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Karriereträume am Strand. An der Copacabana in Rio spielt seit Ende 2010 auch ein Frauenteam.

© Jansen

Frauenfußball in Brasilien: Martas Mädchen

Im Macholand Brasilien war Frauenfußball lange verpönt, es gab nicht einmal eine Liga. Erst die Weltfußballerin Marta hat einen Sinneswandel bewirkt – und immer mehr junge Frauen eifern ihr nach, um den Favelas zu entfliehen.

Es dämmert am Strand von Copacabana, aber immer noch sorgen fast 30 Grad Lufttemperatur dafür, dass Mariana und ihre Freundinnen mächtig ins Schwitzen kommen. Zwei Stunden Fußballtraining unter Flutlicht am berühmtesten Strand der Welt lautet die Beschäftigung für die Mädchen vom „Beach Soccer Club“. Sprinten, Slalom durch Holzstangen mit und ohne Ball, Torschussübungen und schließlich ein Abschlussspiel über das ganze Feld – das schlaucht. Das Training findet – mit Ausnahme des Sonntags – an jedem Abend der Woche statt. Zuviel wird es den Mädchen allerdings nicht: „Ich will mal Profifußballerin werden. Da finde ich gut, wenn ich so oft wie möglich trainieren kann“, sagt Mariana. Die schmale 14-Jährige ist die Beste ihres Teams. Findet auch ihre Trainerin Christiane: „Mariana kann vielleicht mal so werden wie Marta“, sagt sie.

Marta – wenn es um Frauenfußball in Brasilien geht, fällt zuallererst der Name der fünfmaligen Weltfußballerin. Die heute 24-Jährige, die ihr Elternhaus mit 14 Jahren verließ, um gegen den Willen ihrer Eltern das Fußballglück in der Großstadt zu suchen, hat Frauenfußball sogar in der Machowelt Brasiliens beinahe gesellschaftsfähig gemacht. Als Marta bei der WM 2007 in China Fans und Medien gleichermaßen verzückte und ihr Team auf Platz zwei hinter Deutschland führte, lobte sogar der große Ronaldo: „Sie spielt wirklich gut. Sie ist schnell und technisch stark.“

Die Leistung des brasilianischen Frauenteams damals war vor allem deshalb so erstaunlich, weil Frauenfußball in Brasilien bis dahin schlicht ignoriert wurde. „Die Silbermedaille bedeutet mir viel. Wir haben bewiesen, dass wir jedes Jahr besser werden, obwohl wir in Brasilien nicht einmal eine Liga haben“, sagte Marta. Im Land des Männer-Rekordweltmeisters wurde Frauenfußball zwischen 1965 und 1982 von der Diktatur sogar verboten. Aber auch nach dem Ende der Militärherrschaft mussten Mädchen, die Fußball spielen wollen, durch die Hölle gehen. Sie wurden nicht selten als „Lesben“ und „hässliche Weiber“ beschimpft. Marta fand, dass nun die Funktionäre am Zug seien, um ihrem Sport auf die Beine zu helfen: „Mehr als je zuvor muss jetzt der brasilianische Verband etwas für uns tun.“ Und nach dem Turnier wurde der brasilianische Fußballverband sogar von der Fifa aufgefordert, endlich für die Einrichtung einer nationalen Liga zu sorgen.

Es hat noch einmal drei Jahre gedauert, aber im Herbst 2010 fand doch tatsächlich die erste echte Fußball-Frauenmeisterschaft Brasiliens statt. Bilder im Fernsehen gab es von diesem Turnier nicht, das brasilianische Fernsehen hat stattdessen lieber Partien aus der zweiten und dritten Herrenliga gezeigt. Marta war auch weit weg, sie spielt derzeit in der US-Profiliga. Zumindest in dieser Hinsicht unterscheidet sich Brasiliens Frauen- nicht mehr vom Herrenfußball: Die Stars der Szene spielen nicht im eigenen Land. Man darf es Marta und Kolleginnen ja auch nicht übel nehmen – während es in Brasilien für Fußballerinnen noch so gut wie nichts zu verdienen gibt, streicht Marta in den USA mehrere hunderttausende Dollar pro Jahr ein.

Von einer solchen Karriere träumen auch die Mädchen am Strand von Copacabana. „Ich würde gern einmal in Europa oder den USA Fußball spielen“, sagt Mariana. Ihr Plan: „Wenn ich dort mein Geld verdiene, nehme ich meine Eltern gleich mit dorthin.“ Den Lebensplan als junge Frau auf Fußball aufzubauen, ist in Brasilien womöglich noch exotischer als in den meisten anderen Ländern. Noch immer sind es vor allem mutige Mädchen aus den Favelas, die am Strand dem Ball hinterherjagen. In den Armensiedlungen Rios spielt es keine Rolle, welche Figur man als Frau abgibt, Eitelkeiten haben keinen Platz, wo es ums tägliche Überleben geht. Körperbetonte Klamotten, in Rios eitler Schicht rund um Copacabana eigentlich Pflicht, kommen für Mariana nicht in Frage: „In meiner weiteren Sporthose kann ich schneller laufen“, sagt sie.

Überhaupt ist es so, dass der Einfluss der nach wie vor überwiegend weißen Oberschicht am Strand von Copacabana mit Sonnenuntergang schlagartig abnimmt. Dann übernehmen die Fußballer in zahllosen Teams das Zepter, und der Strand gehört allen: Ganz egal, welche Hautfarbe man hat oder welcher sozialen Schicht man entstammt.

Dass da nun seit ein paar Monaten auch ein junges Frauenteam mitmischt, ist Trainerin Christiane zu verdanken. Die kräftige 47-Jährige gründete das Team im Herbst 2010, „weil ein Frauenteam einfach fehlte“. Um ihre Familie finanziell über Wasser zu halten, steht die Frau aus der Favela „Santa Marta“ tagsüber in Copacabanas Einkaufszone hinter einem Stand mit Nüssen, Kaugummis, Feuerzeugen und Sonnenbrillen. Für das abendliche Training bekommt sie auch ein bisschen Geld. „Es gibt ein paar Mütter von Spielerinnen, die mir etwas bezahlen“, sagt Christiane. Es sind vor allem die Mütter der wenigen weißen Mädchen im Team.

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