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Weltmeister: Sebastian Vettel: Der Prediger erreicht das Gelobte Land

Sebastian Vettel feiert seinen Titel, den ihm viele nicht mehr zugetraut hatten – doch er selbst glaubte immer an sich. Seinen Unfall in Belgien bezeichnet er als Wendepunkt.

Von Christian Hönicke

Sebastian Vettel hat sich in eine unangenehme Lage manövriert. Für jemanden, der vorgibt, eigentlich keinen Alkohol trinkt, hat er derzeit schwere Stunden zu überstehen. Dennoch war es wohl nicht nur der Wein, der am Montag aus dem neuen Formel-1-Weltmeister sprach. „Ich bin so voll Freude und Glück, dass ich die ganze Welt umarmen könnte“, erklärte der Heppenheimer. „Es ist für mich noch schwer zu begreifen, dass das wirklich passiert ist, aber ich bin in erster Line einfach nur wahnsinnig stolz.“

Schon direkt nach seiner wundersamen Fahrt zum Weltmeistertitel am Sonntag wurde er mit wahren Fluten des populären Rauschmittels in all seinen Darreichungsformen konfrontiert. Erst wurde der jüngste Champion der Formel-1-Geschichte im Anschluss an seinen Sieg in der Box von seinen Team- und Familienmitgliedern abgefüllt. Vettel ertrug es mannhaft und stimmte ausgelassen in die „Campeones, olé!“-Rufe seines Red-Bull- Teams ein. Die Jubelschreie hallten bis hinüber in die Ferrari-Box – so musste sich der geschlagene Favorit Fernando Alonso auch noch den Jubel in seiner spanischen Muttersprache anhören.

Danach kam Vettel auch um die feuchtfröhliche Feier im glitzernden Yas-Hotel ein paar Meter weiter nicht herum. Nach seinem Abflug Montag früh nahm das Gelage erst richtig Fahrt auf: Sein Arbeitgeber Red Bull hatte zur Feier in den Veranstaltungsort „Hangar 7“ am Salzburger Flughafen geladen, tags darauf will man im Teamsitz Milton Keynes in England anstoßen. Außerdem bereitet sich ganz Heppenheim auf ein rauschendes Fest mit seinem künftigen Ehrenbürger vor.

Mitleid allerdings ist nicht angebracht: Diesen Partymarathon hat sich der 23-Jährige selbst eingebrockt. Schließlich hatte er den Titel trotz des schnellsten Autos im Feld wie im Vorjahr eigentlich schon verloren. Das jedenfalls glaubten viele Ende August nach Vettels selbst verschuldetem Unfall mit Jenson Button in Belgien.

Das Rennen in Spa aber war für Vettel der Wendepunkt zum Guten. Während er von vielen abgeschrieben wurde, wechselte er in den „Jetzt erst recht“-Modus. „Das war nicht einfach, denn über mich wurde viel schlecht geredet“, sagte Vettel. „Aber in so einer Phase kriegst du mit, wer deine wahren Freunde sind und wer dich wirklich unterstützt.“

Einer seiner Unterstützer war der frühere Weltmeister Kimi Räikkönen. Die beiden sind quasi Nachbarn in ihrer Wahlheimat Schweiz und treffen sich öfter zum Saunieren und zum Badminton. Der eigenbrötlerische bis autistische Finne half Vettel dabei, sein eigenes Kunststück von vor zwei Jahren zu kopieren und als Drittplatzierter vor dem Finale noch Weltmeister zu werden. „Kimi ist für mich ein gutes Vorbild“, sagte Vettel. „Sein großer Vorteil ist, dass – sorry für die Wortwahl – ihn manchmal alles einen Scheißdreck interessiert und er einfach sein Ding macht.“

So machte es auch Vettel – er predigte sich seine Außenseiterchance einfach unerschütterlich selbst groß. Christian Horner wertete Vettels mentale Stärke als entscheidende Ingredienz im WM-Cocktail. Trotz der ständigen Rückschläge durch Technik oder eigene Unzulänglichkeiten habe sein Pilot „nie seinen Fokus und seinen Glauben verloren“, sagte der Red-Bull-Teamchef.

Der Glaube zahlte sich aus. Im Finale von Abu Dhabi lief alles für Vettel, angefangen von Michael Schumachers spektakulärem Unfall, der Ferraris Strategie zerfetzte. „Michael hat das Safetycar rausgebracht, von dem Rosberg und Petrow profitiert haben“, sagte Horner. „Also ein großes Dankeschön an ihn.“ Dem Renault-Piloten Witali Petrow, der Alonso bis zum Ziel in Schach hielt, versprach er gar Gummibärsaft zum Nulltarif: „Wir werden ihm ein paar Dosen zum Dank schicken.“

Vettel musste derweil härteren Stoff verarbeiten, zwischendrin fand er aber doch noch ein bisschen Zeit, seine spezielle Art des Feierns zu zelebrieren: In der Box in Abu Dhabi rückte er seinem Siegerwagen auf die Pelle. Abwechselnd mit seinem kleinen Bruder nahm er eine Art Carrerabahn-Temporegler in die Hand und jagte den Motor im Stand auf Vollgas. Der Rest der Familie Vettel stand daneben und hielt sich die Ohren zu.

Hinter ihnen, in einer dunklen Ecke, stopfte sich auch Vettels Teamkollege Mark Webber die Finger in die Gehörgänge. Die Garagenparty hatte er nach seiner verpassten Titelchance enttäuscht sausen lassen, jetzt aber hatte er sich doch neugierig in die Box geschlichen. Und konnte sich angesichts des absurden Geschehens trotz der großen Enttäuschung ein Lächeln nicht verkneifen.

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