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Zwielichtige Rolle: Franz Beckenbauer im Jahr 2004 als Präsident des Organisationskomitees für die Fußball-WM 2006

© dpa/Walter Bieri

Franz Beckenbauer vor der WM 2006: "Der Fußball braucht eine generelle Reinigung"

Franz Beckenbauer soll als Organisationschef für die Heim-WM Millionen kassiert haben. Hier dokumentieren wir noch einmal ein Interview mit ihm vom Juni 2006 vor der WM.

Franz Beckenbauer soll als Chef des Organisationskomitees für die Fußball-WM 2006 in Deutschland 5,5 Millionen Euro bekommen haben. Er hatte allerdings stets betont, ehrenamtlich tätig gewesen zu sein. Anlässlich dieser neuen Vorwürfe gegen Beckenbauer dokumentiert der Tagesspiegel hier noch einmal ein Interview mit Beckenbauer, das vor dem Start der WM im Juni 2006 geführt wurde.

Herr Beckenbauer, wann haben Sie zuletzt Fußball gespielt?

Vor drei Monaten, mit meinem Sohn. Ich bin von New York nach Dubai geflogen, dort hat meine Familie gerade Urlaub gemacht. Plötzlich fing der Kleine an, mir am Strand den Ball rüberzuschießen. Seitdem spielen wir häufiger Eins gegen Eins. Erst konnte er nur Passspiel und Schuss, jetzt fängt er zu dribbeln an. Da geht er auf mich zu und will mittendurch. Da sag ich: „Das geht nicht, du musst um mich herum.“ Aber mein Sohn ist stur, er lässt sich nicht viel beibringen. Jetzt nimmt er einmal pro Woche am Training teil, in Going. Seine Spezln aus dem Kindergarten machen auch mit.

Warum sind Sie Ihr Leben lang nicht vom Fußball losgekommen?

Das ist Leidenschaft; keine Ahnung, woher das kommt. Ich bin ein 45er-Jahrgang, wir sind in München-Giesing über Wiesen gerannt, auf denen Granaten eingeschlagen waren. Wir haben mit einem Stoffknäuel gespielt. Mein Vater war Postsekretär, wir mussten jeden Pfennig umdrehen. Mein erstes Fahrrad habe ich mir als Lehrling bei der Allianz zusammengespart. Es gab nur Fußball. Das ist die billigste Sportart. Du brauchst nur einen Ball. Ein Tor kannst du dir selber basteln, da steckst du zwei Stöcke hin, fertig.

Irgendwann hatten Sie genug Geld, um etwas anderes zu machen.

Gut, aber da war Fußball schon mein Beruf. Schauen Sie, auf unserer WM-Länderreise waren wir in Angola. Die Menschen haben 30 Jahre Bürgerkrieg hinter sich. Da gibt es nur Armenviertel, das Land sieht aus wie eine Müllhalde. Aber die Kinder spielen Fußball. Ich hab gesagt: Da komm ich her, unter ähnlichen Bedingungen bin ich aufgewachsen.

Aber Straßenfußball gibt es in München gar nicht mehr.

Nein, vom alten Spiel ist nichts mehr übrig. Fußball wird unten gespielt, an der Basis. Das ist sein Wesen. Inzwischen hat sich das aber von oben gewaltig verändert. Wir hatten damals nicht mal Umkleidekabinen. Die haben uns einen Kübel kaltes Wasser hingestellt.

Und jetzt sehen Sie die Spieler im Entmüdungsbecken, mit Zigarre.

Ja gut, das gab es später bei mir auch. Die Frage ist nur: Wo entwickelt sich der Fußball hin? Wenn man heute die Spielervermittler sieht, die die Spieler hin und her schieben, wenn man merkt, dass jeder die Hand aufhält, dann macht mich das traurig. Einige Manager und Trainer verdienen an Transfers, sogar Präsidenten und Politiker, alle sind verwickelt. Dazu kommen die Wettgeschichten. Diese Entwicklung ist gefährlich, wie man besonders schmerzlich in Italien erfährt. Der Fußball ist sehr strapazierbar, aber man muss höllisch aufpassen.

Wie kann man diese Entwicklung stoppen?

Das ist sehr schwierig, weil man nicht weiß, wo man anfangen soll. Wie willst du diesen Knoten durchschlagen, wenn alle involviert sind? Das geht nicht, da kann die Fifa noch so viele Bestimmungen erlassen. Nach der Weltmeisterschaft sollte man dieses Thema einmal generell angehen. Man sollte über die Grenze des Geldverdienens reden.

Aber Sie sind doch der Meister der Vermarktung.

Beim FC Bayern hat es das nie gegeben, dass Manager oder Trainer an einem Transfer verdient haben. Der Fußball braucht eine generelle Reinigung. Diese Erkenntnis habe ich in den letzten Wochen und Monaten gewonnen.

