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Do Widzenia, Polska!: Das war die Fußball-EM in Polen

Die polnische Mannschaft schied früh aus dem Turnier, die polnischen Fans feierten trotzdem einfach weiter. Ein Streifzug durch die vier Spielorte mit tanzenden Micky Mäusen und riesigen Kartoffeln in Rot-Weiß.

WARSCHAU
„Polska – Bialo czerwoni“, hallt es durchs Stadion. Die Polen besingen damit ihre Landesfarben, und das bezeichnenderweise zur Melodie von „Go West“. Zwar ist die polnische Nationalmannschaft schon lange ausgeschieden, doch der Schlachtruf übersteht die Vorrunde und wird auch von Fans aus anderen Ländern übernommen. Auch wenn so mancher Fan beim ersten Mal nur versteht: „Polska – we have a Chevrolet“, was dann doch sehr nah am Klischee gedacht war. „Die Nationalelf war eine Enttäuschung, aber wir sind stolz darauf, dieses Turnier auszurichten“, sagt die Kellnerin Maria.

Vielleicht hielten sie sich einfach an den Grundsatz von Polens Botschafter Marek Prawda. Er sprach, ganz egal, wie das Turnier ausgehe, Polen habe schon gewonnen, schließlich sei die Autobahn nach Warschau fertig geworden. Das ist in der Tat schön, noch viel schöner für Auswärtsfahrer wäre allerdings eine Schnellstraße nach Danzig gewesen. Die Rückfahrt dauerte überschlagen sieben Stunden, gebremst wurden wir durch 400 Kilometer Landstraße, unzählige Schwerlasttransporte und gefühlte 18 Blitzautomaten, allesamt funktionstüchtig, wie wir nun wissen. Heiterkeit machte sich aber breit, als uns ein polnischer Gewährsmann mitteilte, dass Strafzettel wegen zu schnellen Fahrens entweder gleich vor Ort vollstreckt werden – oder eben gar nicht.

Als es vor dem Spiel von Polen und Russland gehörig in der Warschauer Innenstadt krachte, schien eine düstere Prophezeiung von marodierenden Hooligans Wirklichkeit zu werden. Doch im Vergleich zu wüsten Ausschreitungen bei vergangenen Turnieren, ob 1988 in Deutschland oder auch 2000 in Holland und Belgien, ist die Euro 2012 ein durchaus friedliches Turnier. Die allermeisten Spiele fanden in friedlicher Atmosphäre statt, was uns entfernt an 2010 erinnerte, als der reisewillige WM-Tourist nach eingehender Zeitungslektüre den Eindruck gewinnen musste, schon im Flugzeug nach Johannesburg von Gangstern entführt und ausgeraubt zu werden. Passiert ist dann nichts – wie 2012 in Polen.

DANZIG
Das mit der Übersetzung hat nicht ganz geklappt. Auf dem Platz vor dem goldenen Tor in der Altstadt sind alle bisherigen Turnierbälle in überdimensionaler Größe ausgestellt. Darauf zu lesen ist der Hinweis, diese Ausstellungsstücke nicht anzukritzeln. „Do not paint balls“, steht in Englisch darauf. Auf deutsch: „Bitte keine Farbkugeln.“ Ein anderes Hinweisschild sorgt gleichsam für Heiterkeit. „Aus Sicherheitsgründen können die Schließfächer nicht benutzt werden“, ist am Hauptbahnhof in Danzig zu lesen. Immerhin findet sich im Untergeschoss des Bahnhofs eine Abstellkammer, in der die Habseligkeiten der Fans in Regalen verstaut werden.

Ein Schließfach hätte unser Kollege besser gebraucht, als in der Tram ein Pole in den Mittvierzigern um ihn herumhüpfte. Der Mann suchte aber wohl keinen neuen Brieffreund, sondern war nur das Ablenkmanöver für drei Komplizen, die unseren Kollegen mal eben um zwei Eintrittskarten und seine Brieftasche erleichterten.

