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Sport: Frauenfußball: Schande in kurzen Hosen

Baskenmützen, das waren sozusagen die Schienbeinschoner für den Kopf. Lotte Specht, "die flotte Lotte" genannt, und ihre Kameradinnen setzten die Mützen zum Kicken auf - da tat das Kopfballspielen nicht so weh.

Baskenmützen, das waren sozusagen die Schienbeinschoner für den Kopf. Lotte Specht, "die flotte Lotte" genannt, und ihre Kameradinnen setzten die Mützen zum Kicken auf - da tat das Kopfballspielen nicht so weh. 1930 war das, und was die 18- bis 20-jährigen Mädchen sich gestatteten, "das war eine Schande, eine Frechheit", erinnert sich die heute 89-jährige Lotte Specht, die vor 71 Jahren den 1. Deutschen Damenfußballclub (DDFC) gründete. Frauen sollten turnen, Fußball war ein Sport für Männer. "Damals wehte schon ein brauner Wind. Es hieß, die deutsche Frau raucht nicht und sie spielt nicht Fußball", sagt die alte Dame, die in einem Frankfurter Altersheim lebt.

Von der Kopfbedeckung abgesehen, zogen sich die Frauen so an wie die Männer: Trikots, Sportstrümpfe, Fußballschuhe und kurze Hosen. Die Knie waren, zum Entsetzen der Männer, unbedeckt. Die "Frankfurter Illustrierte" druckte ein Foto von der über den Rasen spurtenden Mittelstürmerin Lotte auf der Titelseite und sorgte für einen riesigen Aufruhr, auch im Hause Specht. Der Vater war Metzgermeister und musste sich von den Kunden einiges anhören wegen seiner übergeschnappten Tochter.

Die 18-jährige Lotte war Mitglied beim FSV Frankfurt, der in der Ersten Liga spielte und viele Anhänger hatte. Lotte Specht ging regelmäßig auf den Fußballplatz. Zum Anfeuern zunächst, doch irgendwann kam ihr der Gedanke, eine Damenmannschaft zu gründen. "Ich war ein bisschen eine Frauenrechtlerin", sagt Lotte Specht. Die Beine wollen nicht mehr so recht, sie muss viel liegen. Das Atmen und das Sprechen machen Mühe, aber wie das damals war, als sie zum großen Ärgernis wurde, das weiß sie schon noch. Und wenn sie ein Detail vergessen hat, schaut sie in ihrem eigenen Archiv nach, geschrieben worden ist in den letzten sieben Jahrzehnten schließlich genug. Lotte Specht war, zunächst als Fußballerin, dann als Kabarettistin und Gründerin der ersten Mundartbühne, eine lokale Berühmtheit.

Eine Frauenrechtlerin also. "Ich habe nie geheiratet und mich immer selber ernährt", sagt sie. "Ich dachte, was die Männer können, können wir auch." Also auch Fußball spielen. In den "Frankfurter Nachrichten" gab sie eine Anzeige auf, in der sie Mitstreiterinnen suchte. Die Eltern waren nicht begeistert, aber sie erlaubten es schließlich. Wohl wissend, dass die Lotte ihren Dickkopf ohnehin durchsetzen würde. Zur Gründungsversammlung kamen "kräftige Mädchen. Sie kamen aus Geschäftshaushalten und waren wohlhabend." Was auch nötig war, schließlich mussten sie Schuhe und Trikots kaufen, und das Geld war knapp.

Über 30 Mädchen meldeten sich, sodass beim Training die erste gegen die zweite Mannschaft spielen konnte. "Die Zuschauer haben mit Kieselsteinen nach uns geworfen", erinnert sich Lotte Specht. Nach dem Training gingen die Frauen in die Kneipe. Lotte Specht macht, während sie im lila Jäckchen im Bett liegt, eine Bewegung, als würde sie ein Glas zum Mund führen, "wir haben Bier getrunken", erzählt die 89-Jährige, "betrunken waren wir aber nicht." Andere Damenteams gab es nicht, aber einmal reiste der DDFC in die Pfalz nach Frankenthal - und spielte gegen Männer. Das Team wurde mit Musik empfangen, das ganze Dorf war auf den Beinen, um die kickenden Frauen zu sehen. Für Lotte Specht war es "das schönste Erlebnis" als Fußballerin.

Der Frankfurter Nationaltorhüter Willibald Kreß lieh seiner Kollegin Anni Reiter seinen Torwartpulli - und schenkte ihn ihr schließlich: Er war ihm zu ausgebeult, vom Busen. Die Herren Funktionäre waren weniger entgegenkommend. Als die Frauen um die Aufnahme in den Deutschen Fußball-Bund baten, wurden sie abgelehnt. "Das fehlt uns gerade noch, dass Weiber Fußball spielen", war die empörte Antwort. Frauenfußball wurde zwar erst 1955 verboten, aber 1930 so vehement bekämpft, dass viele Spielerinnen mürbe wurden. Die Zeitungen schrieben empört von lesbischen Weibern und Suffragetten, die Eltern ließen die Töchter nicht mehr zum Training. Ein Jahr nach der Gründung löste sich die Mannschaft von selber auf, mangels Mitgliedern.

Lotte Specht tröstete sich schnell, versuchte sich auf der Bühne statt vor dem Tor. Fußballfan ist sie geblieben. Sie verfolgt die Spiele des FC Bayern und des Deutschen Frauenmeisters 1. FFC Frankfurt. "Dass die Frankfurterinnen so gut sind, freut mich. Frankfurt ist eben Geburtsstadt des Frauenfußballs," sagt die 89-Jährige. Sechs Frankfurterinnen spielen für Deutschland bei der Europameisterschaft, die am Sonnabend in Erfurt beginnt. Lotte Specht wird im Altersheim vor dem Fernseher sitzen und ihren Nachfolgerinnen die Daumen drücken.

Helen Ruwald

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