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Langsamer, aber noch genauso beliebt.

© dpa

Sport: Für Geld und gute Laune

Ronaldinho und andere Stars sind in ihre Heimat zurückgekehrt – und bescheren Brasiliens Fußball einen Boom

Gleich zwei Fitnesstrainer des „Clube de Regatas do Flamengo“ haben sich in den letzten 14 Tagen um Ronaldinho gekümmert. Es hat nicht gereicht – trotz jeweils zweier schweißtreibender Trainingseinheiten am Tag bei 35 Grad in der Sommerhitze von Rio de Janeiro. Der neue Superstar von Flamengo ist auch am dritten Spieltag der „Carioca“, der Regionalmeisterschaft von Rio de Janeiro, noch nicht fit. Die Pfunde, die sich der Weltfußballer von 2004 und 2005 bei seiner letzten Europa-Station beim AC Mailand offenbar aus Kummer angefuttert hat, sind doch hartnäckiger als gedacht.

Eigentlich hatten die Flamengo-Verantwortlichen das Spiel am Mittwochabend gegen Außenseiter Americano für den ersten großen sportlichen Auftritt von Ronaldo de Assis Moreira, so Ronaldinhos kompletter Name, ausgeguckt. Das große Maracana-Stadion ist derzeit wegen Renovierungsarbeiten gesperrt, daher war die Partie extra in den rund 150 Kilometer nordöstlich von Rio gelegenen Provinzort Macae verlegt worden. Der Zuschauerrekord für ein Fußballspiel im dortigen Stadion, das 15 000 Fans fasst, lag bislang bei rund 5500 Zuschauern. Die 8000 Tickets, die man für den Flamengo-Auftritt sicherheitshalber nur in den Verkauf gegeben hatte, waren innerhalb von zwei Stunden restlos vergriffen. Ganz Rio steckt im Ronaldinho-Fieber, so wie die Rückkehr vieler brasilianischer Profis dem Fußball in ihrer Heimat einen gewaltigen Schub verpasst hat.

Als Flamengo Anfang Januar die Verpflichtung des verlorenen Sohns bekannt gab, brach die Webseite des beliebtesten Klubs Brasiliens sofort zusammen. Als Vereinspräsidentin Patricia Amorim den 30-Jährigen offiziell auf dem Vereinsgelände Flamengos begrüßte, sorgten mehr als 20 000 Fans für ein Verkehrschaos. Trikots mit Ronaldinhos Namen und der selbstverständlichen Nummer 10 auf dem Rücken wurden den Verkäufern aus den Händen gerissen. Stolze 159 Real kostet ein Ronaldinho-Hemd, das sind rund 75 Euro. Man kann das Trikot auch abstottern – Flamengo bietet seinen Anhängern eine Ratenzahlung über zehn Monate an.

Rund 650 000 Euro pro Monat soll der in Porto Alegre groß gewordene Held des brasilianischen Fußballs in den nächsten vier Jahren verdienen. Das ist selbst für einen Klub mit geschätzten 35 Millionen Anhängern ein stolzer Betrag. Flamengo ist in Brasilien der Klub der Arbeiterklasse. Während Lokalrivale Fluminense eher bürgerliche Anhänger hat, lebt der Großteil der „Fla“-Fans in Favelas, den Armensiedlungen der Städte. Umso erstaunlicher ist, dass sich niemand an dem teuren Engagement reibt. Die Gedankenwelt der Fans traf Klub-Präsidentin Amorim, eine ehemalige Leistungsschwimmerin, ziemlich auf den Punkt, als sie zur Begrüßung meinte: „Der Transfer erfüllt mich mit Stolz, Freude und Befriedigung.“ Zwei Großunternehmen musste Flamengo als Sponsoren aufbieten, um den Deal stemmen zu können. Die beiden Partner, eine Bank und ein Lebensmittelkonzern, werden ihre Unterstützung auf etwa 25 Millionen Euro jährlich verdoppeln.

