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Wir spielen uns langsam ein. Die meisten Profis, die gegen England und Italien dabei waren, werden wohl auch zum Kader für die Europameisterschaft in Frankreich gehören.

© imago/ActionPictures

Fußball-Nationalmannschaft: Bei der Nationalelf funktionieren die Reize noch

Mit dem 4:1 gegen Italien zeigt die Nationalelf die richtige Reaktion auf die Niederlage gegen England - und erspart Bundestrainer Löw einige ungemütliche Debatten.

Joachim Löw folgte seinem Hang zum Perfektionismus. Der Bundestrainer verließ eigens seine Coachingzone, er bückte sich nach dem Ball, der gerade vom Schiedsrichter als sportuntauglich aussortiert worden war, und nahm höchstselbst eine finale Materialprüfung vor. Löw drückte, die Hightech-Hülle gab nach. Nichts mehr zu machen. Mit seiner Hightech-Mannschaft hatte es sich am Wochenende ähnlich verhalten. Als die Engländer, beim Testspiel in Berlin, im finalen Drittel der Begegnung mehr und mehr drückten, wirkten die Deutschen ziemlich platt. Die Luft war raus. Aber nur drei Tage später, beim 4:1-Erfolg gegen Italien, präsentierte sich die deutsche Fußball-Nationalmannschaft wieder in erstaunlich prallem Zustand. „Alles in allem war es ein komplettes Spiel von der ganzen Mannschaft“, sagte Verteidiger Shkodran Mustafi.

Natürlich verleitete das klare Ergebnis, zumal gegen den staatlich anerkannten Angstgegner, einige zu einem gewissen Überschwang. „Das Spiel war gut, mehr nicht“, gab Toni Kroos zu bedenken. Aber die Umstände rechtfertigten zumindest Anflüge von Euphorie. Mag sein, dass die Italiener die Sache ein wenig lustlos angegangen waren. „Bei einer EM, wenn es um alles geht, werden sie sicherlich anders auftreten“, sagte Joachim Löw. Aber auch die deutsche Mannschaft wird man in Frankreich vermutlich weder in dieser Besetzung noch in dieser taktischen Formation zu Gesicht bekommen.

Löw hatte sein Team mit einer Dreierkette verteidigen lassen, in der Shkodran Mustafi zum ersten Mal überhaupt in seiner Karriere die zentrale Position besetzte; dazu rückte der offensive Freigeist Mesut Özil neben Toni Kroos ins defensive Mittelfeld. Aber es ging an diesem Abend weniger um Personal und um Taktik; es ging um das Gesamtbild, drei Tage nach dem 2:3 gegen England.

Das Schöne ist: In mancher Hinsicht ist die Nationalmannschaft doch sehr berechenbar. So wie sie sich regelmäßig in ihrem Offensivspiel selbst vergisst, so kann sie den Vorwurf der kindlichen Verspieltheit verlässlich mit defensiver Seriosität kontern. Es ist ein immer wiederkehrendes Reiz-Reaktions-Schemas, das auch in den vergangenen Tagen wieder zu beobachten war. „Wir hatten heute eine sehr gute Mentalität auf dem Platz, vor allem in der Defensive, was sonst ein bisschen ein Manko bei uns ist in Testspielen“, sagte Innenverteidiger Mats Hummels.

Die Deutschen haben immer wieder darauf verwiesen, dass sie auch anders können. „Wenn es um Punkte und Titel geht, legen wir ein anderes Gesicht an den Tag“, sagte Hummels. Gegen Italien war der Nationalmannschaft immerhin schon einmal die Simulation des Ernstfalls gelungen. Allerdings blieben solche Auftritte zuletzt die Ausnahme. Der Sieg in München war vielleicht sogar das beste Spiel des Weltmeisters seit dem Finale von Rio; streng genommen war es aber auch neben dem 3:1-Sieg in der Qualifikation gegen Polen das einzig richtig gute.

Mit Götze und Gomez kann Löw wieder planen

Für Mats Hummels war der Erfolg gegen die Italiener „wirklich eine gute Antwort“ auf die Niederlage gegen England. Vor allem die psychologische Wirkung ist nicht zu unterschätzen. Zwei Niederlagen in den letzten beiden Testspielen vor der unmittelbaren EM-Vorbereitung hätten dem Bundestrainer vermutlich ungemütliche Debatten beschert. „Jetzt können wir ohne viel Druck von außen Richtung Trainingslager gehen“, sagte Thomas Müller. Erst in 53 Tagen wird die Mannschaft wieder zusammenkommen; wie sie dann konkret aussehen wird, ist nach den beiden finalen Testspielen reine Spekulation.

Abschließende personelle Erkenntnisse haben die Begegnungen zweieinhalb Monate vor dem Turnierstart nicht erbracht. Legt man realistische, also extrem strenge Maßstäbe an, haben gegen England und Italien nur Toni Kroos und Mats Hummels ihre EM-Tauglichkeit uneingeschränkt nachgewiesen. Mesut Özil und Thomas Müller zeigten sich im zweiten Spiel stark verbessert. Mit Mario Götze und Mario Gomez kann Löw wieder einigermaßen verlässlich planen, und Sebastian Rudy hinterließ als rechter Außenverteidiger einen deutlich aufgeräumteren Eindruck als Emre Can, der mit der Position immer noch erkennbar fremdelt.

Mit Bastian Schweinsteiger, Ilkay Gündogan, Benedikt Höwedes und Jerome Boateng fehlten in den vergangenen Tagen immerhin vier Spieler wegen Verletzungen, die alle Anspruch auf einen Stammplatz erheben können. Vor allem Boatengs Rückkehr gilt für eine erfolgreiche EM als unerlässlich. Gegen Italien ließ die deutsche Defensive zwar wenig zu, der einzige Gegentreffer resultierte aus einem abgefälschten Ball. Der Ball wurde aber nur deshalb abgefälscht, weil Antonio Rüdiger sich falsch zum Torschützen Stephan El Shaarawy positioniert hatte. Löw schätzt den Innenverteidiger vom AS Rom sehr – vielleicht weil er in ihm schon den Spieler sieht, der er einmal sein könnte. Im Moment aber ist der 23-Jährige noch ein junger Abwehrspieler mit einer gewissen Fehleranfälligkeit.

So gibt es hinsichtlich der Kadernominierung im Mai noch einige Unwägbarkeiten. Der Bundestrainer sagte, er habe auch noch einige junge Spieler im Blick. Löw zählte einige Namen auf, ein Innenverteidiger war nicht dabei.

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