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Sport: Frust, Zorn und Tränen

Die deutsche Bilanz der Schwimm-WM in Melbourne fällt traurig aus

Nicole Hetzer liefen die Tränen über die Wangen. Es war ein leises Weinen, sie konnte nicht anders. „Die Zeit ist blamabel“, sagte sie. 4:45,27 Minuten, damit verpasste die 28-Jährige vom SV Burghausen gestern das Finale über 400 Meter Lagen. Ihre Bestzeit ist mehr als sechs Sekunden besser. Die nächste Negativmeldung der Deutschen bei der Schwimm-WM in Melbourne. Dazu passte, dass Britta Steffen über 50 Meter Freistil nur auf Rang vier schwamm. „Ein bisschen tragisch“, fand sie das. Dass Thomas Rupprath Silber über 50 Meter Rücken gewann, ist nett, zumal er nicht damit gerechnet hatte. „Ich bin leicht erkältet“, sagte er. Aber diese Strecke ist nicht olympisch.

Wäre Örjan Madsen, der deutsche Cheftrainer, ein größerer Zyniker, würde er zufrieden feststellen, dass für ihn in Melbourne der Idealzustand erreicht wurde. „Die Plattform, auf der man steht, muss so brennen, dass man unbedingt auf eine andere Stelle möchte“, sagte der Norweger. „Erst dann ist man bereit für eine radikale Veränderung.“ Die Plattform brennt zurzeit ziemlich heftig. Erstmals seit 1991 gewann eine gesamtdeutsche Mannschaft bei den Beckenschwimmern kein WM-Gold, erstmals in der WM-Geschichte des Deutschen Schwimmverbands (DSV) kam keine einzige Männerstaffel in ein Finale. Dreimal Silber, einmal Bronze, lautet die trübe Bilanz.

Dass der DSV letztlich auf elf Medaillen insgesamt kam, verdankt er den Sparten Kunst- und Turmspringen sowie Freiwasser. Dafür brachen die Beckenschwimmer auf der nach unten offenen Frustrationsskala Tiefstwerte. Jens Thiele, Hamburg, stammelte nach seinem Vorlauf über 200 Meter Rücken: „Ich schäme mich.“ Er war mehr als sechs Sekunden über seiner Bestzeit geblieben. „Wir müssen härter trainieren“, verkündete Madsen. Er meinte körperliches Training, bessere Einstellung, Arbeit an der Psyche. Radikale Änderungen hatte er schon bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr verlangt. Einige Schwimmer wird er aussortieren aus seinem Olympiateam, das kündigte er schon mal an, Namen nannte er nicht.

Aber welche Änderungen radikal ausfallen werden, ist unklar. Madsen steht derzeit vor einem nicht ganz unbedeutenden Problem: „Ich habe keine Erklärung für diese schwachen Leistungen.“ Die Experten sind zerstritten. Stefan Lurz, Trainer von Vize-Weltmeisterin Annika Lurz, erklärte zornig, dass „nur 25 Prozent aller deutschen Schwimmer Hochleistungssport betreiben. Die anderen hätten vor die WM auch die Beine hochlegen können, dann wären sie vielleicht sogar noch schneller gewesen.“ Er will härtere Einheiten. Andere Trainer reden fast mit Abscheu von der „Kilometerschrubberei“. Man müsse vielmehr an den Schwachstellen arbeiten.

Eine Schwachstelle sind ganz sicher Start und Wende. Der Start, das Gleiten unter Wasser, der Übergang von der Gleitphase zum ersten Armzug, ist von enormer Bedeutung. Auffallend viele deutsche Schwimmer, das haben schon diverse Analysen ergeben, starten zu langsam. Auch in Melbourne. Das Problem beherrschen diverse Trainer bis heute nicht. Auch bei den Wenden verlieren die Deutschen zu viel Zeit. Mit noch mehr Kilometern im Wasser ist dieses Problem nicht zu beheben.

Auch Madsens Höhenkonzept ist nicht unbedingt gescheitert. Rückenschwimmer Helge Meeuw hatte in der Sierra Nevada „super trainiert“, schwamm aber über 200 Meter Rücken eine Zeit, „die höchstens für eine Hessenmeisterschaft akzeptabel ist“. Lars Conrad war nicht in der Höhe und blieb um Längen zurück.

Eines ist für Madsen aber klar: Seine Athleten müssen zu Hause öfter mit Mentaltrainern arbeiten, und ein Psychologe muss bis Peking ständig bei der Mannschaft sein. „Die Finanzierung regele ich schon.“ Beim nächsten Höhentrainingslager in Flaggstaff, Arizona, werden die Deutschen zudem mit US-Topstars trainieren und Wettkämpfe gegen die US-Stars absolvieren. Das soll die Wettkampfhärte steigern.

Einen hat die Bilanz schon aufgerüttelt. „Wir müssen härter trainieren“, sagte Thomas Rupprath. „Auch ich.“

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