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Formel 1: Vettel überholt sich selbst

Der Red-Bull-Pilot träumt und wacht als Dritter auf, Teamkollege Webber gewinnt das Rennen in Ungarn.

Von Christian Hönicke

Sebastian Vettel rollte mit dem italienischen Autofahrergruß durch die Boxengasse: Zeigefinger und Daumen zusammen und gut schütteln. Wem diese Unmutsgeste gelten sollte, war nicht ganz klar, doch es war eigentlich auch egal. Diesmal konnte Vettel die Schuld auf niemanden abwälzen. Er selbst hatte den Fehler gemacht, den man weder in der Kolonne auf der linken Autobahnspur noch in der Formel 1 machen sollte: Er hatte zu viel Platz zum Vordermann gelassen. Weil der Red-Bull-Pilot in der Safetycar-Phase mit zu großem Abstand hinter seinem Teamkollegen Mark Webber hinterherfuhr, wurde er mit einer Boxendurchfahrtsstrafe belegt, die ihn schließlich den Sieg kostete. So gewann Webber den Großen Preis von Ungarn am Sonntag vor dem Ferrari-Piloten Fernando Alonso. „Das war ein kleines Geschenk für mich, das ich gern angenommen habe“, sagte der Australier. Webber übernahm wegen des Defekts am McLaren von Lewis Hamilton mit nun 161 Punkten auch die WM-Führung, die Vettel (Dritter mit 151) sich hätte sichern können. Doch der Deutsche wurde wegen seines Fauxpas nur Dritter. Es war die nächste in Vettels inzwischen recht umfangreicher Sammlung an verlorenen Trophäen. „Ich bin sehr enttäuscht“, sagte Vettel. „Ich hätte gewinnen müssen.“

Zum sechsten von sieben Malen in dieser Saison und zum dritten Mal in Folge schaffte es der 23-Jährige nicht, den besten Startplatz auch in 25 Punkte umzuwandeln. Dabei hatte es diesmal so ausgesehen, als könne er seinen Fluch endlich durchbrechen. Nach zuletzt schwachen Starts behauptete er auf dem Hungaroring seine Führung in der ersten Kurve. Alonso war eigentlich schon vorbei, doch Vettel konterte auf der Innenseite der Kurve und blieb vorn. Das war ein Glücksfall für den Deutschen, denn der Ferrari fungierte als roter Puffer zwischen ihm und Webber, so dass Vettel sich mit dem eindeutig schnellsten Auto im Feld absetzen konnte. „Eigentlich hätte es dann ein entspanntes und leichtes Rennen werden müssen“, sagte Vettel. Doch das wurde es nicht.

Das Unheil begann in der 15. Runde. Wegen eines herumliegenden Trümmerteils fuhr das Safetycar auf die Strecke. Das halbe Feld nutzte die Gelegenheit zum Reifenwechsel, mit chaotischen Folgen in der überfüllten Box. Auch Vettel rumpelte über den Randstein, um im letzten Moment noch an die Box zu fahren. „Ich habe auf einer Anzeige gesehen, dass das Safetycar herauskommt und habe es gerade noch reingeschafft“, sagte er. „Wenn ich draußen geblieben wäre, wäre es im Nachhinein betrachtet aber vermutlich schlauer gewesen.“ Nico Rosberg kam als Siebter zum Service, doch er verließ die Boxengasse nicht mehr. Seine Mechaniker hatten sein rechtes Hinterrad nicht richtig befestigt, so dass es sich beim Herausfahren löste und wie eine wildgewordene Bowlingkugel durch die Box schoss und einen Williams-Mechaniker traf, der glücklicherweise mit einer angebrochenen Rippe davonkam. Ein paar Meter weiter kollidierte der herausfahrende Renault-Pilot Robert Kubica fast zeitgleich mit Adrian Sutils Force India.

Vettel hielt sich aus dem Getümmel heraus, er sortierte sich hinter Webber ein und wäre nach dessen Boxenstopp wieder in Führung gegangen. Doch Webber hatte es schon angekündigt: „Für uns geht es im Rennen darum, nicht einzuschlafen.“ In der 16. Runde fielen seinem Teamkollegen Vettel offenbar für ein paar Sekunden die Augen zu, so dass er den Abstand zu dem vor ihm fahrenden Australier zu groß werden ließ. „Ich habe geschlafen und den Restart verpennt“, sagte Vettel mit versteinerter Miene. „Ich dachte, das Safetycar bleibt noch draußen und habe meine Reifen aufgewärmt und mich zu sehr mit meiner Funkverbindung beschäftigt, die ich zuvor verloren hatte. Als ich dann in der vorletzten Kurve mitgekriegt habe, dass das Rennen weitergeht, war es zu spät.“ Sein Teamchef Christian Horner war deutlich: „Es ist eindeutig sein Fehler. Er hätte den Sieg locker heimfahren können.“

Als Vettel wieder aus seinem Tagtraum erwachte und die Strafe kassiert hatte, war er nur noch Dritter. Seine Geste in der Box erklärte er so: „Ich habe nicht verstanden, weswegen ich bestraft wurde, erst nachher hat man es mir erzählt.“ Dennoch fühlte er sich ungerecht behandelt, zumal ihn der hinter ihm fahrende Alonso angeblich bei der Rennleitung angeschwärzt hatte. Vettel erinnerte später an die Stallorder-Affäre um Ferrari: „Letztes Rennen gab es auch einen Regelverstoß und nichts ist passiert.“ Nach dem Vorfall habe er seinen Rhythmus verloren, sagte Vettel. In der 41. Runde hatte er Alonso wieder eingeholt, doch vorbei kam er auf dem engen Hungaroring nicht. Auf dem Podest nahm er mit finsterem Blick erst einmal einen tiefen Frustschluck aus der Schampuspulle.

Auch für Michael Schumacher gestalteten sich die Runden mehr als quälend. Im Rennen plagten ihn Bremsprobleme, er wurde sogar überrundet, und vier Umläufe vor Schluss erlebte der Rekordweltmeister einen Tiefpunkt seiner Karriere, als ihn sein ehemaliger Adjutant Rubens Barrichello überholte. Schumacher war das Duell um Platz zehn und den letzten WM-Punkt noch so wichtig, dass er den Williams-Piloten dabei beinahe in die Boxenmauer drängte und damit die Rennkommissare auf den Plan rief. Sie bestraften ihn mit einer Rückstufung um zehn Startplätze beim nächsten Rennen in Spa. Schumacher war sich keiner Schuld bewusst. „Ich wollte ihm das Leben so schwer wie möglich machen“, verteidigte sich der 41-Jährige. „Aber wir haben uns nicht berührt und es muss genügend Platz gewesen sein – leider Gottes.“ Das sah der Rest des Fahrerlagers anders, allen voran Barrichello. „Das war nicht fair“, sagte der Brasilianer. „Wenn er vor mir im Himmel sein möchte, falls er überhaupt in den Himmel kommt, ist mir das egal – ich möchte aber nicht der Erste da oben sein.“

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