war es?

Ich kann die Antwort nur für mich geben: Es war eine Art Kopfmanagement. Ich dachte: Oh mein Gott, was für ein Unfall! Aber man musste weiterfahren, es gab ja keine Rote Flagge. Irgendwie schottest du deinen Verstand in diesen fürchterlichen Umständen von deinen Gefühlen ab. Bis das Rennen beendet ist.

Und danach?

Auch danach musst du deine Trauer irgendwie beiseiteschieben. Nach dem Rennen kam mein Teamchef Ken Tyrrell zu mir und sagte, dass Piers tot ist. Piers war ein guter Freund von mir und Jochen Rindt. Jochen gewann das Rennen, ich wurde Zweiter. Alles, was wir auf dem Podest tun konnten, war, unsere Köpfe zu senken und keinen Champagner zu versprühen. Es ist nicht leicht, aber als Rennfahrer musst du deine Gefühle kontrollieren, und zwar über den Kopf.

Und das geht?

Nur einmal ist mir das nicht gelungen: Als Jochen kurz darauf in Monza starb. Ich ging nach dem Unfall zu dem kleinen Ambulanzwagen, in dem er lag, und mir war sofort klar, dass er tot ist. Er hatte viele Bein- und Fußverletzungen, aber er blutete nicht. Das Herz pumpte kein Blut mehr. Er war ein sehr guter Freund, und ich wusste nicht, was ich in diesem Moment tun sollte.

Jackie Stewart.
Jackie Stewart.

© dpa

Sie stiegen wieder ins Auto.

Ja. Ken Tyrrell sagte: Jackie, du musst wieder auf die Strecke fahren, du musst dich qualifizieren. Ich glaube, Ken dachte, es wäre richtig, mich nicht trauernd in der Box herumstehen zu lassen. Als ich ins Auto stieg, begann ich zunächst zu weinen. Es war nicht das erste Mal, dass ich mit dem Tod konfrontiert wurde, aber das erste Mal, dass es einen wirklich guten Freund erwischte. Aber als ich wieder auf die Strecke fuhr… Nun, ich habe diese Weisheit über Rennfahrer: Wenn das Visier runtergeht, gehen die Lichter aus.

Rennfahren als Kummerbewältigung?

Wenn du ein Rennauto fährst, kommt nichts anderes in deinen Kopf. Du kannst nicht an dein Golfspiel denken oder deine Kinder oder den Film, den du gestern gesehen hast. Du denkst nur an Drehzahl, Bremspunkte, Gangwechsel, Scheitelpunkte, Lenkeinschlag. Ich fuhr dann die sauberste Runde, die ich je in Monza gefahren bin, und qualifizierte mich als Zweiter. Ich fuhr nicht wild, ich ging nicht über das Limit, und es war auch keine Todessehnsucht dabei, wie die Journalisten später behaupteten. Mein Verstand hat meine Trauer einfach überschrieben.

Man kann Gefühle doch nicht ewig unterdrücken.

Erst als ich wieder aus dem Auto stieg, brach ich in Tränen aus. Aus Wut schleuderte ich eine Colaflasche an die Boxenmauer. Ich werde das nie vergessen, weil ich es in meinem Leben weder davor noch danach getan habe. Ich war einfach so aufgebracht. Doch dann habe ich mich zusammengerissen und bin das Rennen am nächsten Tag gefahren. Und ich wurde Zweiter.

Das klingt irgendwie schizophren.

Wir Rennfahrer sind alle schizophren. Wir alle leben zwei verschiedene Leben. Eins im Cockpit, eins draußen. Ich kann es nur mit dem Kreis der Piloten vergleichen, die in der Luftwaffe oder der British Air Force flogen. Die waren auch so eine kleine, verschworene Gruppe wie wir Formel-1-Fahrer, in der es die gleiche Mentalität gab. Auch sie mussten mit dem Schmerz umgehen, ihre besten Freunde zu verlieren. Am nächsten Tag mussten sie wieder fliegen, mit dem gleichen Risiko. Und wir Rennfahrer mussten wieder in die Autos steigen, weil das Training am Freitag war und das Rennen am Sonntag.

Gute Rennfahrer müssen also auf eine Art emotionale Krüppel sein?

Ja. Die guten Rennfahrer, die sind alle so, ein bisschen wie Tiere. Wenn ich sehe, dass sich Fahrer im Auto ärgern, dann denke ich: Die brauchen einen Nachhilfekurs in Kopfmanagement. Als Lewis Hamilton wegen des Teamfehlers den Monaco-Grand-Prix verlor, war er sehr verärgert. Er wusste nicht, wie er seine Gefühle kontrollieren soll. Ansonsten hätte er die ganze Angelegenheit völlig anders geregelt. Die heutigen Fahrer haben einfach keine Erfahrungen mit extremen Verhältnissen.

