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© dpa

Fussball-Bundesliga: Herthas Bauhaus ist noch im Bau

Die Berliner verlieren manch wichtigen Punkt wegen taktischer Dummheiten – besonders gegen defensiv eingestellte Mannschaften. Und am Sonnabend kommt Mönchengladbach.

Gojko Kacar ist in diesen Tagen öfter auf dem Matterhorn. Das müsste seinem Trainer Lucien Favre gefallen, schließlich ist der Mann Schweizer und als solcher den Bergen zugetan. Es ist nur leider so, dass der Fußballspieler Kacar schon seit ein paar Monaten nicht Fußball spielen kann und sich zur Rekonvaleszenz auf virtuellen Gipfeln herumtreibt. In der Höhenkammer auf dem Trainingsgelände von Hertha BSC, wo so dünne Luft simuliert wird, wie sie 4500 Meter über dem Meeresspiegel herrscht, zum Beispiel auf dem Matterhorn. Wann er wieder fit ist? Diese Frage beantwortet Favre mal mit einem Kopfschütteln, mal mit erhobenen Armen. In zwei Wochen? Oder drei?

Am Samstag wird Kacar sich das Spiel gegen Borussia Mönchengladbach mal wieder von der Tribüne anschauen. Vom Tabellenletzten steht nicht zu erwarten, dass er das Olympiastadion im Sturm nehmen will. „Auch gegen solche Mannschaften musst du Geduld haben, bis deine Chance kommt“, sagt Favre. Gegen defensive Mannschaften tut sich Hertha schwer, das war zuletzt bei den Auswärtsspielen in Bielefeld (1:1) und Wolfsburg (1:2) zu sehen. Beide Male schaffte es Hertha nicht, eine 1:0-Führung in drei Punkte zu verwandeln. Das Hinspiel gegen Gladbach gewann Hertha 1:0, Torschütze: Gojko Kacar.

Kacar ist für Hertha so wichtig wie Fabregas für Arsenal

Lucien Favre würde Hertha gern so spielen lassen wie Arsène Wenger den FC Arsenal. Doch im Londoner Norden stehen bekanntlich andere Mittel zur Verfügung als im Westen Berlins. Wenger kann für seinen Einkontaktfußball überragende Begabungen aus der ganzen Welt verpflichten, Spieler wie Alexandre Song (Kamerun), Samir Nasri (Frankreich) oder Carlos Vela (Mexiko); gerade erst investierte Arsenal 17 Millionen Euro in den Russen Andrej Arschawin. Favre war froh, dass er vor einem Jahr drei Millionen für Gojko Kacar ausgeben durfte.

In Herthas System ist der Einzelne nichts und das Kollektiv alles. Das klingt schön in der Theorie, in der Praxis aber lässt sich einer wie Kacar kaum ersetzen. Trotz seiner erst 22 Jahre verfügt der Serbe über das Gespür dafür, wann er den Rhythmus beschleunigen muss und wann er das Tempo besser herausnimmt. Sein Spiel ist geradlinig, seine Schusstechnik annähernd perfekt, mit seiner Dynamik bringt er offensive Gegner ebenso in Verlegenheit wie mauernde Fußballverweigerer. Gojko Kacar ist für Hertha, was Cesc Fabregas für Arsenal ist. Ohne die Antriebskraft des verletzten Spaniers taumelten die Londoner zuletzt zu drei torlosen Unentschieden, die Champions-League- Plätze sind sechs Punkte entfernt, und die Kritik nörgelt über uninspiriertes Quergeschiebe.

Für Favre kommt auf dem Platz erst die Intelligenz, dann die Technik

So viel als Trost für Lucien Favre, dessen Mannschaft den Verlust ihres Schlüsselspielers sehr viel besser verkraftet hat. Es zählt zu den ironischen Noten dieser seltsamen Saison (und spricht für Favres taktisches Geschick), dass die Berliner den Sprung auf Platz eins ohne Kacar schafften. Aber mit ihm hätten sie diese Tabellenführung wahrscheinlich ebenso verteidigt wie die 1:0-Führung am Samstag in Wolfsburg. Hertha ist in diesem Spiel ein reguläres Tor aberkannt und mit einem irregulären Gegentor gestraft worden. Über diese Fehler des Schiedsrichters hat Favre sich geärgert, aber das war schnell abgehakt. Schwerer trafen ihn die Fehler seiner Spieler. Dieser unverhoffte Anflug von Offensivromantik, der auf den Flügeln Platz schuf für zwei entscheidende Wolfsburger Flanken und noch einige mehr. Am Ende verlor Hertha auch durch taktische Dummheit.

Für Lucien Favre kommt auf dem Fußballplatz erst Intelligenz und dann die Technik. Er hat einmal gesagt, es gebe da eine universelle Sprache, die alle Fußballspieler verstehen, sie heißt jouer juste, richtig spielen. Kontrolliert, einfach, schlau. Auf diese Weise ist Hertha durchgestartet bis an die Tabellenspitze. Mit einem Fußball, dessen Architektur weniger an Art Deco denn an Bauhaus erinnert. Und doch ist Hertha BSC keine Mauermannschaft, sondern eine, die auf ihre Gelegenheiten wartet, die dabei aber durchaus anmutig verteidigen kann, ohne blinde Befreiungsschläge, dafür mit schnellen Kurzpässen, an deren Ende oft der entscheidende Konter steht.

In Wolfsburg funktionierte das System nur bis zu Herthas Führung

In Wolfsburg funktionierte dieses System lange Zeit perfekt. Dass nach dem Führungstor alle Ordnung zusammenbrach und die Berliner dieselben Fehler begingen wie sonst ihre Gegner, hat den Trainer zu dem Satz provoziert, man müsse „auch das Gute an dieser Niederlage sehen“. Das Gute an dieser Niederlage war, dass Favre seiner Mannschaft eine Woche lang an einem perfekten Beispiel zeigen konnte, wie sie es gegen Gladbach auf keinen Fall machen darf.

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