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Fußball: In der Rechtskurve

Nazis zeigen in der Fanszene neue Macht. Doch Rechtsradikale drängen nicht von außen in die Stadien – sie waren schon immer da.

Auf den Plätzen der Champions League ist die Lage klar. Bei den Spielen am Dienstag und Mittwoch trugen die Kapitäne Armbinden mit der Aufschrift „Unite Against Racism“, überall in Europa wird in diesen Tagen gegen Diskriminierung im Fußball demonstriert. Die Organisation Fare (Football Against Racism in Europe) versucht mit ihren jährlichen Aktionswochen, in 41 Ländern für Toleranz und gegen Rechtsextremismus in den Stadien zu werben. Auch in Deutschland, wo es lange Zeit so aussah, als sei das rechte Problem auf den Tribünen ein Ding der Vergangenheit – doch diese Annahme ist falsch. Besonders im Westen der Republik scheinen Rechtsextremisten und Neonazis den Fußball wieder für sich zu entdecken.

„Diese Leute waren nie weg, diese Stimmung war nie weg. Es ist nur subtiler geworden“, sagt der Sozialwissenschaftler Gerd Dembowski, der im wissenschaftlichen Beirat von Fare sitzt. Der 40-Jährige beschäftigt sich seit Jahren mit dem Problem, zurzeit forscht er in der neu gegründeten Kompetenzgruppe Fankulturen an der Universität Hannover. Dembowski ist nicht überrascht davon, dass es zuletzt wieder mehr Berichte über rechte Fußballfans gegeben hat. „Die Botschaften sind sowieso in der Szene. Vielleicht hat es mit dem NSU-Skandal zu tun, dass wir jetzt wieder genauer hingucken.“

Für das größte Aufsehen sorgten Anhänger von Borussia Dortmund, die beim Saisonauftakt gegen Werder Bremen ein Transparent mit der Aufschrift „Solidarität mit dem NWDO“ entrollten – und damit für die zuvor verbotene Gruppierung „Nationaler Widerstand Dortmund“ warben. Dass es eine große Zahl von BVB-Fans aus dem rechten Spektrum gibt, ist seit den Achtzigerjahren bekannt und dokumentiert. In den höchsten deutschen Spielklassen sind derartige Machtdemonstrationen aber selten geworden. „Die Aktion war natürlich spektakulär“, sagt der Aachener Politikwissenschaftler und Rechtsextremismusforscher Richard Gebhardt. „Sie hat gezeigt, dass die entsprechenden Leute ständig im Stadion präsent sind.“ Und das auch bei den großen Klubs, im Spitzenfußball.

„Fast überall gibt es 20 bis 80 Leute, die in der organisierten Neonazi-Szene unterwegs sind – Fußballfans waren die schon immer“, sagt Dembowski. „Wenn man mit acht oder elf Jahren zum ersten Mal ins Stadion geht, ist man kein ideologisch gefestigter Neonazi.“ Genau darin liegt für den Experten ein wichtiger Teil des Problems: „Wenn man mit anderen Leuten in den Kurven spricht, sagen die: Aber das sind doch Fans! Die waren schon immer hier!“ Die Solidarität in der Kurve ist nun einmal groß, bisweilen auch gegenüber denjenigen, die sich daneben benehmen. Gebhardt formuliert es so: „Fußball ist oft Familienersatz. Und gegen Kritik an der Familie schottet man sich ab.“

Das radikale Transparent in Dortmund ist nur ein prominenter Auswuchs eines weit verbreiteten Problems. Die meisten Rechtsradikalen drängen nicht von außen in die Stadien – sie waren schon da. „Es hat immer rechtsradikale Auswüchse gegeben, das Thema hat die Erste und Zweite Liga zumindest subkutan nie verlassen“, sagt Gebhardt. „Durch die Kommerzialisierung des Fußballs, durch die Auflagen des DFB und Initiativen von unten konnten sich aber Gegentendenzen entwickeln.“ Es ist nicht mehr so leicht, Parolen zu grölen und Druck auszuüben. Dembowski bezeichnet einige rechtsradikale Fans als „schreiende Schläfer“. Schreiend, weil sie im Stadion die normalen Gesänge mitmachen. Und Schläfer, „weil sie aktivierbar sind, wenn sich Situationen ergeben, die irgendwie nach rechts gehen. Dann sind die dabei, dann können sie wortführend sein.“