Halten Sie Ihre Nachfolger für unreif?

Zumindest in dieser Hinsicht bin ich froh, dass sie unreif und ahnungslos sind. Ich wünsche keinem Fahrer die Erfahrungen, die ich gemacht habe. Hören Sie, ich habe mehr schreckliche Dinge gesehen, als die meisten Leute ertragen würden. Als mein Teamkollege Francois Cevert 1973 in Watkins Glen verunglückte, gingen wir alle zu seinem Auto, weil wir helfen wollten. Aber jeder von uns war so geschockt von den Verletzungen, die er hatte, wie er da so einen Meter vor uns lag. Jody Scheckter war damals der erste an seinem Auto. Ich habe ihn kürzlich im Fernsehen gesehen, da sprach Jody noch einmal darüber. Und dann ist er mehr als 40 Jahre nach dem Unfall plötzlich in Tränen ausgebrochen. Weil er das niemals vergessen wird, und auch ich werde es niemals vergessen.

Sie sehen diese schrecklichen Bilder immer noch vor sich?

Wissen Sie (seufzt), wenn ich heute mit meiner Frau Helen einen Film über Francois sehe, dann weinen wir auch. Und wie lange ist das jetzt her? 42 Jahre. Helen und ich haben nachgerechnet, wir haben 59 Freunde durch das Rennfahren verloren. 1968 bin ich in vier Monaten auf vier Begräbnissen gewesen: Jim Clark, Mike Spence, Ludovico Scarfiotti und Jo Schlesser. Diese schockierenden Erfahrungen haben viele Leute zum Teil stark verändert. Für manche der Fahrer war es einfach zu viel. Johnny Servoz-Gavin, ein guter französischer Fahrer und eine Zeitlang mein Teamkollege, war sehr angespannt deswegen, so nervös und erschüttert. Er ging zum Yoga, um davor zu flüchten, doch am Ende musste er mit dem Rennfahren aufhören. Und das war eine gute Entscheidung.

"Die Piloten haben kein Gespür mehr für die Gefahr."

Wie haben die Erfahrungen Sie verändert?

In meinem Fall hat es mich angetrieben, den Sport sicherer zu machen. Der Auslöser war mein eigener Unfall in Spa 1966, als ich 30 Minuten lang im Auto gefangen war, übergossen mit Benzin. Es gab keine Streckenposten, keine medizinische Hilfe. Graham Hill und Bob Bondurant, die ebenfalls im Regen hinausgerutscht waren, schraubten mit geborgten Schraubenschlüsseln mein Lenkrad ab und halfen mir aus dem Auto. Ich musste eine weitere halbe Stunde auf den Krankenwagen warten, auf dem Weg ins Krankenhaus nach Lüttich verfuhr sich der Fahrer. All das hat sich geändert. Mika Häkkinen ist bei seinem Unfall in Australien 1995 zweimal gestorben. Aber er wurde zweimal wiederbelebt, weil die Streckenärzte das richtige Equipment hatten. Natürlich ist der Sport immer noch gefährlich. Aber wir haben jetzt genug Streckenposten, Ärzte, Feuerwehrleute, um das Risiko zu minimieren.

Ihr Kampf für die Sicherheit hat dazu beigetragen, dass den Piloten heute solche Erfahrungen weitestgehend erspart bleiben.

Die meisten Piloten leben ein Leben, das unglaublich ist. Sie wohnen in Monte Carlo, haben Privatflugzeuge, kriegen enorme Gehälter und werden behütet und abgeschirmt. Sie teilen nicht sehr viel untereinander.

Weil die offensichtliche Gefahr fehlt, die sie zusammenschweißt?

Sie kennen keine Schattenseiten mehr, wie wir sie kannten. Nicht die Erfahrung, einen aus ihrer Mitte zu verlieren, und dann auf ein Begräbnis zu gehen und eine Mutter, einen Vater, eine Schwester, eine Frau oder die Kinder zu trösten. Sie wissen nicht, was Trauer ist. Höchstens, wenn jemand aus ihrer Familie an Altersschwäche stirbt. Das heißt natürlich nicht, dass es keine Todesfälle auf der Strecke mehr geben wird. Es kann jederzeit passieren. Sie haben jedoch kein Gespür mehr für diese Gefahr.

Woran machen Sie das fest?

