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Gruß an die Hinterherfahrer. Beim Rennen in Indien ließ Vettel der Konkurrenz schon zum zehnten Mal in diesem Jahr keine Chance. Und die Chancen stehen gut, dass er auch in der kommenden Saison allen davonfährt. Foto: dpa

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Formel-1-Weltmeister und die Dominanz: Sebastian Vettel - So gut, dass es weh tut

Sebastian Vettels Dominanz hat Schumachersche Ausmaße angenommen. Seine Gegner hoffen nun, dass ihn Regeländerungen in der Formel 1 bremsen.

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Mitten im Moment der größten Freude wurde Sebastian Vettels Gesicht plötzlich ein wenig finster. Da stand der alte und neue Weltmeister auf dem Siegerpodest und wurde von den indischen Fans an der Strecke gefeiert, für die Vettel die Verkörperung der Formel 1 schlechthin ist. Im Siegerinterview aber, geführt von seinem früheren Fahrerkollegen David Coulthard, wurde Vettel nachdenklich. Er sprach die Pfiffe und Buh-Rufe an, die ihm bei den Siegen in Monza und Singapur entgegengeschlagen waren. „Du wirst ausgepfiffen, und das tut unheimlich weh“, bekannte er erstmals öffentlich. „Es war nicht leicht, das zu überwinden und auf der Strecke die richtige Antwort zu geben, um dann die Anerkennung zu bekommen, die jeder Rennfahrer sucht.“

Die wenig euphorischen Worte nach seinem vierten Titelgewinn in der Formel 1 machten deutlich, dass Vettel die öffentliche Meinung nicht so egal ist, wie er manchmal glauben machen will. Und sie zeigen, dass seine Dominanz ein Ausmaß erreicht hat, das für die Formel 1 und am Ende auch für ihn durchaus unangenehme Folgen haben kann.

Zur Schattenseite seiner Siegesserie zählt es, dass der vierte WM-Titel des Red-Bull-Piloten fast schon routinemäßig zur Kenntnis genommen wird. Die internationalen Medien bedachten ihn mit mehr oder weniger originellen Spitznamen, die von „Menschenfresser“ bis zu „Siegmaschine“ reichten. Darin schwingt zwar einerseits der manchmal vermisste Respekt vor seinen Leistungen mit, andererseits aber auch die Langeweile, die seine Triumphfahrten bisweilen hervorrufen. „Es sieht fast schon zu einfach aus“, klagt etwa Damon Hill, der Weltmeister von 1996. Michael Schumachers großer Rivale Mitte der Neunzigerjahre wünscht sich „wieder richtiges Racing und dass Sebastian wieder richtig herausgefordert wird“. Hill ist damit ein Sprachrohr derer, die schon zwei Rennen vor Schluss der Saison den bangen Blick in die Zukunft richten und sich fragen: Wird das jetzt so weitergehen?

Es ist zumindest nicht unwahrscheinlich. „Die Chance ist groß, dass Sebastian den Michael packt“, sagte der dreimalige Weltmeister Niki Lauda in Indien. Drei Titel und 55 Grand-Prix-Siege fehlen Vettel (36 Siege) noch, um sein Kindheitsidol Schumacher einzuholen. Dafür hat er noch ein bisschen Zeit, er ist erst 26, in dem Alter hatte Schumacher gerade einmal zwei Titel gewonnen. Sein Kronprinz hat sich in dieser Saison noch einmal verbessert und fuhr mitunter beängstigend perfekt. Die Wahrscheinlichkeit für weitere Großtaten ist auch deswegen groß, weil das Erfolgsteam Red Bull nicht gesprengt wird. Die Suche nach einer neuen Herausforderung, sie scheint in Vettel zwar langsam heranzuwachsen, wie seine Worte auf dem Podest in Indien belegen. Doch Vettels Vertrag beim österreichischen Rennstall läuft noch bis Ende 2015, trotz wohlmeinender Ratschläge zum Teamwechsel wird er Red Bull erst mal genauso erhalten bleiben wie der geniale Autodesigner Adrian Newey. „Sebastian genießt es, für uns zu fahren, er ist im Team groß geworden, er ist ein wichtiger Teil dieser Mannschaft“, sagt sein Teamchef Christian Horner. „Warum sollte er woanders hinwollen?“

