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Schulterschluss. Die deutschen Nationalspielerinnen müssen sich nach der enttäuschenden WM Mut zu sprechen.

© dapd

Frauenfußball: Die Bilanz 100 Tage nach der WM

Viele hatten auf den großen Boom gehofft. 100 Tage nach dem Ende der Heim-WM kommen zwar mehr Zuschauer zum Frauenfußball. An den grundsätzlichen Verhältnissen in Bundesliga und Nationalmannschaft hat sich allerdings nichts geändert

Man muss Stefan Raab nicht mögen – dass er mit seinen Shows meist den Zeitgeist trifft, ist aber unbestritten. Insofern verheißt es für den Frauenfußball Schlechtes, was sich in der vergangenen Ausgabe der Pro7-Sendung „Schlag den Raab“ zutrug. In einem Wissensspiel sollten Raab und sein Kandidat abwechselnd Spielerinnen aus dem deutschen WM-Kader benennen. Der Showmaster begann mit „Prinz“, sein Gegner konterte mit „Garefrekes“, worauf Raab „Bajramaj“ einfiel. Der Kandidat rettete sich gerade noch, indem er auf gut Glück „Müller“ sagte: „Müller ist immer dabei.“ Danach – Schweigen. Drei Monate nach dem Endspiel der Heim-Weltmeisterschaft wand sich der hyperehrgeizige Raab gequält und fiel am Ende sogar auf die Knie, ein weiterer Name der 17 restlichen deutschen Fußballerinnen wollte ihm aber nicht einfallen.

Wenn man die sonst sehr verlässliche Allgemeinbildung des Fernsehstars als Maßstab nimmt, könnte man meinen: 100 Tage nach der WM ist der Frauenfußball wieder in Bedeutungslosigkeit und Anonymität verschwunden.

Der Zuschauerschnitt in der Bundesliga ist vordergründig zwar um 39 Prozent von 834 auf 1163 gestiegen, allein Bayer Leverkusens Frauen ziehen weniger Fans an als noch vor der WM. Allerdings ist diese Statistik leicht verzerrt, die kalte Jahreszeit, in denen die Besucherzahlen erfahrungsgemäß zurückgehen, kommt erst noch. Spannender ist die Bundesliga durch die Weltmeisterschaft jedenfalls kaum geworden: Die Tabelle wird nach sieben Spieltagen von den ungeschlagenen Klubs 1. FFC Frankfurt und Turbine Potsdam angeführt, die auch in den vergangenen Jahren die Liga dominiert haben. Der drittplatzierte FCR Duisburg hat immerhin schon einmal Unentschieden gespielt, Turbine und Frankfurt sind bei Torverhältnissen von 22:2 und 26:1 aber noch auf wenig ernstzunehmende Gegenwehr gestoßen.

In Potsdam, wo sich Trainer Bernd Schröder als Hauptkritiker der Frauen-Arbeit beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) betätigt, hat man ohnehin noch nie an einen Boom geglaubt. Zuletzt kamen zwar selbst gegen den Tabellenletzten SC Bad Neuenahr 07 immerhin 2050 Zuschauer, mit der WM hat das laut Turbine aber nichts zu tun. Schon nach dem ersten Saisonspiel gegen den Hamburger SV sagte Schröder, als er auf die große Kulisse von knapp 3000 Fans angesprochen wurde: „Das ist nicht der WM-Effekt, das ist der Turbine-Effekt.“ Siegfried Dietrich, Manager des 1. FFC Frankfurt, warf den Männer-Bundesligisten FC Bayern, Hamburger SV und Bayer Leverkusen im Fachmagazin „Kicker“ zuletzt vor, ihre Frauenteams „aus der Portokasse“ zu finanzieren. Auch in dieser Hinsicht hat sich wenig verändert: Schröder gibt den Einzelkämpfer in Potsdam, Dietrich den gewieften Vermarkter in Frankfurt – und beim DFB setzt man weiter unbeirrt auf Silvia Neid.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, wie schwer sich die Nationalmannschaft seit der enttäuschenden WM tut.

Einen großen Umbruch in der Nationalmannschaft hat die Bundestrainerin vermieden, auch wenn in Birgit Prinz, Kerstin Garefrekes und Ariane Hingst drei wichtige Stützen der vergangenen Jahre zurückgetreten sind. Ihre Wunschformation konnte die Bundestrainerin in den drei Länderspielen seit dem WM-Aus durch das 0:1 gegen Japan im Viertelfinale noch nie aufbieten, weil Kim Kulig (Kreuzbandriss) und Celia Okoyino da Mbabi (erst Syndesmoseverletzung, dann Muskelfaserriss in der Schulter) ausfielen. Alle drei Spiele gewannen die deutschen Frauen zwar, von überzeugenden Auftritten konnte aber keine Rede sein. Weder in den EM-Qualifikationsspielen gegen die Schweiz (4:1) und in Rumänien (3:0) noch im Freundschaftsspiel gegen den WM-Dritten Schweden (1:0) am vergangenen Mittwoch glänzte Neids Mannschaft. „Ich bin in erster Linie mit dem Ergebnis zufrieden. Der Sieg hat uns gutgetan“, sagte die Bundestrainerin nach dem Erfolg über die Schwedinnen. Im rund zur Hälfte gefüllten Stadion am Hamburger Millerntor hatte die Nationalmannschaft vor 12 183 Zuschauern lange Zeit ein ähnlich statisches Bild abgegeben wie bei der WM: Selten gelang einmal eine Kombination über mehrere Stationen, es fehlte sichtlich an Präzision und Kreativität. Silvia Neid will auch deshalb an genau den selben Elementen feilen wie vor der WM.„Wir sind auf einem guten Weg, müssen aber intensiv daran arbeiten, um unsere Technik zu verbessern – Ballannahme unter Druck, Passgenauigkeit, ein Auge für die Mitspielerin haben“, sagte Neid. Während des WM-Turniers waren diese Tugenden allerdings – auch von Neid selbst – zugunsten eines Hauruck-Fußballs über Bord geworfen worden.

