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Sport: Frauen-Fußball-EM: Pässe und Popcorn

In Freizeitkleidung, ganz ohne Fußball-Logo, lief Bettina Wiegmann durch die Stadt. "Ich dachte, ich bin inkognito", erzählt die 29-jährige Mittelfeldspielerin der deutschen Fußballnationalmannschaft.

In Freizeitkleidung, ganz ohne Fußball-Logo, lief Bettina Wiegmann durch die Stadt. "Ich dachte, ich bin inkognito", erzählt die 29-jährige Mittelfeldspielerin der deutschen Fußballnationalmannschaft. "aber ich bin angesprochen worden." Wildfremde gratulierten ihr zum Sieg. Wiegmann ist seit März Profi bei den Boston Breakers in den USA, wo Frauenfußball boomt. Doch auf der Straße erkannt wurde sie nicht in der Millionenstadt Boston, sondern im gemütlichen Erfurt, wo die deutsche Mannschaft ihr erstes EM-Spiel am Sonnabend gegen Schweden 3:1 gewann.

So euphorisch wie sonst nur die Amerikaner sind die Thüringer, wenn die Frauen spielen. Die Stimmung ist freilich anders als in der neu gegründeten US-Profiliga, wo die weltbesten Spielerinnen aktiv sind. Besser, findet Maren Meinert, die ebenfalls für Boston kickt. "Die Leute wollen in Deutschland Fußball sehen und kommen nicht nur, um zu essen und einen Familienausflug zu machen." Ein Spiel ohne Popcorn, Cola und Hamburger ist für die Amerikaner undenkbar. "Sie unterhalten sich, aber wenn auf dem Feld etwas passiert, sind sie begeistert", erzählt Wiegmann. "Beim Spielen kriege ich nur mit, dass die Stimmung gut ist. Ob die alle essen, ist mir doch egal."

Spielführerin Doris Fitschen, seit ein paar Monaten Profi bei Philadelphia Charge, hat ihren Wechsel "noch keine Sekunde bereut". Auch wenn sie sich im Stadion eher wie ein Popstar als ein Fußballstar vorkommt. Zehntausend Zuschauer sind keine Seltenheit, viele davon kleine Mädchen, die einen Traum haben: Fußballprofi zu werden. Wenn sie ihre Idole sehen, "kreischen sie wie bei einer Boygroup". Als Fitschen mit anderen Spielerinnen ein Soccer Camp besuchte, um Fans für ihren Klub zu gewinnen, hatte sie erst einen schweren Stand. Eine Deutsche, pah! Weder die drei EM-Titel noch die Bronzemedaille von Sydney beeindruckten die 200 Mädchen zwischen sieben und zwölf Jahren, die alle im selben Trikot mit einem Ball unter dem Arm vor ihr standen. Das Desinteresse änderte sich erst, "als ich erzählt habe, dass ich schon gegen Mia Hamm gespielt habe", erinnert sich Fitschen. Hamm ist der Superstar, die bekannteste amerikanische Sportlerin. "Fortan haben mich die Mädchen mit Fragen gelöchert", erzählt Fitschen.

An quiekende Frauen konnte sie sich schon vor Saisonbeginn gewöhnen. Ihr Eindruck von ihrem neuen Team war nach dem ersten Testspiel jedenfalls grauenhaft: "Sobald eine Spielerin den Ball bekam, rannte sie damit nach vorn und versuchte ein Tor zu schießen. Alle anderen schrien und kreischten laut dazu." In den USA werde direkter gespielt, sind sich Fitschen und Wiegmann einig. "Die Spielerinnen sind schnell und athletisch und spielen viele lange Bälle", sagt Wiegmann, "in Deutschland ist der Frauenfußball aber attraktiver, Technik und direkte Pässe stehen im Vordergrund."

Fitschen wird von ihren Kolleginnen wegen ihrer Aussprache des "th" gefrotzelt. Sie hat die Nase voll von all den Hamburgern ("Ich habe zu viele gegessen."), Wiegmann von der ermüdenden Fliegerei kreuz und quer durchs Land zu Auswärtsspielen. Kleinigkeiten. Denn Wiegmann ist fasziniert vom Leben als Profi. "Ich mache das Gleiche wie in Deutschland, trainiere einmal täglich und werde dafür bezahlt." 40 000 Dollar beträgt das Grundgehalt im Schnitt pro Saison, dazu kommen Sponsorenverträge.

Kommunikationselektronikerin Wiegmann hat von ihrem Arbeitgeber, der Telekom, ein Jahr Sonderurlaub bekommen, "wenn ich länger in Amerika bleiben will, muss ich kündigen." Was sie sich durchaus vorstellen kann, "ich bin ja noch nicht in einem Alter, wo man nichts anderes mehr findet." Betriebswirtin Fitschen kommt "zu 99 Prozent" nach der Saison zurück und beendet ihre aktive Karriere. Der Rücktritt ist für die Rekordnationalspielerin beschlossene Sache. Eigentlich sollte schon nach Olympia Schluss sein, doch dem Angebot aus den USA konnte sie nicht widerstehen. Heute macht die 32-Jährige im zweiten Vorrundenspiel gegen Russland (15 Uhr, live in der ARD) ihr 141. Länderspiel. Danach würde sie gerne noch dreimal für Deutschland auflaufen. Und dreimal gewinnen. Dann wäre Deutschland Europameister. "1989 war meine erste EM, das ist meine letzte. Damals haben wir in Deutschland den Titel geholt, wenn uns das jetzt auch gelänge, wäre es ein runder Abschluss."

Helen Ruwald

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