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Kampfbereit. Englische Hooligans lieferten sich in Charleroi heftige Auseinandersetzungen mit deutschen Hooligans, mit der Polizei – und mit sich selbst.

© Reuters

EM-Geschichten (10): 2000: Schlacht der Hooligans

Die Begegnung zwischen Deutschland und England bei der EM 2000 wird von Gewalt eingeleitet. Hooligans beider Länder liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei.

Polnische Hooligans haben gerade zur Jagd auf deutsche Fans gerufen, im Internet, per Video. Solche Aufrufe zur Schlacht ertönen häufiger vor Großereignissen im Fußball, zum Glück oder auch Dank umfangreicher polizeilicher Prävention bleiben sie meist martialisches Gebelle der Dumpfbacken. Auch in Charleroi, dem Spielort der Vorrundenpartie zwischen Deutschland und England, waren am 17. Juni 3000 Polizisten vor Ort. Plus 120 berittene Kollegen. Plus 45 Hundeführer. 30 Wasserwerfer standen auch noch bereit. Denn auch diesmal war in den Tagen und Wochen zuvor aus den üblichen verdächtigen Kreisen die finale Schlägerei angekündigt worden. Mehrfach, wohl auch der Grund, warum sich am Morgen vor dem Spiel auf dem Place Charles II. ungezählte Kamerateams auf Dächern und in leerstehenden Wohnungen eingerichtet hatten: Könnten ja spektakuläre Bilder werden, deutsche Hooligans, englische Hooligans, fliegende Stühle, zerberstende Tische, speiende Wasserwerfer, wirbelnde Polizeiknüppel. Und, wer weiß, vielleicht ist ja auch spritzendes Blut ranzuzoomen.

Es gab viel zu filmen an diesem Tag. Es wird wohl nie zu klären sein, ob die starke Medienpräsenz den Auftritten von Hooligans nur folgt oder sie zumindest mitbefördert. Spürbar war in Charleroi auf jeden Fall, dass eine gewisse Geilheit auf den Schauder 5000 Menschen auf den kleinen Platz getrieben hatte, um dem randalierenden Treiben von vielleicht 300 zuzuschauen. Eine unüberhörbare Sächsin zum Beispiel empörte sich „über diese Idioten, die alles kaputtmachen“. Sie war dann aber auch ein wenig enttäuscht, als sie hörte, dass es am Vorabend eine Messerstecherei zwischen Hooligans gegeben hatte: „Schade, wir waren am falschen Platz.“

Am falschen Platz war auch die Gruppe deutscher Hooligans, die es trotz intensiver Grenzkontrollen nach Belgien geschafft hatte. Sie war hoffnungslos in Unterzahl gegenüber den Engländern. Etwa 1000 grölende, saufende Engländer auf der einen Seite, etwa 100 grölende, saufende Deutsche auf der anderen, dazwischen ein starkes Band aus Polizisten. Dass die Polizei eine Schlacht verhindert, ist nach dem Kodex der Szene immer noch besser als ein freiwilliger Rückzug vor dem Gegner oder gar eine fürchterliche Niederlage. Also attackierten die deutschen Hools die Polizei ein kleines bisschen, wurden folgerichtig festgesetzt und abgeführt. Die „Legendenschlacht“ war beendet. Die englischen Hools mussten sich untereinander prügeln. Und das taten sie dann auch. Weitgehend. Fast wurden allerdings vor dem Café de Paris der Korrespondent des Tagesspiegels und der Kollege der „Berliner Zeitung“ miteinbezogen ins Getümmel und konnten sich gerade noch in einen Hauseingang retten.

Am anderen Morgen sprach die Polizei von einem relativ ruhigen Abend. Was eine merkwürdige Version von Ruhe ist bei 16 Verletzten und 850 Verhaftungen und ungezählten zerstörten Fensterscheiben in der Innenstadt. Verglichen mit den Vorkommnissen bei der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich, als in Lens deutsche Hooligans den französischen Gendarmen Daniel Nivel zum Krüppel schlugen, war die Nacht von Charleroi wohl tatsächlich ruhig.

Möglicherweise war es nach dem Spiel auch deshalb weitgehend friedlich geblieben, weil die Engländer nur noch siegtrunken waren nach dem 1:0 über Deutschland und die Deutschen nur noch ernüchtert nach dem schlechtesten Auftritt ihrer Mannschaft aller Zeiten. Vielleicht waren sie aber auch einfach nur froh, dass sie nun Erich Ribbeck loswerden konnten, dem mühelos der Beweis gelang, dass man mitunter auch ohne große Ahnung vom Fußball Bundestrainer werden kann.

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