Ein Ende der Ära ist also nicht in Sicht. Für Formel-1-Boss Bernie Ecclestone ist Sebastian Vettel schon jetzt „wahrscheinlich der Beste, den wir je hatten“. Ecclestone ist ein erklärter Anhänger des Deutschen, aber er ist eigentlich kein Fan solcher geschichtlichen Vergleiche. Der Brite weiß selbst, dass sich die verschiedenen Epochen nicht gegenseitig aufrechnen lassen. Aber Ecclestone ist eben zuvorderst Geschäftsmann, und so versucht er, dem zunehmend gelangweilten Publikum das aktuelle Geschehen wenigstens mit dem Verweis auf die historische Dimension schmackhaft zu machen. Wie der Formel-1-Boss wirklich denkt, hat er 2009 einmal gesagt: „Es ist gut, nicht zu wissen, wer auf die Pole-Position fährt. Als Schumacher noch hier war, wusste man: Schumacher fährt auf die Pole, Schumacher gewinnt das Rennen.“

Dauersieger sind nicht gut fürs Geschäft, das weiß Ecclestone aus dieser leidvollen Erfahrung. Anfang des Jahrtausends hat ihm Schumacher im Ferrari die Bilanzen kaputtgesiegt, bis Ecclestone eingriff. Er ließ das Regelwerk revolutionieren, um die Dominanz des Deutschen zu brechen – mit Erfolg. Ecclestones Aufgabe ist es nun, dafür zu sorgen, dass sich das Ganze nicht mit Schumachers Wiedergänger Vettel wiederholt. Anzeichen einer Vettel-Müdigkeit gibt es schon, die Einschaltquoten bei RTL sind längst nicht so hoch wie in der Vergangenheit, als bei entscheidenden Rennen bis zu zehn Millionen Zuschauer erreicht wurden. Vettels Titelfahrt sahen gut fünf Millionen Zuschauer, im Schnitt sind es um die sechs Millionen. Das Rennen in Indien versprühte sehr wenig von der Faszination früherer WM-Entscheidungsrennen; ein wenig vom Geist der vorzeitigen WM-Siege Schumachers 2002 und 2004 wehte durchs Fahrerlager. Um die Spannung zu erhöhen und sein Geschäft wieder anzukurbeln, muss Ecclestone Vettel den Weg zum Besten aller Zeiten so schwer wie möglich machen.

In dieser Hinsicht wird Ecclestone darüber geflucht haben, dass Kimi Räikkönen nicht bei Vettels Rennstall Red Bull anheuern wird. Ein Teamduell mit dem Finnen, den viele für einen der schnellsten Piloten im Feld halten, das hätte Brisanz versprochen. Auch Vettel hätte davon bei seinem Kampf für mehr Anerkennung profitiert. Wenn er Räikkönen im gleichen Auto geschlagen hätte, wäre das so etwas wie die nachträgliche Absolution für seine vorherigen Titel gewesen. Doch das Duell wird nicht stattfinden, Räikkönen wird im nächsten Jahr für Ferrari fahren. Vettel erhält den noch wenig profilierten Red-Bull-Jüngling Daniel Ricciardo als Stallgefährten, auch das ist natürlich Wasser auf die Mühlen der Nörgler. Dabei hat Vettel im Feld womöglich mehr und stärkere Gegner als einst Schumacher. Immerhin fährt er gegen vier frühere Weltmeister, Alonso, Hamilton, Räikkönen und Button. Doch gerade weil er diese zeitweise schon fast deklassiert, geht das ein bisschen unter.

Gelegen kommt Ecclestone immerhin der Umstand, dass es in der kommenden Saison einige Neuerungen geben wird, die unabhängig von Vettels Erfolgsserie beschlossen wurden. Es wird neue Turbomotoren geben, und in der Szene kursieren bereits Gerüchte, dass das neue Mercedes-Triebwerk denen der Konkurrenz überlegen sein soll. Das macht den Vettel-Gegnern Hoffnung, genauso wie der Umstand, dass die Aerodynamik ab 2014 durch neue Bestimmungen im Auspuff-Bereich (eine Stärke des Red Bulls) eine geringere Rolle spielen soll. Auf der anderen Seite glänzt Vettels Autodesigner Newey mit seinen Konstruktionen immer dann, wenn er ein neues Regelwerk auf Lücken durchforsten kann. Und von allen Piloten gibt es einen, der seinen Fahrstil besonders gut neuen Gegebenheiten anpassen kann. Er heißt Sebastian Vettel. Man sollte nicht unbedingt darauf wetten, dass der Formel-1-Weltmeister 2014 einen anderen Namen hat.

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