"Hatten nichts, als die Bewerbung anfing"

Sie haben sich neun Jahre auf diese WM vorbereitet. Was haben Sie sonst noch gelernt in diesem Lebensabschnitt?

Bisher kamen die Leute immer zu mir und wollten was. Plötzlich war es umgekehrt: Ich wollte etwas von den anderen. Damit habe ich mich anfangs schwer getan. Ich musste mich manchmal verstellen, ein freundliches Gesicht machen, auch wenn mir mein Gegenüber nicht sympathisch war. Das sind dann künstlerische, schauspielerische Momente. Mein Gott, neun Jahre! Als wir mit der Bewerbung anfingen, hatten wir nichts. Wir brauchten Spezialisten, für Sicherheit, für Service, für weiß der Teufel was. Die kriegt man schwer. Die müssen ihren Job aufgeben, ohne zu wissen, was nachher passiert. Gott sei Dank haben tolle Leute mitgemacht, aus innerem Antrieb und aus Freude am Fußball.

Sie haben auf Ihren Reisen viele Menschen getroffen. Von welcher Mentalität können sich die Deutschen etwas abschauen?

In allen Ländern, in die wir kamen, war die Vorfreude schon vor uns da. Klar, in den afrikanischen Staaten, die zum ersten Mal bei einer WM mitmachen, war es besonders schön, die sind neugierig. Aber auch in etablierten Ländern fiebern viele mit. In Holland herrschte die beste Atmosphäre von allen 31 Besuchen. Die vier holländischen Nationaltrainer sind gekommen, und wir haben Prinz Willem-Alexander in seinem Privathaus besucht. Diese Herzlichkeit war unglaublich.

Fehlt den Deutschen etwas Holländisches?

Nein, Euch fehlt nichts! Ich kenne nur nette und sympathische Berliner! Warum machen wir Deutschen uns selbst das Leben schwer? Warum sind wir grantig und unhöflich? Wir sehen uns viel schlechter als die Leute im Ausland uns sehen. Dabei sind wir – auch wirtschaftlich – ein blühendes Land. Wir sind nach wie vor willkommen, geachtet und beliebt.

Warum haben Sie dann eine Freundlichkeitskampagne zur WM gestartet?

Na gut, wir sind keine Asiaten, die immer lächeln. Es schadet ja nichts, wenn man Taxifahrer und Servicepersonal schult. Deutschland ist nicht unbedingt das Serviceland Nummer eins. Wir sind keine Südländer, die vom Service leben.

Erzählen Sie doch mal vom unfreundlichsten Taxifahrer, dem Sie begegnet sind.

Ich kenne keinen. Vielleicht liegt das daran, dass die meisten mich kennen. Ich steige ein und begrüße den Fahrer nett. Da kann er ja nicht nichts sagen, oder? Ich habe gelernt, wenn ich in einen Raum komme, gleich festzustellen: Ist da eine gelöste Stimmung oder ist die Atmosphäre gespannt? Das kannst du auflösen, wenn du reingehst und mit den Leuten redest.

Sie haben oft die nörgelige Stimmung in Deutschland beklagt. Als die Stiftung Warentest die Sicherheit in den WM-Stadien angezweifelt hat, ist Ihnen der Kragen geplatzt. War Ihre Reaktion ein Fehler?

Nein. Man kann da nicht heftig genug reagieren. Wie willst du dir sonst Gehör verschaffen? Erstens waren die Fakten falsch und zweitens ist die Nachricht um die ganze Welt gegangen. Wir haben’s ja erlebt auf unseren Reisen: Überall, wo wir hinkamen, wurden wir darauf angesprochen. Das haben die Leute von der Stiftung Warentest unterschätzt: Man beschädigt das eigene Land! Dass wir in Deutschland angeblich nicht in der Lage seien, vernünftige Stadien zu bauen, stand in jeder Zeitung in Amerika. Der Stiftung Warentest würde ich sofort alle Steuermittel entziehen. Es ist unglaublich, dass die aus Steuermitteln finanziert wird und dann ein solches Eigentor fabriziert.

Gab es einen Moment, in dem Sie dachten: Jetzt reicht es mir?

Je länger man dabei ist, desto mehr Leute versuchen, sich in den Vordergrund zu spielen und das Vehikel WM für sich zu nutzen. Da ging es um Verbraucherschutz, Zwangsprostitution, Alkoholismus – was weiß ich. Das ist schade, denn man hat andere Dinge zu tun, als sich mit allen möglichen Randthemen auseinander zu setzen.

In Deutschland werden viele Probleme mit der WM in Verbindung gebracht. Es gibt Angst vor rassistischen Übergriffen.

