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Sport: Freundlich abzocken

In Olympia bleiben die Touristen aus, weil sie eine neue olympische Disziplin fürchten: die Preistreiberei

Das Erste, was einem bei der Ankunft in Olympias putzigem Bahnhof auffällt, sind die weißen Plastiktische. Dort, wo die Gleise neben einem wuchtigen, leer stehenden Gebäude enden, sind sie aufgereiht. Früher standen hier keine weißen Plastiktische, früher stand hier gar nichts. Ein erstes Anzeichen dafür, dass sich die Leute in Olympia auf einen größeren Menschenandrang einrichten.

Und die Anzeichen mehren sich. Ein junger Mann renoviert in aller Ruhe das kleine, sandfarbene Bahnhofsgebäude, im Dorf gibt es inzwischen eine öffentliche Toilette, und gleich neben dem Bahnhof setzen sie gerade einen Parkplatz frisch hinein in die lauschige, grüne Landschaft. Der neue Parkplatz oben im Ort, an der Straße zum antiken Heiligtum, ist schon fertig. Das ist die Ausnahme in der 2300-Seelen-Gemeinde Olympia, die ansonsten daherkommt wie eine Miniaturausgabe von Athen: Überall wird noch ein bisschen gewerkelt, fertig wird man auf den letzten Drücker.

Früher, von den ersten überlieferten Olympischen Spielen im Jahr 776 v. Chr. bis zum Verbot der Spiele durch den römischen Kaiser Theodosius I. im Jahr 393, schoben sich bis zu 40000 Menschen im Hochsommer mit ihren Karren und manchmal wochenlang dem Heiligtum in Olympia entgegen. Alle vier Jahre, zu einem festgelegten Termin. Im „olympischen Monat“, der mit dem ersten Vollmond nach der Sommersonnenwende begann, rumpelten sie zu Hause los. Einen Vollmond später fand dann das Fest statt.

Jetzt wird es wieder voll im Nordwesten der Peloponnes-Halbinsel. Auch wenn sich Archäologen bestürzt zeigten über den Beschluss der Organisatoren, die olympischen Kugelstoßer des Jahres 2004 im antiken Stadion von Olympia um ihre Medaillen kämpfen zu lassen. Die Wissenschaftler fürchten Schäden an den Erdwällen links und rechts des Stadions. Doch auch bei den Einheimischen könnte die kurze, aber heftige Rückkehr der Olympischen Spiele an ihre Wiege am 18. August einen mittleren Schock auslösen. Gerade in diesem Sommer. 15000 Zuschauer und 200 Journalisten werden den Kugelstoßern bei ihrem außergewöhnlichen Treiben zusehen – so viele Besucher sind sie nicht mehr gewöhnt in dem berühmten Flecken in der Präfektur Elis.

„Im Winter hatten wir noch richtig viel Arbeit“, erzählt Theanó Christakopoúlou, „Mädchen für alles“ im zentral gelegenen Hotel Apollon. „Aber im Juni und Juli sind die Touristenzahlen völlig eingebrochen. Ich habe keine Ahnung, warum.“ Womöglich fürchten die Leute die Preistreiberei, eine neue olympische Disziplin. Dabei gibt es zumindest im Apollon, dem zweitgrößten Hotel am Ort, nichts zu befürchten. Theanó Christakopoúlou kramt die Speisekarte hervor und fragt: „Ist das teuer?“ Ist es nicht, und zur Verdeutlichung ihrer guten Absichten lädt die Frau den Gast umgehend auf eine warme Mahlzeit ein. „Wir Griechen sind ein gastfreundliches Volk“, sagt sie und stellt Wasser und Wein auf den Tisch.

Trotzdem langweilen sich die Verkäufer in den Souvernirläden entlang der Hauptstraße. Trotzdem stapeln sich in ihren Geschäften Handtücher, T-Shirts und Tassen, alle bedruckt mit jenen seltsamen olympischen Maskottchen. Und trotzdem haben in Olympia in den letzten Jahren mehrere der einst gut frequentierten Boutiquen mit Goldschmuck dichtgemacht.

Sotíris Papasotiríou, dessen Onkel und Eltern die Taverne „O Kládeos“ ein Stück unterhalb des Bahnhofs betreiben, ahnt warum: die Preistreiber. Taxifahrer, die sich beim Wechselgeld verzählen, oder patzige Verkäufer. „Wir sind schuld“, sagt der 18-jährige Gymnasiast. „Aber genauso der Staat, weil er bei den Preisen oft keine Obergrenze gesetzt hat. Dann fahren die Leute eben in die Türkei, dort gibt es dasselbe wie hier: Strand, Meer, Altertümer – nur billiger.“

Schuld ist aber auch sein Geburtsort. Sotíris Papasotiríou blinzelt über seine Sonnenbrille hinweg und erklärt kurzum: „Olympia ist ein schlechter Ort.“ Eine Hauptstraße mit Geschäften, außer der Ausgrabungsstätte keine besonderen Sehenswürdigkeiten, das sei eben zu wenig, findet er. „Hier will keiner länger bleiben.“ Immerhin führt jetzt der Weg vom noch nicht ganz fertigen Parkplatz vorbei an ihrer Taverne hinunter ans Bächlein Kládeos. Dessen Holzsteg ist mittlerweile durch eine richtige Brücke ersetzt. Von dort geht es hinauf zum Archäologischen Museum und zur antiken Kultstätte. „Früher mussten uns die Leute mit dem Fernglas suchen“, erzählt Sotíris. „Aber wenn der Parkplatz erst einmal fertig ist, sammeln wir hier das Geld ein.“

Am 18. August können er und alle anderen Olympier schon einmal damit anfangen. Wenige Tage zuvor aber herrscht hier noch eine für die Hochsaison fast erschütternde Ruhe. Um drei Uhr nachmittags verliert sich ein einsames Paar. Der Mann wirft sich soeben, wie Tausende vor ihm, mit der Brust voraus über die steinerne Zielschwelle. Seine Frau fotografiert ihn.

An der kleinen Straße oberhalb des Stadions, wo die Kugelstoßer bald zum ersten Mal seit 1611 Jahren wieder um einen Olympiasieg kämpfen werden – und Frauen zum ersten Mal überhaupt –, hält kurz darauf ein Taxi an. Ein Amerikaner hat sich mitsamt Partnerin vor die antike Kulisse kutschieren lassen. Der Taxifahrer knipst die beiden. Eine Minute später fahren sie auch schon wieder, zuvor hat der Mann im weißen Hemd noch eine zweite Aufnahme mit dem Tunnel zum Stadion als Hintergrund angeordnet. Da, so glaubt er und faucht mit Nachdruck, kamen früher die Löwen heraus.

Das allerdings war in Rom.

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