Für Flamengo und andere Klubs gibt es in Brasilien ganz neue Möglichkeiten, was zum einen mit dem Wirtschaftsboom in Brasilien zusammenhängt. Im Windschatten Chinas entwickelte sich der südamerikanische Riese zuletzt wie sonst kein Land der Welt. Öl und Immobilien sind die boomenden Geschäftsfelder, der Real als Währung holte an Wert gegenüber Dollar und Euro zuletzt fulminant auf. Gerade im Hinblick auf die WM 2014 in Brasilien und Olympia 2016 in Rio de Janeiro stehen die Investoren geradezu Schlange.

Zum anderen hat ein anderer Großer eine Art Lawine losgetreten: Seit der dreimalige Weltfußballer Ronaldo im Winter 2009 nach 15 Jahren in seine brasilianische Heimat zurückkehrte und bei den Corinthians in São Paulo unterschrieb, sind die Einnahmen aller brasilianischen Topklubs förmlich explodiert. Trotz Übergewichts und dem fortgeschrittenen Alter von 34 Jahren löste Ronaldo einen bis dahin selbst im Fußballland Brasilien nicht für möglich gehaltenen Boom aus. Die Zuschauerzahlen fast aller Klubs stiegen um bis zu 100 Prozent, durch den Fernsehrechte-Inhaber O Globo fließen TV-Millionen in die Liga, die vor wenigen Jahren noch als unmöglich galten. Die großen Vereine zahlen mittlerweile Gehälter, die auf dem gleichen Niveau wie die der Großklubs in Europa liegen.

Brasilien, das jahrelang Fußballer exportierte, hat diesen Trend umgekehrt. Nach Ronaldo wechselte 2010 Roberto Carlos von Fenerbahce Istanbul ebenfalls zu Corinthians, im Sommer folgte Elano von Galatasary zum FC Santos. Der gebürtige Brasilianer Deco und Belletti, beide beim FC Chelsea unglücklich, wechselten zu Fluminense, wo sie mit dem ehemaligen Lyon-Stürmer Fred Brasilianischer Meister wurden. Selbst Rivaldo, zuletzt bei Bunyodkor Taschkent in Usbekistan angestellt, läuft im Alter von 38 Jahren noch einmal für den FC São Paulo auf. Auch jüngere Stars sind zurückgekehrt, Robinho ließ sich 2010 für ein halbes Jahr von Manchester City an den FC Santos ausleihen. „Es zählt nicht immer nur der Kontostand, es zählt vor allem auch der Spaß am Fußball“, sagte der 26-Jährige.

Ronaldo selbst genießt in Brasilien den „geringeren Kraftaufwand in den Spielen“ und den höheren Freizeitwert. Tatsächlich werden den Profis private Fehltritte viel eher verziehen als im strengen Europa. So ist beispielsweise der „Posto 9“, der beliebteste Strandabschnitt in Rios Edelviertel Ipanema, ein Geheimtipp für Stars und Sternchen. Dort sind auch ein paar der alten und neuen Fußballstars regelmäßig anzutreffen. „Von São Paulo ist es mit dem Flieger ja auch nur eine knappe Dreiviertelstunde bis Rio“, umschrieb Ronaldo jüngst die Lebensqualität in seiner neuen, alten Heimat.

Ronaldinho formulierte bei seiner Vorstellung ein hehres sportliches Ziel: „Ich möchte den Fans durch meine Leistungen jene Liebe zurückgeben, die sie mir hier entgegengebracht haben. Und ich möchte in die Seleçao zurückkehren, um mit ihr gemeinsam die WM 2014 im eigenen Land zu bestreiten“, sagte er unter dem Jubel der Fans. Bei vielen Experten herrschen Zweifel am Gelingen dieses Plans – Ronaldinho ist zweifelsohne langsamer geworden, zudem fiel er in den letzten Jahren in Barcelona und Mailand eher durch eine ausufernde Teilnahme am Nachtleben auf als durch seine früher so unwiderstehlichen Dribblings.

Das Spiel in Macae gewann Flamengo am Mittwoch auch ohne seinen neuen Star, beim 2:0-Sieg sprang ein anderer Neuzugang in die Bresche: Thiago Neves, der von Al Hilal aus Saudi Arabien nach Rio zurückkehrte. Noch im Sommer 2008 steckte Thiago Neves für ein paar Monate im Trikot des Hamburger SV. Bevor er im Winter die Hansestadt fluchtartig wieder verließ.

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