Bei der Polizei am Hauptbahnhof traf er dann auf eine Beamtin aus Niedersachsen, die Mitgefühl zeigte. Anders ihr polnischer Kollege, der nur achselzuckend auf Englisch mitteilte: „Herzlich Willkommen in Polen.“

Auf der siebeneinhalbstündigen Rückfahrt hatte man dann noch Zeit, um die schöne Landschaft zu würdigen und festzustellen, dass der Pole ebenso eifrig im Schmücken des Eigenheims ist wie der Deutsche. Überall Fahnen, Wimpel, Gartenzwerge und Maschendrahtzäune in den Nationalfarben. Der Höhepunkt: Eine riesige Kartoffel in rot und weiß.

Volksfeststimmung in Breslau, Buntmarkt in Posen

BRESLAU

Auf der riesigen Fan-Zone am Rathaus feuern über 30 000 Fans die Teams an. Vermehrt vertreten sind die Tschechen, deren Mannschaft alle drei Vorrundenspiele in Breslau absolviert. Hatten die Tschechen noch anfänglich Vorbehalte gegenüber den Polen, so feierten die Fans beider Länder nun Arm in Arm – das selbst nach dem Ausscheiden. Marcin war begeistert von der Volksfeststimmung in seiner Heimatstadt. Er sagt: „Diese EM hilft den Polen, den Minderwertigkeitskomplex abzulegen. Jetzt haben wir gezeigt: Wir können organisieren, wir können es packen.“ Einzig die Begeisterung der Volunteers nahm etwas ab. Als die polnische Nationalelf noch aussichtsreich mitkickte, bordete die Stimmung unter den Blauhemden schier über. Wer in Breslau nach dem Weg zum Stadion fragte, wurde in der Regel von mindestens drei topmotivierten Helfern bis an den Stadionzaun eskortiert wie die Oma über die Straße. Wer nach dem polnischen Ausscheiden um Wegbeschreibung bat, wurde ebenso wortlos wie grimmig per Fingerzeig in eine Richtung geschickt, meistens die falsche.

POSEN

Durch die Menschenmassen schieben sich sekündlich Einheimische mit kleinen Farbtöpfen. Es ist das Turnier der Gesichtsbemalung, fast jeder dritte Fan lässt sich ab zehn Zloty die Fahne seines Teams auf die Wange malen. Ein Italiener mit Glatze taucht gleich sein ganzes Gesicht in die Landesfarben. Der zweite Verkaufsschlager sind tanzende „Micky-Maus-Figuren“, die jedoch zwischen Kassettenrekorder und einer Tasche stehen. In der Tasche versteckt ist ein Magnet, wie uns Lukas aus Posen erzählt. Die EM-Touristen wundern sich nach dem Erwerb der Figuren, warum Micky denn nicht mehr tanzt. Mehr als ein Achselzucken können sie von den fliegenden Händlern jedoch nicht erwarten.

Ein besonders florierendes Geschäft ist einzig der Schwarzmarkt, der aber hier derart freizügig betrieben wird, dass man eher von einem Buntmarkt sprechen kann. Ein Händler preist seine Tickets gar so an: „Billiger als bei meinem Nachbarn.“ Denn die Verkäufer drängeln sich nebeneinander – was die Polizisten nicht weiter beunruhigt. Unverhohlen erklärt jemand per Plakat: „Buy tickets – sell tickets.“ Man muss schließlich auf alles gefasst sein.

Echte Probleme haben die Fans aus ganz Europa vor allem mit der Nahrungsaufnahme. Das liegt an dem polnischen Zapiekanka, eine Art Baguette, das eine zentimeterdicke Ketchup-Schicht und annähernd die Länge eines Baseballschlägers aufweist. An allen Ecken sieht man Fans mit den Zapiekankis hantieren. Einfacher geht da schon die flüssige Nahrungsaufnahme des Pivo.

Dabei ganz vorne sind vor allem die irischen Fans, die hier zwei Spiele ihrer Mannschaft sehen. Zu Weltruhm brachte es eine fröhliche Reisegruppe aus Limerick, die ihre irische Flagge mit dem launigen Hinweis versah: „Angela Merkel thinks we’ re at work!“ Angela Merkel glaubt, wir sind bei der Arbeit! Welch ein Irrtum von der Angela. Überall, wo Gerry Nolan und seine arbeitsscheuen Kumpels vor dem Spiel der Iren gegen Italien auftauchten, wurden sie von ihren Landsleuten und von der Posener Bevölkerung frenetisch gefeiert. Fazit eines Iren: „Hübsche Frauen, billiges Bier, Fußball – Polen ist das reinste Paradies.“

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