Auszuschließen ist so etwas leider nie. Man kann nur an diese Leute appellieren, die WM nicht zu stören. Wenn sie nicht darauf hören, muss man sie mit Gewalt daran hindern. Rassisten sind dumme Leute, die kapieren nicht, dass es auf der Welt nicht nur Weiße gibt, sondern auch Schwarze, Rote, Gelbe. Das ist ganz normal. Der Herrgott hat einen schönen bunten Garten geschaffen.

Ein schlimmes WM-Szenario könnte auch so aussehen: Die Stadien sind nur halb voll.

Die Stadien werden voll sein. Zumindest sind sie ausverkauft. Man kann die Nationalverbände und Sponsoren schlecht zwingen, alle ihre Leute ins Stadion zu schicken. Viele Tickets wurden ja auch verlost. Wenn man eine Karte geschenkt bekommt, sieht man vielleicht ihren Wert nicht. Da kann es passieren, dass sich Lücken auftun. Aber es werden keine leeren Blöcke entstehen.

Sind Sie sicher?

Es ist ein schwieriges Geschäft. Bei einigen ausländischen Verbänden besteht die Gefahr, dass sie ihr Kontingent nicht zurückgeben, wenn sie Karten nicht benötigen. Beim Confed-Cup hat mir am Spieltag ein Argentinier 200 Karten in die Hand gedrückt. Da hab ich gesagt: Okay, ausnahmsweise, ihr kriegt euer Geld zurück. Wenn er acht Tage vorher gekommen wäre, hätten wir die Karten noch verkaufen können. Bei der WM darf das nicht passieren.

Wurden zu viele Karten für VIPs und Sponsoren zurückgehalten?

Offenbar hat man den deutschen Markt überschätzt, die Preise für VIP-Tickets zu hoch angesetzt. Die Kalkulation der Firma ISE ist zumindest nicht komplett aufgegangen. Jetzt haben sie wahrscheinlich gerade den Break-Even-Punkt erreicht, zu großen Gewinnen wird es nicht reichen. Aber wir sind froh, wenn Karten von ihnen zurückkommen. Dann haben wir die Chance, sie an Fans zu geben.

Haben Sie sich mal im Internet angeschaut, wie kompliziert es ist, Tickets zu kaufen?

Ja, natürlich, ich habe ja selber Tickets im Internet gekauft.

Wie bitte?

Für meine Familie, selbstverständlich! Es gibt ja keine Freikarten mehr. Früher hab ich angerufen und gesagt: Komm, schickt mir 50 Karten. So läuft das heute nicht mehr. Deshalb habe ich seitenweise Formulare ausgefüllt. Aber wir dürfen uns nicht beschweren, wenn es kompliziert wird, schließlich schreit jeder nach möglichst großer Sicherheit. Außerdem haben wir nichts ohne die Fifa gemacht. Wir haben uns mit der Fifa zusammen zu diesem System entschlossen, deswegen ist jede Kritik aus Zürich völlig unberechtigt.

"Ich find Blatter super"

Mit der Fifa gab es am Schluss nur noch Streit.

Einige Male schon, aber dann hat man ein persönliches Gespräch geführt und alles war wieder in Ordnung. Zwischen unserem Organisationskomitee und der Fifa gab es unterschiedliche Meinungen über viele Details. Aber wenn das eskaliert ist, wurden wir eingeschaltet: Sepp Blatter auf der einen, ich auf der anderen Seite. Dann haben wir uns getroffen, und Ende.

Wie muss man sich das vorstellen? Sie sitzen sich gegenüber …

… klar, ich komme in sein Büro und wir gehen zusammen essen …

… und dann sagen Sie: Es gibt ein Problem.

Persönlich hatte ich mit dem Sepp Blatter noch nie ein Problem, kein einziges. Er ist furchtbar nett, ein zugänglicher, humorvoller Mensch. Ich find ihn super.

Was müsste die Fifa besser machen?

Man muss mehr miteinander reden. Die Fifa ist der Veranstalter, wir sind der Ausrichter. Aber letztlich sind wir doch Partner. In einzelnen Projekten geht es seitens der Fifa ziemlich harsch zu. Sepp Blatter ist ein Mann der Kommunikation und ein sehr charmanter Gastgeber. Aber die Leute, die für ihn arbeiten, haben manchmal einen unguten Ton drauf: Wir sind die Fifa, wir bestimmen! Letztlich aber haben wir alle kleineren und großen Feuer unter Kontrolle gebracht.

Entscheidung für Deutschland: Fifa-Chef Sepp Blatter (links), Franz Beckenbauer und Fedor Radmann am 6. Juli 2000
Entscheidung für Deutschland: Fifa-Chef Sepp Blatter (links), Franz Beckenbauer und Fedor Radmann am 6. Juli 2000

© dpa/EPA/Walter Bieri

Viele deutsche Firmen fühlten sich bei Ihrer WM-Werbung eingeengt. Hat es die Fifa mit ihren Forderungen übertrieben?