Es gibt aber auch Fälle, in denen rechte Fans offen gegen Andersdenkende Stimmung machen und sie sogar attackieren. In diese Hinsicht ist Alemannia Aachen ein Sonderfall. Beim Drittligisten gibt es seit Monaten eine mit allen Mitteln geführte Auseinandersetzung zwischen zwei Ultra-Gruppierungen, „verfeindeten Geschwistern“, wie es Gebhardt formuliert. Mitglieder der „Aachen Ultras 1999“ (ACU), die früher selbst Rechte in ihren Reihen hatten, wurden mehrfach von rechtsextremen Fans attackiert. Die Aachener Polizei spricht laut Gebhardt von 47 Personen, die zur extremen Rechten in Aachen zählen und sich als Fans inszenieren – und vor Einschüchterung und Gewalt nicht zurückschrecken. Im vergangenen Dezember beim Heimspiel der Alemannia gegen Aue wurden die Aachener Ultras von 20 bis 30 Personen aus der rechten Szene im Stadion angegriffen, nach Angabe des Fanprojekts feuerten Mitglieder der rivalisierenden Ultra-Gruppe „Karlsbande“ die Angreifer an und beschimpfen Mitglieder der ACU als „Zecken“, „Homos“ und „Juden“. Eine Woche später hindern Ultras der „Karlsbande“, die sich 2010 von der ACU abgespalten hatten, und Leute aus deren Umfeld, beim Auswärtsspiel in Braunschweig die gegnerische Gruppe und die Leiterin des Fanprojekts daran, den Gästeblock zu betreten. „Da wird Hegemonie ausgeübt, das sind Druckmechanismen“ sagt Gebhardt. Im August 2012 schließlich greifen nach Augenzeugenberichten rund 100 rechte Schläger die „Aachen Ultras“ nach einem Spiel in Saarbrücken brutal an. „Das war weitaus mehr als eine Schlägerei, hier wurde eine Feindmarkierung vorgenommen“, sagt Gebhardt, der selbst seit Jahren zu Spielen der Alemannia geht. Im Internet, unter anderem bei Facebook, hetzen bekannte Rechtsextreme gegen die Aachen Ultras. Als Beobachter eines von der Stadt eingerichteten Runden Tisches gegen die Auseinandersetzung bei der Alemannia verfolgte Gebhard erst vor kurzem, wie Neonazis der „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) Mitglieder der ACU im Stadion provozierten und einschüchterten.

Die Stadien in Deutschland seien im politischen Bereich „brodelnde Töpfe“, sagt Gerd Dembowski: „Ein Grund dafür ist, dass es im Gegensatz zum englischen Fußball noch eine Fanszene gibt, die das Stadion im positiven wie im negativen Sinne als selbst zu gestaltenden Raum betrachtet.“ Diesen Freiraum will kein Fan verlieren – und nimmt damit vielleicht in Kauf, dass ihn sich auch Rechtsextreme zu Nutze machen. Die Klubs sind oft überfordert und wollen sich von allen eindeutigen Positionierungen fernhalten, um niemanden zu verprellen. „In vielen kleineren Vereinen meint man, unpolitisch sein zu müssen. Und geißelt lieber alles Extreme, links wie rechts“, sagt Dembowski. Gerade bei unterklassigen Vereinen regiert die Hilflosigkeit angesichts brauner Tendenzen in der Kurve: „Nach dem Motto: Bloß nicht klar sagen, wir sind gegen Diskriminierung, dann geben wir ja zu, dass wir ein Problem haben."

Alemannia Aachen versucht inzwischen, die rechten Tendenzen in der „Karlsbande“ und ihrem Umfeld zu bekämpfen. Der Verein hat alle Fahnen, Spruchbänder oder sonstige Fan-Utensilien mit der Aufschrift „Karlsbande Ultras“ oder „KBU“ verboten, die Gruppe darf keine Flyer mehr verteilen, ihr Magazin ist im Stadion nicht erlaubt. Die Polizei beobachtet die Szene im Stadion und daneben sehr genau. „Es gibt einzelne Schritte in die richtige Richtung. Das Gesamtproblem können wir aber erst dann lösen, wenn anerkannt wird, dass es diese Präsenz von Rechten im Stadion nach wie vor gibt“, sagt Gebhardt. „Und dass es denen nicht nur um Fußball, sondern vor allen Dingen auch um Politik geht.“

In Dortmund hing ein Plakat

im Stadion, dass zur Solidarität mit einer Neonazi-Gruppe aufrief

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