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Fertig, los. Die deutschen Frauen starten im Olympiastadion gegen Kanada ins Turnier.

© dapd

Frauen-WM-Eröffnungsspiel: Ein Signal zum Start

Sie müssen gewinnen, aber nicht zu hoch. Sie müssen Tore schießen, aber nicht irgendwelche. Die großen Erwartungen machen den WM-Auftakt im Olympiastadion für das deutsche Team kompliziert.

Besser kann man nicht starten in eine Weltmeisterschaft. 11:0 gewann die deutsche Mannschaft bei der WM 2007 ihr erstes Gruppenspiel gegen Argentinien. Eine Fußball-Demonstration. Und trotzdem waren einige der deutschen Frauen danach eher nachdenklich als euphorisch. Mittelfeldspielerin Simone Laudehr merkte an, vielleicht habe sich ihre Mannschaft keinen Gefallen damit getan, die hilflosen Argentinierinnen derart vorzuführen. „Wenn so ein Ergebnis wie 11:0 auftaucht, denkt man vielleicht: Is ja klar, der softe Frauenfußball“, sagte Laudehr. Ähnlich viele Tore werden Laudehr und ihre Mitspielerinnen am Sonntag im Olympiastadion (18 Uhr, live in der ARD) wohl kaum schießen, dafür erscheint der Weltranglistensechste Kanada zu stark. Trotzdem lastet auf den deutschen Nationalspielerinnen ein mehrfacher Druck. Sie müssen nicht nur gewinnen, um sich Selbstvertrauen und eine gute Ausgangsposition in der Gruppe A zu erkämpfen. Es geht auch darum, das richtige Signal für das gesamte Turnier auszusenden.

73 680 Zuschauer werden am Sonntag im Olympiastadion sein. Zu dieser europäischen Rekordkulisse kommt eine weitaus größere Zahl von Menschen, die am Fernseher verfolgen werden, wie die Deutschen ins Turnier starten. Die WM der Männer vor fünf Jahren hat gezeigt, wie wichtig ein begeisterndes Eröffnungsspiel für den Gastgeber sein kann. Damals besiegte die Mannschaft von Jürgen Klinsmann Costa Rica mit 4:2, Philipp Lahms kunstvoller Schlenzer zum 1:0 ist als Startschuss für rauschende Wochen im Gedächtnis geblieben. „Ein Sieg zum Auftakt wäre enorm wichtig, um gut in das Turnier hinein zu finden“, sagt Bundestrainerin Silvia Neid nüchtern. Doch auch sie weiß, dass ihre Mannschaft nicht nur gegen die Kanadierinnen antritt, sondern auch gegen die Erwartungshaltung und die Vorurteile, die die Heim-Weltmeisterschaft begleiten. Nicht umsonst hat Neid gesagt, das Torverhältnis von 15:0 in den vier WM-Testspielen sei ihr eigentlich „too much“ gewesen.

Vom Sieg der Frauen-Nationalelf bei der WM in China vor vier Jahren ist der deutschen Öffentlichkeit hauptsächlich in Erinnerung geblieben, dass Neids Mannschaft im Turnier kein Gegentor hinnehmen musste und den Pokal mit nach Hause brachte. Nicht weniger als einen Durchmarsch scheinen viele nun auch für die WM im eigenen Land zu erwarten. Vergessen ist, dass Deutschland 2007 dem 11:0 gegen Argentinien ein müdes 0:0 gegen England folgen ließ und vor dem Abschluss der Vorrunde gegen Japan unter Druck stand. Auch gegen die Japanerinnen taten sich die Deutschen schwer, gewannen am Ende aber 2:0. Im Endspiel gegen Brasilien hätte Neids Team eigentlich zurückliegen müssen, hatte in Torhüterin Nadine Angerer, die in der zweiten Hälfte auch einen Elfmeter parierte, letztendlich den entscheidenden Rückhalt.