Die Fifa muss ihre Sponsoren schützen, das ist schon richtig. Sie zahlen einen Haufen Geld, daraus ergeben sich Rechte. Eine WM lebt halt schon lange nicht mehr von den Einnahmen aus dem Kartenverkauf. Sonst kannst du keine WM mehr organisieren.

Warum treten Sie 2007 nicht selbst als Fifa-Präsident an?

Na, na, na. Für diese Funktion gibt es keinen Besseren als Sepp Blatter. Er kann mit jedem reden. Ich kann nur Deutsch und ein bisschen Englisch. Der Blatter kann Italienisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, das ist ein riesengroßer Vorteil. Die Fifa ist halt Blatters Leben. Das ist seine Familie. Schauen Sie, er hat keine kleinen Kinder so wie ich. Der hat keine andere Familie.

Herr Beckenbauer, wie schwer war es, nach dem Tod Ihrer Mutter weiterzumachen?

Das Weitermachen wäre auch im Interesse der Mutter gewesen. Ich bin dankbar, dass meine Mutter so lange da war. Sie ist 92 geworden. Da darfst du nicht jammern und meckern. Wenn es dann so weit ist, ist es schmerzhaft. Aber die Dankbarkeit überwiegt.

Denken Sie manchmal daran, was aus Ihnen ohne Fußball geworden wäre?

Ich hätte meinen Weg als Versicherungskaufmann gemacht und wäre vielleicht heute Chef der Allianz.

Was würde der 60-jährige Fernsehkommentator zu dem 20-jährigen Spieler Beckenbauer sagen?

Weiß ich nicht. Ich habe hunderte Bänder zu Hause, auf denen ich zu sehen bin. Ich habe sie mir noch nie angeschaut.

Sie kritisieren lieber andere, zum Beispiel Bundestrainer Jürgen Klinsmann.

Das stimmt nicht. Natürlich habe ich die Mannschaft nach dem Spiel in Italien kritisiert. Ich meine, wenn ein Spiel schlecht war, kannst du nicht als Einziger sagen: Was für ein tolles Spiel! Wie stehst du dann da?

War das 2:2 gegen Japan ein tolles Spiel?

Es fehlt der Mannschaft noch ein wenig an Spritzigkeit, das hat man gesehen. Die größten Probleme macht die Abwehr, die muss noch ihrem Namen gerecht werden. Sie muss abwehren, nicht öffnen.

Also doch Kritik an Klinsmann?

Jürgen Klinsmann habe ich genau ein Mal kritisiert, nämlich als er beim WM-Workshop fehlte. Alle Trainer waren da, nur der Gastgeber hat gefehlt. Es gibt bestimmte Pflichttermine, auch für einen Bundestrainer. Wenn ich eine Aufgabe habe, erledige ich sie. Ich mach doch auch, was von mir verlangt wird und was ich von mir selbst verlange.

Fühlen Sie sich manchmal umhergeschoben?

Nein, weder von einem irdischen noch außerirdischen Wesen. Ich habe Schutzengel, sogar mehrere. Im Straßenverkehr habe ich an manchen Tagen einen Traktor vor mir, da kann ich nicht schnell fahren. Da will jemand, dass ich langsam fahre. Das hat alles seinen Sinn. Stress ist sowieso negativ. Ich kenne viele Leute, die ständig sagen, sie seien im Stress. Die machen es sich selbst schwer.

Sie sagen immer, nach dem WM-Finale am 9. Juli gehen Sie nach Hause. Was wollen Sie dort machen?

Ich bereite mich auf den zweiten Tag nach dem Finale vor. Und ich spiele mit meinem Sohn Fußball. Dann gibt es ein paar Golfturniere zugunsten meiner Stiftung, da kann ich endlich wieder mit Bekannten und Freunden Golf spielen. Ich werde schön langsam abbauen. Ich würde nicht erschrecken, wenn ich morgens aufwache und mich frage: Was tue ich heute den ganzen Tag?

Sie haben doch längst vergessen, wie sich Langeweile anfühlt.

Ja, sicher. Aber man kann auch als Rentner viel machen: Hochschulkurse besuchen, ins Theater gehen, wenn du willst, kannst du ehrenamtlich in einem Kinderheim oder Altersheim aushelfen. Aus dem Fenster rausschauen kann nett sein, aber auf die Dauer … mal sehen.

Haben Sie keine Angst, nach einer so aufregenden Zeit in ein Loch zu fallen?

Irgendwann erreicht jeder seinen Höhepunkt, meiner ist jetzt.

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