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Hoch hinaus. Nadia Nadim hat für Dänemarks Nationalteam mittlerweile 73 Spiele absolviert. Nun will sie im EM-Viertelfinale heute auch Deutschland besiegen.

© AFP

Fußball-EM der Frauen: Nadia Nadim – Dänemarks "Zlatan"

Deutschlands heutiger Viertelfinal-Gegner Dänemark setzt auf Nadia Nadim. Einst flüchtete sie aus einfachen Verhältnissen in Afghanistan.

Nadia Nadim hat derzeit stets ein Lächeln auf ihren Lippen. Von Anspannung ist bei der Dänin vor dem EM-Viertelfinale gegen Deutschland an diesem Samstag in Rotterdam (20.45 Uhr/ZDF und Eurosport) nichts zu spüren. Als die Flügelspielerin am Donnerstag vor dem Training ihrer Mannschaft in der Nähe von Arnheim den kräftig gebauten Co-Trainer Sören Rand-Boldt sieht, ruft sie im Scherz: „Oh, da ist ja unser Diego Maradona!“ Rand-Boldt schnappt sich daraufhin einen Ball und versucht, die 29-Jährige damit zu treffen – doch es misslingt ihm.

So fröhlich, wie es ihre lockere Art vermuten lässt, verlief Nadims Leben nicht immer. Die dänische Offensivspielerin stammt aus einfachen Verhältnissen in Afghanistan. Ihr Vater schenkte ihr eines Tages einen Fußball, ein Relikt der 70er-Jahre mit schwarz-weißen Fünfecken. „Meine Schwestern und ich wussten eigentlich gar nichts über Fußball, darum haben wir damit Volleyball und andere Spiele gespielt“, erzählte Nadim bei Fifa.com. Es sind Erinnerungen aus einer anderen Zeit. Denn 2000 verschwand ihr Vater, die Taliban verschleppten ihn. Die damals Zwölfjährige wusste, dass er nie mehr zurückkehren würde.

Seit dem vergangenen Jahr spielt Nadim in den USA

Damit die Familie nicht weiter in Angst leben musste, beschloss ihre Mutter, mit Nadim und deren vier Schwestern nach Europa zu fliehen. Mit gefälschten Pässen gelangten sie aus Afghanistan über Pakistan nach Italien – mit dem Ziel, es bis nach England zu schaffen.

Doch so weit kamen sie nicht. Stattdessen landeten sie in einer Flüchtlingsunterkunft im dänischen Aarhus. „Ich war dort eigentlich ziemlich glücklich, aber natürlich habe ich meinen Vater vermisst“, sagt Nadim. Der Fußball sollte zu ihrem Fluchtpunkt werden. Sobald sie nach der Schule freihatten, spielte sie mit ihren Schwestern Fußball. Und doch fiel es ihnen schwer, die kulturellen Fesseln zu sprengen. „Selbst in Dänemark, wo Frauen alles tun können, hatte ich noch das Gefühl, dass ich etwas Verbotenes tue“, sagt Nadim.

Es dauerte nicht lange, bis Nadims Talent auf einem Betonplatz entdeckt wurde. Sie spielte zuerst für den GUG Boldklub und danach bei einigen dänischen Erstligisten. Schließlich debütierte sie 2009 beim Algarve Cup für ihre neue Heimat. Heute sagt sie: „Es ist eine Ehre, Teil des dänischen Nationalteams zu sein.“

Seit dem vergangenen Jahr spielt Nadim in den USA bei den Portland Thorns, wo die ehemalige deutsche Nationalspielerin Nadine Angerer Trainerin der Torhüterinnen ist. Aber nach der EM wird die 73-fache dänische Nationalspielerin wahrscheinlich zu einem europäischen Topklub wechseln.

Vor vier Jahren stieß Dänemark bis ins Halbfinale vor

Nadim ist nicht nur auf dem Platz vielseitig: Die Nichte der afghanischen Popsängerin Aryana Sayeed spricht neben Afghanisch und Dänisch sehr gut Englisch und Deutsch. Zudem studiert sie in Dänemark Medizin, wenn die US-Profiliga pausiert. „Einmal viel Geld zu verdienen und anderen Menschen zu helfen, ist eine Win-win-Situation“, sagt sie.

In Dänemark ist Nadim ein Star. Kurz vor der EM drehte ein TV-Sender eine mehrteilige Dokumentation über sie, die Zeitungen nennen sie „Dänemarks Zlatan“, in Anlehnung an den schwedischen Stürmer Zlatan Ibrahimovic. Bei der EM 2013 in Schweden trug sie in jedem Spiel ein buntes Haarband, viele Mädchen in Dänemark eiferten ihr nach.

Vor vier Jahren stieß Dänemark bis ins Halbfinale vor, scheiterte jedoch im Elfmeterschießen an Norwegen. Das will Nadim nun mindestens wiederholen, wobei ihr die Stärke des Gegners natürlich bewusst ist. „Deutschland ist achtfacher Europameister, das ist etwas Großes. Aber wir hoffen, als Erste Deutschland zu schlagen.“ Glück bräuchten sie dafür nicht, findet Nadim: „Ich glaube nicht an Glück. Ich vertraue in unsere Fähigkeiten.“

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Paul Schönwetter

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