Zum Beispiel daran, dass sie keine feuerfeste Unterwäsche mehr tragen. Sie tragen nur ihre feuerfesten Overalls. Trotz aller Sicherheitsmaßnahmen, trotz der modernen Tanks, ist ein Feuer nicht ausgeschlossen. Erst in dem Moment, in dem es wieder ein großes Feuer gibt, werden sie umdenken. Aber dann ist es zu spät.

Die Sorglosigkeit gerade wegen der hohen Sicherheitsstandards ist die größte Gefahr für die Formel-1-Fahrer?

Ja. Es will ja niemand sagen, und ich möchte auch nicht, dass man das in den falschen Hals kriegt, aber: Der Unfall war zum Großteil Bianchis eigene Schuld. Es wurden doppelt Gelbe Flaggen geschwenkt, das heißt: Bereitmachen zum Anhalten. Er wollte einen Vorteil aus der Situation ziehen, indem er nicht verlangsamte. Die Fahrer fühlen sich zu sicher. Ein Beispiel: In meiner Zeit hatten wir nicht annähernd so viele Interviews in der Startaufstellung. Da rennen unglaublich viele Journalisten herum und versuchen Statements von den Fahrern zu kriegen. Wir waren so kurz vor dem Rennen in einem völlig anderen mentalen Modus als die aktuellen Fahrer. Natürlich sind sie auch heute ein wenig nervös vor dem Start, vor der ersten Kurve. Aber ihre größte Angst ist nicht, dass sie sterben könnten. Sondern die, dass sie aus dem Rennen fliegen oder ihr Cockpit verlieren.

Darf man als Pilot den Gedanken zulassen, dass man im Rennen sterben könnte?

Die Angst muss man wegschieben. Aber man muss sein Risiko kennen. Jedes Mal, wenn ich mein Haus verlassen habe und zum Nürburgring fuhr, schaute ich in den Rückspiegel, weil ich nicht wusste, ob ich zurückkommen würde. Die Strafe für einen Fahrfehler auf der Nordschleife konnte der Tod sein, schon wenn man auch nur einen Meter neben der Linie fuhr. Ein moderner Grand-Prix-Pilot hat dafür keine Wahrnehmung mehr.

Auch weil die neuen Kurse Fahrfehler selten mit Schmerzen bestrafen?

Wenn sie in Abu Dhabi oder auf irgendeinem anderen der neuen Kurse fahren, dann können sie zwanzig Meter neben der Strecke fahren, ohne gegen etwas zu fahren, und manchmal verlieren sie dabei nicht einmal Zeit. Michael Schumacher ist bei jedem Grand Prix von der Strecke abgekommen, er fuhr sein Auto stets über dem Limit. Er wusste, dass er das Gelände neben der Strecke mitbenutzen konnte. Aber er tat es nur in Kurven, die genügend große Auslaufzonen an der Außenseite hatten, so dass es bei einem Unfall kein Desaster geben würde. So etwas hättest du in unserer Zeit niemals getan, niemals tun können.

Warum nicht?

Neben der Strecke war meist Gras, mit vielen Unebenheiten und Löchern, so dass du einen Überschläge haben, aus dem Auto geschleudert und getötet werden konntest, wie es vielen passiert ist. Es gab auch Grashügel, aber die gaben nicht nach, sie waren keine deformierbare Struktur. Sie schützten nur die Zuschauer. Es ist gut, dass wir bei einem Fahrfehler keine Leben mehr verlieren. Aber die Fahrer heute nehmen sich da sehr große Freiheiten heraus.

Die Piloten fahren generell zu riskant?

Ja. Der Unfall, den Max Verstappen in Monaco hatte, der hätte tödlich sein können. Das war ein fürchterlicher Hochgeschwindigkeitsunfall. Gerettet haben ihn die deformierbaren Leitplanken, die die Bestrebungen für sichereren Motorsport hervorgebracht haben. Und Ende Mai gab es in Monza einen schweren Unfall in der Formel 3, das Auto von Lance Stroll ging in die Luft und schlug in die Leitplanke ein. Ein fürchterlicher Unfall. Er stieg einfach aus und ging zurück an die Box. Sein Vater Lawrence zeigte mir das Video beim Formel-1-Rennen in Montreal, und ich war geschockt. Ich fragte: Mein Gott, wie geht es ihm? Er sagte: Ihm geht’s gut, kein Problem. Aber der Vater war doch ziemlich mitgenommen von der Erkenntnis, was seinem Sohn passieren kann.

Müssten die Fahrer Ihrer Meinung nach mehr für ihre Sicherheit tun?