Gegen Schweden nahm das deutsche Spiel erst nach der Pause an Fahrt auf, als Neid Alexandra Popp für Inka Grings aufs Feld schickte. Die 20 Jahre alte Popp, die bereits in den WM-Testspielen geglänzt hatte, dann aber doch nicht über eine Reservistenrolle hinausgekommen war, erarbeitete sich viele Chancen und belebte das Spiel der Deutschen merklich.

„Wir strotzen im Moment nicht vor Selbstvertrauen“, sagte Torhüterin Nadine Angerer, die Birgit Prinz als Kapitänin abgelöst hat. „Aber solche Siege sind wichtig, um die positive Arroganz wiederzugewinnen.“ Aussagen wie diese zeigen, dass die verpatzte WM die Mannschaft immer noch beschäftigt. Das deutsche Team hat nun fast zwei Jahre Zeit, bis mit der EM 2013 in Schweden das nächste Großereignis ansteht. Die Qualifikation für die EM dürfte problemlos gelingen, Neid scheint dafür zum großen Teil auf die Spielerinnen der WM bauen zu wollen. Zuletzt rückten auch aussortiert scheinende Spielerinnen wie die Potsdamerinnen Anja Mittag und Viola Odebrecht wieder in den Kader, allerdings kam auch U-20-Weltmeisterin Svenja Huth vom 1. FFC Frankfurt gegen Schweden zu ihrem Debüt im Nationaltrikot. Mit Julia Simic wollte Neid eigentlich eine weitere Hoffnungsträgerin einbauen, die Mittelfeldspielerin vom FC Bayern München riss sich allerdings gleich im ersten Training mit der Nationalmannschaft das Kreuzband. Verteidigerin Babett Peter musste für das Spiel gegen Schweden absagen, weil die Sportsoldatin ihre Teilnahme an einem Feldwebel-Anwärterlehrgang nicht verschieben konnte. Abseits des Vollprofitums zählt das berufliche Vorankommen eben manchmal mehr als ein Länderspiel.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum sich 2012 zeigen wird, ob das Interesse an Frauenfußball anhält.

Im November folgen noch zwei EM-Qualifikationsspiele gegen Kasachstan und in Spanien, danach kommt eine dreimonatige Pause für die deutsche Mannschaft. Dann wird sich 2012 zeigen, ob das leicht gestiegene Interesse am Frauenfußball anhält. Zuletzt hatte eine repräsentative Umfrage ergeben, dass immerhin 59 Prozent der weiblichen Befragten Frauenfußball nicht mehr als Randsportart wahrnehmen; ein Urteil, das etwas mehr als die Hälfte der Männer teilt. 82 Prozent der Befragten waren sogar davon überzeugt, dass das Interesse an der Sportart zumindest nicht abnehmen wird.

Bisweilen fragt man sich aber, ob sich der Frauenfußball immer selbst ernst nimmt. Beim Spiel zwischen Turbine Potsdam und Bad Neuenahr stellte der Stadionsprecher Celia Okoyino da Mbabi als „Okoyono“ da Mbabi vor – ein ärgerlicher Versprecher. Als die Nationalspielerin sich an der Schulter verletzte und kurz vor der Pause ausgewechselt werden musste, schallte erneut „Okoyono“ über die Lautsprecher des Karl-Liebknecht-Stadions: Der Stadionsprecher hatte sich beim ersten Mal offenbar gar nicht versprochen, er wusste schlicht und einfach nicht, wie die 23-Jährige heißt. In diesem Augenblick schien es kaum mehr denkbar, dass das Bild der Offensivspielerin nach ihrem Tor zum 2:0 im WM-Eröffnungsspiel gegen Kanada die Titelseiten fast aller deutschen Zeitungen geschmückt hatte.

Den erhofften Boom hat der Frauenfußball verpasst, eine langfristige positive Entwicklung ist aber möglich. Das konnte man ebenfalls im Karl-Liebknecht-Stadion sehen: Nach dem Schlusspfiff versammelten sich rund 30 Mädchen am Tribünenzaun, um ein Autogramm von Okoyino da Mbabi zu ergattern. Die kleinen Fans wussten genau, wie ihr Idol heißt: Die schrillen „Celia, Celia“-Schreie waren ohrenbetäubend.

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