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Neuer Auftritt. Silvia Neid ist in Kanada überaus entspannt – auch vor dem Achtelfinale am Samstag gegen Schweden. Foto: dpa/Jaspersen

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Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen in Kanada: Die neue Gelassenheit der Silvia Neid

Frauenfußball-Bundestrainerin Silvia Neid gibt sich bei ihrer letzten WM ungewohnt locker. Das hat auch viel mit den Erfahrungen zu tun, die sie bei der Heim-WM vor vier Jahren gesammelt hat.

Was Silvia Neid fehlt, konnte vor vier Jahren die gesamte deutsche Öffentlichkeit sehen. Im Film zur Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen 2011 gibt es eine Szene, in der Torwarttrainer Michael Fuchs der Bundestrainerin ein T-Shirt zum Geburtstag überreicht. Es trägt die Aufschrift: „Gelassenheit“. Das war noch in der Vorbereitung auf die Heim-WM. Ein paar Wochen später schieden Neid und ihre Nationalmannschaft schon im Viertelfinale aus. Und spätestens da wurde deutlich: Neid war auch an ihrer fehlenden Lockerheit gescheitert.

Nun, vier Jahre später, tritt sie zum letzten Mal bei einer WM als Bundestrainerin auf. Vielleicht bestreitet die 51-Jährige am Samstag in Ottawa im Achtelfinale gegen Schweden (22 Uhr/ARD und Eurosport) sogar ihre letzte Partie in dieser Funktion. Sollten die deutschen Spielerinnen verlieren, wäre wohl auch die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro als eines der drei besten Teams aus Europa verpasst. Und dann würde ihre designierte Nachfolgerin Steffi Jones wahrscheinlich schon früher übernehmen als erst 2016. Doch all das scheint Neid nicht zu belasten. In Kanada tritt sie ganz anders auf als bei der Heim-WM.

Auf die Frage, wie es ihr gehe, antwortete sie auf einer Pressekonferenz in Winnipeg ungewohnt offen: „Danke der Nachfrage, mir geht es sehr gut. Ich genieße jeden Tag.“ Klar sei auch dieses Turnier irgendwie Stress, sagte Neid. „Aber es ist wirklich so, dass ich das alles viel mehr genieße, und zwar jeden Tag. Ich spüre hier überhaupt keinen Druck, nur Freude, dass ich mit so tollen Spielerinnen arbeiten darf.“

Neid schäkerte sogar mit den Journalisten. Und sie verplapperte sich, wen sie im abschließenden Gruppenspiel gegen Thailand von Beginn an spielen lassen werde. Darauf angesprochen, dass sie doch sonst nie ihre Aufstellungen verrate, sagte sie schmunzelnd: „Was ist bloß los mit mir?“ Sie kann wirklich sehr charmant, witzig und überraschend sein, wenn sie will. So ließ sie sich 2013 bei der Europameisterinnen-Party in Schweden auf eine wilde Tanzeinlage mit DFB-Präsident Wolfgang Niersbach ein.

Gepflegter Pass mit dem Innenrist: Silvia Neid genießt ihr letztes Turnier.
Gepflegter Pass mit dem Innenrist: Silvia Neid genießt ihr letztes Turnier.

© dpa

Aber bekannter ist eben Neids anderes Gesicht, das von 2011. Dünnhäutig und schnippisch wirkte sie da oft. Sie wurde überrollt vom Erfolgsdruck, musste erstmals viel Kritik einstecken und stritt sich mit der damaligen Kapitänin Birgit Prinz. Von all dieser Verbissenheit ist in Kanada nichts mehr zu spüren. Neid strahlt eine innere Zufriedenheit aus – und ist auch zu anderen Themen äußerst meinungsfreudig. Zum Blatter-Rücktritt sagte sie: „Eine Frauenhand täte der Fifa gut.“ Daraufhin beendete die Fifa-Vertreterin hastig die Pressekonferenz.

Neids Wandel ist auch Ulrike Ballweg nicht entgangen, ihrer engsten Fußball-Vertrauten und Co-Trainerin. Ballweg und Neid haben schon als Jugendliche gemeinsam beim SC Klinge Seckach gespielt. Beide stammen aus dem Odenwald. Doch Ballweg ist ruhiger und pragmatischer als die zuweilen impulsive Neid. Über ihre Chefin sagt die 49-Jährige: „Sie hat aus den Erfahrungen der letzten Jahre gelernt, ist viel entspannter und umgänglicher geworden.“

Auch die Nationalspielerinnen, von denen die älteren sie noch „Silv“ nennen dürfen und die jüngeren, die „Frau Neid“ oder „Trainerin“ sagen, haben die neue Lockerheit wahrgenommen. „Man kann sich sogar mal einen Fehler erlauben und kriegt nicht gleich eins auf den Deckel“, sagt die Münchner Mittelfeldspielerin Melanie Behringer.

Früher kritisierte Neid jede Kleinigkeit. Schon als Co-Trainerin der extrem ruhigen Tina Theune war sie für ihre kernigen Ansprachen bekannt. „Die Schöne und das Biest“ wurde das Duo damals genannt, woraufhin Neid einmal lächelnd einräumte: „Ich bin irgendwie beides.“

Neid war bisher an allen zehn Titelgewinnen der deutschen Frauennationalelf beteiligt – als Spielerin und Kapitänin mit 111 Einsätzen, als Co-Trainerin und Bundestrainerin. In Zukunft wird sie im Hintergrund arbeiten, als Leiterin der neuen DFB-Scoutingabteilung. Aber vorher hat Neid natürlich nur ein Ziel: „Der dritte WM-Stern ist für mich ein Traum.“

Inga Radel

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