In den Trainingseinheiten seit der Ankunft in Berlin hat die Mannschaft konzentriert gearbeitet, ohne ihre gute Laune einzubüßen. „Von außen wird so ein Druck rein gebracht, dass wir unbedingt zum dritten Mal Weltmeister werden müssen“, sagt Celia Okoyino da Mbabi. „Aber wir freuen uns eigentlich nur tierisch darauf, im eigenen Land eine WM zu spielen. Das wird in unseren Leben nicht mehr vorkommen.“ Auch die für den deutschen Frauenfußball höchst ungewöhnliche Zuschauerzahl flößt den deutschen Frauen eher eine optimistische Stimmung ein als Respekt. „Natürlich beeinflusst einen das, wenn da 70 000 Leute im Stadion sind. Da ist es schwierig, den Tunnelblick zu halten“, sagt Torhüterin Angerer. „Eine gewisse Nervosität ist schon da, aber ein positives Angespanntsein.“

Zehn Wochen lang hat Neid ihre Mannschaft getriezt und getrimmt, an der Vorbereitung wird es sicherlich nicht liegen, wenn die Deutschen nicht Weltmeister werden. „Wir können jetzt nichts mehr machen“, sagte Silvia Neid am Sonnabend. „Es ist alles getan.“

Im Gegensatz zu vielen Beobachtern ist den Spielerinnen klar, dass es nicht selbstverständlich sein wird, als erstes Männer- oder Frauenteam überhaupt den dritten Titel in Folge zu schaffen. „Es ist eine riesige Sache, dass wir zwei Mal Weltmeister geworden sind. Ein drittes Mal wird schwierig“, sagt die 32-jährige Angerer. „Deshalb ist es so gut, dass wir in Deutschland spielen. Wir brauchen die Unterstützung der Leute. In Kanada oder Simbabwe würden wir es nicht schaffen.“

Beim Abschlusstraining im Olympiastadion durften die Spielerinnen am Samstagnachmittag schon mal an der Atmosphäre schnuppern, die sie am Sonntag erwartet. Da allerdings waren die Ränge noch leer. Wie es sein wird, wenn sie voll sind, kann sich keine von ihnen so recht vorstellen. Abwehrspielerin Linda Bresonik hat mit der deutschen U-19-Auswahl schon einmal vor 60 000 Zuschauern gespielt, die WM in China war ebenfalls gut besucht. „Aber es ist ja auch ein Unterschied, ob dich 45 000 Chinesen anfeuern oder 70 000 Deutsche“, sagt Bresonik.

Schon seit Wochen hoffen die Verantwortlichen beim Deutschen Fußball- Bund (DFB) nicht nur auf spannende Spiele, sondern auch auf gutes Wetter. Die Rechnung ist einfach: Wenn die Sonne lacht, die Leute in den Biergärten sitzen und die DFB-Elf guten Fußball zeigt, könnte Deutschland womöglich in die aus den vergangenen Sommern gelernte Jubelstimmung verfallen, von der man danach vielleicht sogar ein bisschen in die neue Frauenfußball-Saison hinüberretten könnte. Schöne Treffer à la Lahm, die man in Zeitlupe und Endlosschleife wiederholen kann, würden dazu besser passen als Eigentore des Gegners oder irgendwie über die Linie gestocherte Bälle. Inka Grings, die im deutschen Angriff höchstwahrscheinlich den Vorzug gegenüber Shooting-Star Alexandra Popp erhalten wird, ist das alles egal. Als Stürmerin wünscht sich die 32-Jährige nichts mehr als viele Tore: „Ein Kantersieg zum Start würde uns gut tun.“

Über den deutschen WM-Triumph vor vier Jahren gibt es eine Dokumentation mit dem Titel „Die besten Frauen der Welt“. Kurz vor dem Ende des Films, zwischen Jubelszenen und einem schwarz- rot-goldenen Fahnenmeer auf dem Frankfurter Römer, kommt die damalige Nationalspielerin Petra Wimbersky zu Wort. „Man muss halt sagen: Bei uns ist alles immer vom Erfolg abhängig“, sagt Wimbersky. „Wenn wir nicht erfolgreich sind, ist es im Gegensatz zu den Männern auch ganz schnell wieder vorbei.“ Daran könnte diese WM etwas ändern. Vorher muss sie aber ein Erfolg werden.

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