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Sport: Für wahre Fußballfreunde gibt es sonnabends nur einen Pflichttermin: 17 Uhr vor dem Radio

Und es gibt sie doch noch, die heile Fußballwelt. Ohne Marktgeschrei oder anderen artfremden Klamauk.

Und es gibt sie doch noch, die heile Fußballwelt. Ohne Marktgeschrei oder anderen artfremden Klamauk. Sogar ohne Fernsehkameras. Kann man sich das vorstellen? Aber ja. Fußball im Hörfunk. Öffentlich rechtlich von Augenzeugen für Ohrenzeugen. Jeden Sonnabend spätestens um 17 Uhr ist die Bundesliga-Welt wieder völlig in Ordnung. Unverändert und unverfälscht seit mehr als dreißig Jahren. Hier hat der Fußball alle feindlichen Übernahmen oder fürsorglichen Belagerungen überstanden. Und für uns Hörfunkfreaks ist die "Schlusskonferenz" schlicht Kult.

"Tor in Kaiserslautern, Elfmeter in Hamburg, Rote Karte in München, noch ein Tor in Kaiserslautern, gleich zwei in Freiburg", Reporter brüllen durcheinander im Minutentakt, kein Höhepunkt geht verloren, eine Viertelstunde lang bin ich auf allen Plätzen dabei, auf denen gespielt wird. Das ist spannend, kompakt und mittendrin. Nicht nur in der ersten Reihe. Außerdem glaub ich Manni Breugmann oder Tom Bayer sowieso mehr als jedem Sat-1-Knecht. Wenn der Effenberg nämlich mal wieder spielt wie eine Bratwurst, dann sagen die das auch. Überhaupt haben sie kein Interesse daran ihr Produkt, was ja nicht ihres ist, hoch zu reden. Sie müssen nix beschönigen oder verschweigen. Sie dürfen schreien, wie Herr Koch, der am letzten Spieltag der vergangenen Saison mit seinen Cluberern gleichsam mitabgestiegen ist, und immer nur noch schrie: "Ich will das nicht mehr sehen, ich kann das nicht mehr sehen, ich will das nicht mehr sehen ..." Und wir mussten das auch nicht und litten mit ihm.

Bei mir hat die Natur es so gefügt, dass ich "ran" am Sonnabend noch nie gesehen habe. Weil ich es nicht sehen konnte. Nein, mein Augenlicht ist völlig in Ordnung. Ich verbringe nur die Wochenenden unter hohen Bäumen in einem Blockhaus in Schleswig-Holstein. Ein sehr angenehmer Ort für mich, ein unwirtlicher für Privatsender. Kein Kabel und keine Schüssel der Welt können mir ihre Botschaften hierher vermitteln. So gesehen liegt es nahe bei Dresden, als es die DDR noch gab. Dass ich trotzdem nicht ahnungslos bleiben muss, dafür sorgt mein geliebtes "Hörgerät", das ich immer um 17 Uhr in meiner Nähe habe.

Im Übrigen ist der Ort, was Fußball betrifft, der Geschichtsträchtigste, den Schleswig-Holstein zu bieten hat. Wobei Schleswig-Holstein im Fußball sonst fast gar nicht stattfindet. Ich muss nur zwei Kilometer nördlich durchs Unterholz stapfen, dann bin ich schon in der Sportschule von Malente. Da wachten schon Weltmeister auf. Und wo kann ich sonst gleichzeitig den Pirol und Manni Breugmann hören? Wo den Enten im Flug zuschauen, auf der Wiese liegen, ein Kaltgetränk zu mir nehmen und der Lyrik von Edgar Endris lauschen: "Super Elber, Elber allein im Strafraum, was macht er? Lupfer! Tor!! Ein Wahnsinnstor, die Bayern führen 3:1!" Im Fernsehen geht das natürlich nicht. Neulich hat Tom Bayer mal von einem Spiel mit folgenden Worten berichtet: "Ein grauenhafter Kick, Not gegen Elend, seien sie froh, dass sie das nicht mitansehen müssen." Und sofort war ich froh. Natürlich wird auch Stuss geredet. "Von 20 Toren haben die Bayern 16 in der zweiten Halbzeit erzielt, eine Wahnsinnsquote." Das ist natürlich Quatsch. Aber angesichts zweier kopulierender Buntspechte auf der einen, und einer Wasserpistolen-Attacke des Sohnes von der anderen Seite - durchaus zu vernachlässigen. Ebenso wie Sabine Töpperwien.

Überhaupt ist es am schönsten im Mai. Nicht nur weil alles sprießt, sondern weil die Liga da meist zu Ende geht und an den beiden letzten Spieltagen finden die Spiele komplett am Sonnabend statt. Das sind dann sozusagen die Schlussschlusskonferenzen. Und die höchsten Feiertage des Mediums Hörfunk. Niemand ist gleichzeitiger und aktueller, die Tore werden einem nur so um die Ohren gehauen. Weil man sie nicht sehen kann, stellt man sie sich vor. Und die Erfahrung lehrt: manch gehörtes Tor sah schöner aus als später gesehen. Pünktlich zum Abpfiff weiß ich hier hinter den sieben Bergen bei den sieben Seen als Erster, wer Meister geworden ist, wer in die 2.Liga marschiert, und wer für den Europapokal qualifiziert ist. Alle anderen müssen noch eine Stunde auf "ran" warten.

Johannes Taubert

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