Natürlich, aber ihr Wort hat kein Gewicht mehr. Wir haben damals Strecken boykottiert und aus dem Kalender geworfen. Viele Leute in der Formel-1-Administration fürchten sich davor, dass die Fahrer wieder so mächtig werden. Deswegen hat man die Macht der Fahrergewerkschaft GPDA beschnitten. Bernie Ecclestone und Jean Todt hören das nicht gern, aber die Fahrer sollten viel mehr Einfluss haben, vor allem, was die Sicherheit angeht.

Nicht nur Weltmeister Lewis Hamilton hält offenbar wenig von der GPDA.

Einige Fahrer glauben, dass man sich um die Sicherheit nicht kümmern muss, sie sind da nicht besonders sensibel. Vielleicht auch, weil viele noch so jung sind, die meisten sind nicht einmal verheiratet. Eine Freundin ist eine Sache, aber eine Frau und eigene Kinder sind eine andere. Du musst Verantwortung übernehmen. Wenn es etwas gibt, das man verändern kann, um die Risiken zu minimieren, dann musst du das einfordern.

Vielleicht sollten Sie wieder GPDA-Präsident werden.

Natürlich würde ich helfen. Dazu muss man aber gefragt werden. Viele sagen, der Sport ist nicht mehr der gleiche wie damals bei dir. Aber die Risiken sind die gleichen. Es ist traurig, aber es wird wohl nicht nur einen, sondern zwei Todesfälle brauchen, bis sie zu Sinnen kommen. Sie müssen ja nicht unbedingt mich fragen. Es gibt noch ein paar Ex-Weltmeister, die man fragen könnte, Nelson Piquet, Niki Lauda. Oder einen der Piloten, die gerade erst aufgehört haben wie Johnnie Herbert oder David Coulthard.

Hat sich einer der Fahrer Rat bei Ihnen geholt, wie er mit dem Fall Bianchi umgehen sollte?

Nein, niemand. Wenn ich heute Fahrer wäre, würde ich ein paar mehr Fragen stellen. Vor allem an jene, die viel mehr über den Rennsport und auch die Risiken wissen als sie selbst. Ich habe nie aufgehört, Fragen zu stellen. Ich wollte lernen, von Jim Clark, von Jack Brabham, und als Francois Cevert mein Teamkollege war, erzählte ich ihm alles, was ich übers Rennfahren wusste. In jedem anderen Sport, im Fußball, im Basketball, im Golf, gibt es Leute, die dir helfen. Motorsport ist eine der wenigen Sportarten, in der keine Coaches eingesetzt werden. Dabei gäbe es so viele Möglichkeiten, für einen guten Coach, wegen der ganzen Telemetriedaten und der vielen Informationen, die die hunderte von Sensoren am Auto liefern. Aber viele der Fahrer denken, sie hätten so eine natürliche Gabe, dass sie niemanden um Rat fragen müssten. Was natürlich eine komplette Fehleinschätzung ist.

Was würden Sie denn so raten?

Ich hätte ihnen erzählt, wie man mit der Trauer umgeht. Wie sie es schaffen, Mitgefühl zu zeigen und dennoch die mentale Stärke zu behalten, weiterzufahren und ihre Gefühle im Auto auszublenden. Und warum man ins Krankenhaus oder zu Begräbnissen gehen muss.

Während des Rennens in Monaco schien kein Fahrer Jules Bianchi im Krankenhaus besucht zu haben, obwohl er nur wenige Kilometer weiter in Nizza liegt. Hätten Sie die Fahrer ermutigt, Bianchi zu besuchen?

Sicher. Denn du darfst die Schattenseiten deines Geschäfts nicht ausblenden. Meine Philosophie war immer, so viele Risiken wie möglich zu beseitigen, um so wenige unnötige Gefahren wie möglich einzugehen. Mein Geschäftsleben basiert immer noch auf diesem Motto. Sonst gehst du ein großes Risiko mit einem großen Kredit ein, das dich finanziell zerstören kann.

Die heutigen Formel-1-Fahrer wollen diese Schattenseiten nicht sehen?

Richtig, und das ist eine Schwäche. Es ist eine Art Blindheit, beinahe ein Widerstand, der Realität ins Auge zu sehen. Ich will das nicht wissen, ich will das nicht sehen, ich will nicht darüber nachdenken, dass mir das auch passieren könnte. Wenn du ins Krankenhaus oder zu einem Begräbnis gehst, dann stellst du dir die Frage: Mein Gott, kann das auch mir passieren? Doch wenn du die Risiken und Gefahren nicht kennst, dann weißt du auch nicht, wie du sie vermeiden kannst.

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