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Sport: Fußball in England: England nähert sich dem Kontinent

Zwei Tage Freudensprünge haben sich die Engländer erlaubt. Der "Mirror" hat Oliver Kahns Torhüterhandschuhe feierlich verbrannt.

Zwei Tage Freudensprünge haben sich die Engländer erlaubt. Der "Mirror" hat Oliver Kahns Torhüterhandschuhe feierlich verbrannt. Der Minderwertigkeitskomplex des englischen Fußballs gegenüber dem Erzrivalen Deutschland ist einem Wohlgefühl gelassener Überlegenheit gewichen - auch wenn sich die Fans, die nicht in den Brunnen am Londoner Trafalgar Square gesprungen sind, immer noch die Augen reiben müssen, um sich von der Wirklichkeit der "Fußball Fantasie" ("The Sun") zu überzeugen. Doch die Spieler richten nun den Blick nach vorn. "Mit beiden Beinen auf dem Boden beiben", lautet David Beckhams Devise für das heutige Spiel gegen Albanien im St.-James-Stadion von Newcastle.

Auch Nationaltrainer Sven-Göran Eriksson blickt mit Sorge auf die Euphorie, die "Svenglands" Fußballwelt nach dem unverhofftem Sieg über Deutschland erfasst hat. "Vergessen" lautet sein Tip. "Nach einem Sieg wie dem gegen Deutschland denkt man leicht, man muss nur den Schuh oder das Bein austrecken, um zu gewinnen. Das Spiel gegen Albanien hat nicht den gleichen Reiz. Deshalb müssen wir diesen Sieg vergessen und uns ganz auf Albanien konzentrieren. Es wäre eine Katastrophe, wenn wir ein Auswärtsspiel gegen Deutschland gewinnen und dann zu Hause gegen Albanien verlieren."

Die englische Fußballpresse redet sich mit skeptischen Einschätzungen von Albaniens Stärke Mut zu. Nach Albaniens 0:2-Niederlage gegen Finnland am Samstag macht vor allem ein Zitat von Nationaltrainer Sulejman Demollari die Runde: "Wir haben Probleme im Moment. Nicht nur mit unserem Spiel, auch mental, in unseren Köpfen."

Aber viele entsinnen sich auch des englischen Sieges gegen Deutschland vor einem Jahr bei der Europameisterschaft. Drei Tage später war England ausgeschieden. "Jeder, der mit dem englischen Fußball einigermaßen vertraut ist, weiß, dass das Team nach dem Sieg über Deutschland gegen Albanien oder sogar Weißrussland verlieren könnte", schrieb der "Guardian". Kapitän David Beckham befand: "Der Kampf gegen Albanien ist riesig - das ist nun größer als das Spiel in München."

Heimlich studieren die Engländer natürlich schon die Flugpläne nach Japan und Korea. "Erfolg ist für die Nationalmannschaft nun ein Muss", erklärte Beckham und ließ keinen Zweifel, dass er damit die WM-Endrunde im Visier hat. "Die Leute sagen, es ist noch zu früh für uns, um in einem großen Wettbewerb erfolgreich zu sein. Doch ich bin anderer Meinung. Dieses Team hat eine Menge mehr zu bieten." Das denken auch die Fans, die den Bus des Nationalteams bei der Ankunft in Newcastle bestürmten und sich die Tickets für das Match fast aus der Hand rissen.

Doch natürlich geht es hier nicht nur um eine Nationalmannschaft. Beckham, in München zum verantwortungsvollen Kapitän gereift, Michael Owen (nach dem Hattrick soll der 21-Jährige über 150 Millionen Mark wert sein) und Englands schwedischer Coach werden bereits als Vorboten eines neuen Englands gehandelt. Die gesamte Nation baut sich am Erfolg gegen Deutschland auf. Lincoln Allison, Dozent der Uni Warwick sagt: "Fußballergebnisse ändern eine Gesellschaft zwar nicht radikal, aber sie haben Wirkung. Es ist fast sicher, dass die Leistung des englischen Teams das Wohlbefinden der Nation steigert."

Einigen gilt der Sieg sogar als emotionale Annäherung Englands an den Kontinent: Nicht die "Sun" mit ihrer Mädchen-Band und ihrem Tschingerassabum-Journalismus, sondern Trainer Erikssons "höflicher, nachdenklicher, zurückhaltender Rationalismus" habe das Rennen gemacht, schreiben die Zeitungen. Die sauberen Jungs um den Europäer Eriksson haben die proletenhaftere Generation von Paul Gascoine endgültig abgelöst: "Dieser Sieg wurde errungen, weil wir zwei Dinge aufgegeben haben, die Englands Fußball historisch angetrieben haben: Patriotismus und Alkohol", schreibt der "Guardian". "In ihrer Einstellung zu Vorbereitung und Freizeit sind unsere Fußballer europäisch geworden."

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