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Barcas Fußballschule in Warschau: Der spanische Kick

Der FC Barcelona betreibt in Polen eine Nachwuchsschule – bei der Fußball für die Kinder vor allem eins ist: Spaß am Spiel.

Irgendwann im vergangenen Sommer hört der Vater etwas, das er erst nicht glauben kann – das aber dann sein weiteres Leben umkrempeln sollte: Der FC Barcelona würde eine Fußballnachwuchsschule in Polen gründen.

In Polen!

Der FC Barcelona!

Der Verein, der seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu den erfolgreichsten Clubs Europas gehört, der vier Mal die Champions League gewann, der Xavi hervorgebracht hat, einen der besten Mittelfeldspieler der Welt, und Messi, dreimal Weltfußballspieler, jener schier unschlagbare Torjäger, der in Form von Postern, Bildern, Ausrissen, Fotos das Zimmer seines Sohnes Bartek, acht Jahre alt, schmückt. Der Verein auch, der Fußballschulen in Japan, Dubai, Ägypten, Hongkong, Kuwait und Peru errichtet, aber – außerhalb von Katalonien – keine einzige in Europa.

Dieser Verein also würde eine Fußballschule in Polen errichten?

Schon das Gerücht versetzte das Land in Aufruhr. Die Politiker schwärmten aus, um zu befördern, was zu befördern war. „Ein ,Fußball-Harvard’ entsteht in Warschau“, jubelten polnische Medien und fragten euphorisch: „Kommt der nächste Messi aus Polen?“

Ein knappes Jahr später steht Robert Misiak, der Vater, am Spielfeldrand in Warschau, wieder mal. Vier Mal pro Woche trainiert sein Sohn inzwischen an der Escola Varsovia, so heißt die Fußballschule des FC Barcelona, die tatsächlich kam. Trainiert wird im Westen Warschaus, im Trainingszentrum Bemowo. Viermal pro Woche fährt Misiak seinen Sohn hierher. Viermal pro Woche im Auto quer durch die übervollen Straßen der Hauptstadt – und wieder zurück. Zeitlich bekommt der Vater das gerade noch hin. Er sagt: „Ob ich und Bartek so motiviert wären, wenn wir es noch weiter zur Schule hätten, bin ich mir nicht sicher.“

Ich und Bartek.

Es gibt auch Jungs in der Trainingsgruppe, die dreimal pro Woche mehrere Hundert Kilometer nach Warschau gefahren werden, aus Stettin, Lublin oder Krakau. Ein Junge aus Westpommern zog mit seiner alleinerziehenden Mutter nach Warschau. Sie verkauften ihre Wohnung und fingen hier bei null an. Und das alles für die Schule – und für die Hoffnung.

Viele Eltern gehen davon aus, dass ihre Kinder, wenn sie zur Barcelona-Schule gehen, auch eine große Karriere machen. Oft übertragen Väter eigene unerfüllte Wünsche auf ihre Söhne. Die Schule sieht sich bereits in der Pflicht, diese Erwartungen zu dämpfen.

Auf dem Rasen absolvieren die Kinder ihr Training. „Schneller! Schuss! Falsch! Noch mal!“ Pausenlos wiederholen die Spieler denselben Ablauf. Der Trainer ist gnadenlos. Lob kommt selten. Bartek hat sein dunkelblau-rot-gestreiftes T-Shirt an, er kann es bis zu den Knien in die Länge ziehen. Ein Trikot der Barcelona-Fußballprofis. Das echte und offizielle, nur in einer Miniversion, für etwas jüngere Spieler. „Schau mal, jetzt mache ich es wie Messi!“, ruft Bartek und rutscht über den Rasen Richtung Ball. Der Trainer geht dazwischen. „In Zukunft wirst du vielleicht mal wie Messi sein, aber versuche es jetzt erst mal richtig zu machen. Das reicht zunächst.“ Bartek soll vom Fußrücken schießen und gerade.

Vater Misiak hat früher mal in der dritten Liga gespielt. Weiter kam er nicht. Er wurde Koch und ist heute Inhaber eines Restaurants. Nein, sagt er. Seine Träume haben nichts mit seinem Sohn zu tun. Aber er freue sich über dessen Begeisterung. In Polen, dem Land, das ab Freitag Gastgeber der Europameisterschaft ist, ist diese Begeisterung allerdings eine allgegenwärtige. Zwar hat Polen kein überdurchschnittlich gutes Team, aber Fußball ist die populärste Sportart im Land. In Polen spielt fast jeder Junge Fußball, jeder Vater träumt von der Karriere seines Sohnes. Ministerpräsident Donald Tusk nutzt immer noch jede Gelegenheit, sich als Freizeitspieler zu betätigen. Seine Regierung wollte landesweit Hunderte von Fußballplätzen, sogenannten „Orliki“, für Kinder und Jugendliche errichten. Das Fernsehen überträgt sogar Benefizspiele zwischen Politikern und Schauspielern. Barcelona hat hier besonders viele Fans, angeblich war das in Spanien einer der Gründe, sich für Polen zu entscheiden.

