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Überholt? Nico Rosberg (vorn) gilt nach zwei Siegen aus den letzten drei Rennen als Favorit neben Konkurrent Sebastian Vettel.

© picture alliance / dpa

Formel 1: Mercedes und Red Bull: Auf schlechte Nachbarschaft

Aus dem biederen Mercedes-Team ist ein bissiger Titelanwärter geworden – sehr zum Ärger von Red Bull.

Von Christian Hönicke

In der Lombardei gibt es ein Sprichwort, das wie folgt lautet: „Böse Nachbarschaft ist schlimmer als Bauchschmerzen.“ Als Christian Horner nach seiner Nachbarschaft gefragt wird, schaut er ein bisschen, als hätte er Bauchschmerzen. „Welcher Nachbar, links oder rechts?“, fragt er und lächelt gequält.

Natürlich weiß Horner, um welchen Nachbarn es geht. Knapp sechs Meter trennen das Motorhome seines Formel-1-Rennstalls Red Bull im Fahrerlager des Nürburgrings von dem des Mercedes-Teams. Sechs Meter dicke Luft.

Teamchef Christian Horner hat gemeinsam mit seinem Piloten Sebastian Vettel in den vergangenen drei Jahren die Trophäen abgeräumt in der Formel 1. Dabei ging es rau zu, vor allem der andere Nachbar Ferrari bot erbitterte Gegenwehr. Inzwischen hat man sich in einer Art respektvoller Feindseligkeit miteinander arrangiert wie Dorfbewohner, die sich wenigstens scheinheilig auf der Straße grüßen. Doch vor dem Grand Prix von Deutschland ist dem Weltmeisterteam ein neuer Gegner erwachsen, der selbst auf solche minimalen Umgangsformen pfeift. Und jetzt gibt es richtig Stunk.

Wenn die Sprache auf Mercedes kommt, verfinstert sich bei Christian Horner die Miene deshalb neuerdings sehr schnell. Er ist generell ein ziemlich höflicher Mann, doch auf die Frage, ob Mercedes-Mitarbeiter zum Kaffee im Hause Red Bull willkommen wären, entgegnet er knapp: „Niki Lauda ist jederzeit herzlich willkommen.“ Anders ausgedrückt: Toto Wolff ist es nicht.

Der Österreicher Wolff ist seit dieser Saison der Motorsportchef von Mercedes. Seit dem Einzug des 41-Jährigen pflegt der lange Zeit eher biedere Rennstall eine neue Attitüde. Der umtriebige Geschäftsmann hat das Understatement seines Vorgängers Norbert Haug komplett über Bord geworfen und rempelt nun voller Elan nach allen Seiten. Ungeniert angelte er sich den Ingenieur Paddy Lowe mitten in der Saison von McLaren. Geschickt ließ er den umstrittenen Reifentest in Barcelona über Pirelli und den Automobil-Weltverband Fia einfädeln und erklärte danach frech: „Red Bull hätte das auch machen können, aber die waren einfach nicht clever genug.“ Die wütenden Proteste von nebenan ließ der Neuankömmling mit bemerkenswerter Großspurigkeit abprallen.

„Ich denke, dass uns die Favoritenrolle zukommt“, sagt Rosberg

Am deutlichsten wurde die Zeitenwende bei Mercedes am Freitag. Norbert Haug besuchte sein früheres Team auf dem Nürburgring und wurde dabei auch durchaus wohlwollend empfangen. Dennoch wirkte der einstige Hausherr wie ein Geist aus einer fernen Vergangenheit, wie er da zwischen den Frontlinien freundlich mit dem Red-Bull-Designer Adrian Newey plauderte. Mit dem fast schon devoten Respekt vor der Gegnerschaft ist es unter Wolff nicht mehr weit her. „Auf die Dauer ist es nicht akzeptabel, dass ein Brausehersteller 100 000 Mercedes-Mitarbeitern vor der Nase herumfährt“, erklärte er unlängst. Dieses Bonmot wertete Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko als offizielle Kriegserklärung und befand: „Das Tischtuch ist zerschnitten.“ Auch Horner hat längst die Heckenschere in die Hand genommen: „Man kann dem Team nicht wegnehmen, was wir in den letzten fünf Jahren erreicht haben: 37 Siege, sechs WM-Titel, über 40 Pole-Positions, mehr WM-Punkte als jeder andere. Das spricht doch für sich selbst.“

Die Wolffsche Furchtlosigkeit strahlt inzwischen auch auf die Mercedes-Fahrer ab. Etwa auf Nico Rosberg, der früher allzu große Ambitionen gern ein wenig von sich wegschob. Nach seinen Siegen in Monaco und Silverstone gilt der Deutsche auch auf dem Nürburgring als Sieganwärter, und diesmal bemüht er sich nicht, das zu bestreiten. „Ich denke, dass uns die Favoritenrolle zukommt“, sagt er. An den Weltmeister Sebastian Vettel, der endlich seinen ersten Sieg in der Heimat einfahren möchte, schickt er gleich noch eine Kampfansage hinterher: „Ich will Sebastian und Red Bull in jedem Rennen ein bisschen ärgern und vor ihnen bleiben.“ Die Rolle des WM-Anwärters weist Rosberg aber noch von sich: „Es ist noch zu früh, darüber zu sprechen.“

Die bösen Blicke der Nachbarn aber zeigen, dass man Mercedes inzwischen ganz klar zu den Konkurrenten um den Titel zählt. „Ich glaube schon“, antwortet Vettel auf die Frage, ob Rosberg ein WM-Rivale sei. Bei zwei Siegen könne man nicht mehr von Ausreißern nach oben sprechen. „Mercedes ist sehr schnell, vor allem im Qualifying sind sie stark, aber auch im Rennen.“ Im Freien Training auf dem Nürburgring am Freitag war Rosberg als Zweiter nur unwesentlich langsamer als Vettel.

Auch für Vettels Teamchef Horner ist Mercedes „mit Sicherheit einer der Hauptgegner“. Mit welcher Missgunst man das Treiben auf der anderen Seite des imaginären Zauns mittlerweile betrachtet, zeigt sich auch daran, dass ausgerechnet Helmut Marko von Red Bull Rosbergs Sieg in Silverstone mit einer Eingabe wegen angeblich zu schnellen Fahrens unter der Gelben Warnflagge noch zu revidieren versuchte. „Die anderen reagieren immer allergischer auf uns“, sagt Rosberg fast schon erfreut. Die sich stetig verschlechternde Beziehungen zu den Anrainern nimmt er als kodierte Form der Wertschätzung zur Kenntnis. „Es zeigt, dass man Erfolg hat, wenn die anderen anfangen, einen als Gegner zu fürchten.“

In der Formel 1 gilt eben immer noch das alte Sprichwort: Nur ein langsamer Nachbar ist ein guter Nachbar. Aber wer will schon ein guter Nachbar sein, wenn er Weltmeister werden kann?

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