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Formel 1: Vollwertiger Raser

Wie Sebastian Vettel vom Testfahrer zum Stammpiloten in der Formel 1 aufstieg.

Mauritius ist für die Formel 1 prinzipiell von untergeordneter Bedeutung. Hier gibt es keinen Grand Prix, und weil die Inselgruppe im Indischen Ozean kaum als großer, noch zu erschließender Markt gilt, wird sich daran in naher Zukunft wenig ändern. Und doch darf Mauritius für Sebastian Vettel als entscheidende Station auf dem Weg zum Formel-1-Rennfahrer gelten – obwohl er niemals da war. Im Gegensatz zu Gerhard Berger. „Ich hab da mal vor ein paar Jahren Urlaub gemacht“, erinnert sich der Anteilseigner des Rennstalls Toro Rosso.

Die für Vettel entscheidende Tatsache ist, dass sich nicht nur der Österreicher, sondern auch Michael Schumacher zu diesem Zeitpunkt auf Mauritius aufhielt. „Er kam irgendwann zu mir und sagte: Du musst mal auf diesen Kartfahrer schau’n, der ist gut“, erzählt Berger. „Ich fragte: Wie heißt er denn? Und Michael sagte: Vettel.“ Berger hat sich die Worte seines früheren Konkurrenten gut gemerkt, und nun fährt der Kartfahrer von einst für sein Team.

Weil er für seine Weiterentwicklung bei BMW-Sauber als chronisch unterbeschäftigter Ersatzfahrer keine Perspektive mehr sah, wird Sebastian Vettel als fünfter deutscher Stammpilot in der Formel 1 die restlichen sieben Rennen dieses Jahres und die komplette nächste Saison für Toro Rosso an den Start gehen. Einwände, dass er sich mit dem Engagement beim schwächeren der beiden Teams des Red-Bull-Konzerns nicht unbedingt einen Gefallen getan hat, wischt der junge Heppenheimer mit einer Mischung aus Vorfreude und Souveränität beiseite. „Ich weiß, dass ich nicht das schnellste Auto habe“, sagt der 20-Jährige. „Aber es kann nicht immer so gehen wie bei Lewis Hamilton.“ Bei einem kleinen Team anzufangen, sei eben der normale Weg. „Letzten Endes war es eine clevere Entscheidung, denn ich bin Rennfahrer, und Rennfahrer wollen Rennen fahren.“ Er wolle helfen, das Auto zu verbessern, und „vielleicht kann ich ja sogar die ersten WM-Punkte für das Team holen“.

Obwohl er bei seinem einzigen Renneinsatz für BMW als jüngster Grand- Prix-Pilot überhaupt einen Zähler holte, scheint dieses Ziel noch in weiter Ferne. Am Freitag durfte Vettel das erste Mal im Toro Rosso ausprobieren, was er bis dahin nur aus „einem so 30- bis 50-seitigen Bedienungshandbuch“ kannte. Seinen Einstand als vollwertiges Mitglied der Grand-Prix- Gesellschaft fand er einfach nur schön. „Am Anfang brauchte ich ein bisschen Eingewöhnungszeit, aber dann hat alles ganz gut funktioniert.“ Vorsichtig hatte er sich auf den ersten Kilometern über den Hungaroring bewegt, um die physikalischen Grenzen des Wagens zu ertasten. Bald aber erreichte er das Niveau seines Teamkollegen und war schließlich nur zwölf Tausendstelsekunden langsamer als Vitantonio Liuzzi.

Damit hat Vettel bei seinem ersten Einsatz als Ersatz für den gefeuerten US- Amerikaner Scott Speed bereits Erwartungen erfüllt, die noch gar nicht gestellt waren. „Vettel steht nicht unter Druck“, sagt Berger, „wichtig ist, dass er sich in den anderthalb Jahren bei uns weiterentwickelt.“ Zu seinem früheren Ausbildungskonzern zurückgeholt worden war der Deutsche demnach vornehmlich aus Gründen der Klimaverbesserung. Berger: „Wir hatten keine gute Atmosphäre; ich weiß nicht, ob es an Scott oder an uns lag.“ Die Spannungen kulminierten schließlich in einem Handgemenge zwischen Speed und Teamchef Franz Tost. Vettel solle nun frischen Wind ins Team bringen.

An seinem ersten Arbeitstag dürfte Vettel nicht nur die dicke Luft, sondern auch ein paar Fragezeichen aus Bergers Kopf weitgehend verdrängt haben. Denn die Aufzählung der Beweggründe für Vettels Verpflichtung lässt erkennen, dass nicht nur der Fahrer bei seiner Entscheidung eine Art Blindflug ins Ungewisse unternommen hat. Vettel sei jung, intelligent und mit Hingabe dabei, sagte Berger tags zuvor, doch „wie schnell er wirklich ist, kann ich noch nicht sagen“. Am Ende des Wochenendes will Sebastian Vettel die Antwort auf die Frage nach seinem Fahrtalent präsentieren: „Am Sonntag können wir mehr dazu sagen.“

Nichts mehr außer artig Danke sagen möchte Sebastian Vettel hingegen am liebsten zu dem Menschen, dessen Poster in seinem Kinderzimmer hing und der einst die Weichen für seinen Weg ins Cockpit stellte. Die ständigen Vergleiche mit Michael Schumacher nerven Vettel. „Der Vergleich ist nicht sehr schlau, denn Schumacher ist ein ganz anderer Mensch“, sagt Vettel. „Nicht nur, dass er einen anderen Namen hat, sondern auch sonst.“ Unter anderem hat er deutlich mehr Reiseerfahrung.

Christian Hönicke[Budapest]

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