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Sport: Führung durch Fügung

Ballack entwickelt sich zum echten Kapitän der Nationalelf – heute bestreitet er sein 50. Länderspiel

Solche Worte werden in der Regel erst beim Abschied verdienter Mitarbeiter gesprochen, wenn der Nachfolger feststeht und der Chef nicht den Neid der Kollegen fürchten muss: „Wir haben uns von seiner Ernennung zum Kapitän versprochen, dass er das Zepter noch intensiver in die Hand nimmt, dass er der Mannschaft einen Führungsstil gibt, der angenehm ist und auf das Wohl der Mannschaft ausgerichtet ist. Das hat er umgesetzt. Der natürliche Umgang mit seinem gesamten Umfeld liegt in seinem Naturell. Er strahlt Gelassenheit aus und überträgt sie auf die, die noch nicht so lange dabei sind.“ Nun ist der Mitarbeiter, den sein Chef vor laufenden Kameras derart lobte, zweifellos ein verdienter, von Abschied jedoch kann keine Rede sein. Sein 50. Länderspiel an diesem Sonntag gegen Südkorea wird eine Station auf dem Weg zu weiteren Jubiläen sein. Und was den Neid der Kollegen betrifft, ist das im Augenblick überhaupt kein Thema.

Wenn Jürgen Klinsmann über seinen Kapitän Michael Ballack spricht, verschieben sich, nicht nur rhetorisch, die Dimensionen. Der Bundestrainer, sonst ein Freund des offenen Wettbewerbes um die Plätze in seinem Team, signalisiert unmissverständlich: Egal, was passiert, ob die Form stimmt oder nicht, ob er im Verein aufgestellt wird oder rotieren muss, dieser Michael Ballack ist mein Mann, mein Führungsspieler. Ein Gefühl totaler Sicherheit, 100-prozentigen Vertrauens, welches Ballack in den vergangenen Jahren nicht eben oft erfahren hat. Wie schade, möchte man sagen, für ihn, aber noch viel mehr für seine übrigen Trainer.

Michael Ballack entwickelt sich auf der Asienreise der Nationalmannschaft zu einem Typus, den er, zumindest terminologisch, selbst stets abgelehnt hat: Mit einem Mal ist er ein echter Führungsspieler. Und das nicht nur auf dem Spielfeld. Natürlich ist es Ballack, der als einziger Spieler bisher auf jeder Station zur Pressekonferenz erschien. Natürlich ist es – neben Oliver Kahn – besonders er, den die viel beschworenen jungen Spieler erwähnen, wenn man sie fragt, an wen sie sich wenden, um Aufklärung zu erfahren über die ungeschriebenen Gesetze des Nationalmannschaftslebens.

Apropos Pressekonferenz. Hier nahm Ballack ungefragt Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass nicht alles, was viele jetzt als den Aufstieg aus den Niederungen der Biederkeit beschwören, die Erfindung des neuen Trainergespanns sei: „Man muss sagen, dass Jürgen Klinsmann im Sommer eine intakte Mannschaft übernommen hat. Das hat Rudi Völler nicht einfach so gesagt, nach seinem Rücktritt, das war auch so.“ Ballack, bisher eigentlich eher ein Vertreter dezidierter Unverbindlichkeit, weiß inzwischen, wie wichtig es ist, gelegentlich auf Unverwechselbarkeit zu pochen. Der Hinweis, dass in der im Augenblick wenig angesagten letzten Phase der Ära Völler auch nicht alles furchtbar war, diesen wichtigen Hinweis kann nur einer geben, der weiß, dass dies nicht missverstanden wird als Schmälerung des aktuellen Aufschwungs oder als unstatthafte Melancholie. Ballack ist sich sicher. In diesem Fall und in vielen anderen offenbar auch. Es wäre gewiss übertrieben, auch diese Entwicklung dem Wunderdoktor Klinsmann zuzuschreiben. Aber immerhin hat jener diagnostiziert: „Wie wir alle hat Michael Ballack in den letzten Monaten eine große Entwicklung seiner Persönlichkeit durchlebt.“

Nun werden Fußballspiele nicht auf Konferenzen gewonnen, sondern auf dem Rasen. Gewiss, Gegner Japan hatte, so stellte Ballack fest „gegen uns nicht den besten Tag“. Und dennoch: Im Stadion zu Yokohama, wo er während des WM-Endspiels 2002, für das er gesperrt war, vor Aufregung immer mal wieder in den Katakomben umherlief, zeigte Ballack jetzt, dass die Entwicklung seiner Persönlichkeit offenbar einen unmittelbar leistungsfördernden Effekt mit sich bringt. Aus diesem Anlass sollen ausnahmsweise alle Worthülsen bemüht werden: Er forderte permanent den Ball. Er war stets anspielbar. Ihm war kein Weg zu weit. Und er krönte seine Leistung mit einem Traumtor. Genauso war es! Felix Magath, der Ballacks Trainer beim FC Bayern, sollte sich das Videoband mal kommen lassen.

Moritz Müller-Wirth[Busan]

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