Der große Traum und das Geld

Umgerechnet etwa 50 Euro plus einmalig 90 Euro im Jahr für die Ausrüstung kostet die Barcelonaschule – in einem Land mit 360 Euro Mindestlohn ist das nicht wenig. Auch deshalb kommen die meisten Kinder aus Warschau und Umgebung sowie aus Großstädten, wo die Löhne höher sind. Die Schule bietet nur Fußballunterricht. Es ist kein Internat. Aber wer dabei bleiben will, darf in der richtigen Schule nicht abrutschen.

Die ersten Informationen zur Aufnahmeprüfung fand Bartek selbst. Zur Aufnahmeprüfung ging er mit dem Vater, der die Daumen drückte und trotz herbstlicher Kälte schwitzte. Es war voll. 3000 Kinder waren angemeldet und stellten sich vor – für 600 Plätze. Der Sohn zeigte, was er kann. Lässig und selbstbewusst. Er habe gewusst, dass er es schaffen würde, sagt er inzwischen. Und das hat er ja auch. So richtig begriffen Vater und Sohn das aber erst, als Bartek sein Trikot bekam: am 11. November, als das erste Training bei Escola Varsovia stattfand.

Trainer Piotr Zasada schaut sich Bartek und seine Freunde auf dem Fußballplatz an. „Aus einigen kann etwas werden“, sagt er überzeugt.

– Ein Barcelona-Spieler?

„Das wäre die Krönung unserer Träume!“ Aber man müsse nüchtern bleiben. Barcelona habe weltweit mehrere Nachwuchszentren. Und es gebe eine Menge Jungs, die sehr gut spielten und von Barcelona träumten. Viele polnische Jungs würden am Ende wohl nicht beim FC Barcelona landen, sagt er. „Ein paar, das wäre schon viel.“ Ganz realistisch sieht er aber seine Jungs in den guten polnischen und anderen europäischen Clubs. „In ein paar Jahren werden wir unsere Absolventen im Nationalteam erwarten können.“

Und der Weg dahin, da sind sich so ziemlich alle einig, führe auf jeden Fall über einen Club im Ausland. Am liebsten natürlich: Barcelona. Oder auch Real Madrid. Dann, sagt der Vater, wäre auch ein Weg zum Nationalteam offen. „Einen Spieler von Barcelona weiß man zu schätzen.“ Die polnischen Clubs sieht Misiak als „Trampolin“, nicht als Ziel. Er sagt: „Unsere besten Spieler im Nationalteam sind diejenigen, die im Ausland ausgebildet wurden. Das sagt uns doch etwas, nicht wahr?“

Auch in Polen gibt es Fußballschulen. Dort hätte Bartek auch Chancen gehabt, aber von denen hält sein Vater nichts. Es gebe dort zu viel Stress, zu viel Druck werde auf die Kinder ausgeübt. Da kämen die Kinder mit Tränen in den Augen nach Hause, wenn ihre Leistungen nicht gut genug waren, das hat Robert Misiak von Bekannten gehört. Das sei bei der Barcelonaschule anders.

Einmal war der Sohn erkältet – und nicht mal da wollte er das Training ausfallen lassen. Weil es zu viel Spaß mache dort, das Dribbeln, das schnelle Passspiel, die vielen Tricks mit dem Ball, das Spielerische eben. In den polnischen Fußballschulen werde immer nur gegeneinander gespielt, nie gehe es um Details oder Taktik, immer nur um Gewinnen und Anzahl der Tore. Der Trainer pflichtet dem Vater in der Einschätzung bei: „In den polnischen Fußballschulen setzt man vor allem auf schnellen Erfolg“, sagt Zasada. Dabei arbeiten die meisten Schulen erst mit Zehn- oder sogar Zwölfjährigen. Das ist oft schon zu spät, um das ganze Potenzial der Kinder zu fördern. In dem Alter seien die polnischen Kinder auch noch ungefähr gleichauf mit den Kindern aus anderen Ländern. Nur gehe das irgendwie im Laufe der Zeit verloren, sagt der Trainer. Vielleicht ja, weil zu viel Stress gemacht, weil aus Fußball viel zu früh auch Arbeit wurde. Nach einem Jahr erwarte man von einem Kind, dass es das Spiel gewinne, sagt Zasada: „Das ist ein Fehler.“ Das Potenzial erkennen, das so ein kleiner Spieler habe, das sei das Wichtige, und dann einen Plan entwickeln, schauen, was aus dem Kind in zehn Jahren werden könnte.

Die Begeisterung der Kinder für Barcelona erklärt sich der Trainer allerdings anders: Die Kinder wollen zu Barça, weil die so oft gewinnen.

Ende Mai ist von EM-Euphorie in der Escola Varsovia nichts zu spüren. Und wenn Bartek entscheiden müsste, ob er zum Training kommt oder sich das EM-Spiel anschaut? „Klar, das Training“, antwortet er, ohne lange zu überlegen. „Selbst zu spielen, macht mehr Spaß.“

Der Vater hört’s und freut sich. „Bartek ist talentierter als ich“, sagt er. „Aber er hat auch eine Chance, die es zu meiner Zeit gar nicht gab.“ Er sagt: „Vielleicht wäre so aus mir auch etwas geworden?“

Agnieszka Hreczuk[Warschau]

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