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Formel 1: Silberpfeile: Kanone mit Stern

Hamilton und McLaren fahren Ferrari davon – und niemand hat eine Erklärung dafür.

Auch im Zentrum des Zahlenuniversums lässt sich nicht alles an Einsen und Nullen festmachen. Mag in der Formel 1 inzwischen jeder Millimeter vermessen und jede Eventualität anhand eines absoluten Codes kategorisiert worden sein – ganz ohne Gefühl kommt auch sie nicht aus. Die schnöde Mathematik pocht beispielsweise weiterhin auf einen Vierkampf um die WM zwischen McLaren- Star Lewis Hamilton (58 Punkte), dem Ferrari-Duo Felipe Massa (54) und Kimi Räikkönen (51) sowie BMW-Pilot Robert Kubica (48). Doch am Sonntag ist Hamilton auf dem Hockenheimring mit seiner Fahrt „wie von einem anderen Stern“ (Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug) und seinem insgesamt vierten Saisonsieg den Verfolgern zumindest auf der emotionalen Ebene auf und davon gejagt.

Selbst der normalerweise eher statistikfixierte Norbert Haug erlag kurzzeitig der Diktion seiner Gefühlswelt. Gut gelaunt raunte er in den Rauch seines Siegerzigarillos: „Da müssen Sie mal bei Ferrari fragen, was da los ist. Unser Auto geht jedenfalls wie eine Kanone!“

Tatsächlich war das silbergraue Geschoss mit außerplanetarischem Steuermann in Hockenheim nicht zu stoppen. Nicht von Ferrari und nicht einmal von der reichlich unlogischen Strategie des eigenen Teams. Anstatt wie alle anderen die Safety-Car-Phase nach dem Unfall des Toyota-Piloten Timo Glock zum Nachtanken zu nutzen, ließen die McLaren-Strategen Hamilton auf der Strecke. Angesichts dieser seltsamen Entscheidung bekam selbst Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche in der Box plötzlich „Zuckungen“. Sein Untergebener Haug gab zu, mit dieser Taktik „im Nachhinein“ falsch gelegen zu haben: „Aber der Lewis hat’s ja dann fürs Team geregelt.“ Wie mühelos er kurz vor Schluss am hilflosen Massa und auch noch am Renault-Piloten Nelson Piquet junior vorbeigezogen war, überraschte aber auch den Engländer: „Ich weiß nicht, warum wir so viel schneller als Ferrari waren“, sagte Hamilton. „Es gab vorher absolut keine Anzeichen dafür.“

Im Lager der Überlegenen hatte man die Emotionen aber recht schnell wieder zugunsten der Logik verdrängt. So war man trotz der deutlichen Machtdemonstration tunlichst darauf bedacht, den schwächelnden Konkurrenten nicht zu reizen, sondern ihn mit Streicheleinheiten einzulullen. „Ich werde mich davor hüten, Ferrari zu unterschätzen. Dafür fahren wir schon zu lange gegen sie“, sagte Haug, nachdem der Rauch verflogen war. „Ich glaube eher, dass sie ein schlechtes Wochenende hatten.“

Auf diese Hoffnung muss auch der rote Rivale setzen. „Ich glaube nicht, dass McLaren so einen großen Schritt nach vorn gemacht hat“, sagte Ferrari-Pilot Felipe Massa. „Ich glaube eher, dass wir einen Rückschritt gemacht haben.“ Der rhetorisch sonst so kuschelweiche Brasilianer kritisierte in für ihn geradezu brutalen Worten die Leistung seines fahrbaren Untersatzes. „Schon am Anfang habe ich gesehen, dass McLaren viel schneller war als wir“, konstatierte er mit grimmigem Gesicht. „Ich hatte Bremsprobleme und keine Chance gegen Lewis. Normalerweise haben wir ein gutes Auto, aber hier hat nichts funktioniert.“

Massa lässt sich immerhin zugutehalten, dass er mit Leidenschaft dagegenhielt, auch wenn der Kampf gegen Hamiltons Wagen rational betrachtet ein aussichtsloser war. Seinem Teamkollegen Kimi Räikkönen indes scheint nach dem Gewinn des Weltmeistertitels irgendwie die Lust am Rennfahren abhandengekommen zu sein – nicht umsonst halten sich hartnäckig Gerüchte um einen baldigen Rücktritt des 28-Jährigen. Logisch jedenfalls ist es kaum zu erklären, warum der hoch talentierte Finne seinem Teamkollegen Massa auf einmal konstant hinterherfährt. Immerhin ruft der mysteriöse Leistungsabfall seines Wagens zumindest eine gewisse Sorge in ihm hervor. Das Auto müsse jetzt endlich mal funktionieren, „sonst wird es eng im WM-Kampf. Es ist schon verwunderlich, dass es plötzlich so viele Probleme gibt“, sagte der Weltmeister. „Es ist noch keine Krise, aber wir müssen überprüfen, ob wir vielleicht in die falsche Richtung gegangen sind.“ Sein Teamchef Stefano Domenicali kündigte eine umfassende Analyse des Rennens an: „Wir dürfen keine voreiligen Schlüsse ziehen.“

Zumindest Felipe Massa zwang sich später auch schon wieder ein Lächeln auf die Lippen und verkündete: „Ich denke, dass wir bei den nächsten Rennen wieder besser aussehen werden.“ Einen mathematischen Beweis für dieses Gefühl blieb er auf dem Hockenheimring allerdings schuldig.

Christian Hönicke[Hockenheim]

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