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Kreislauf. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Frauen genießt bei der Weltmeisterschaft in Kanada plötzlich größere Aufmerksamkeit – wie immer zu den Turnieren. Und plötzlich wird über sie und ihre Sportart wieder kontrovers diskutiert.

© afp

Fußball-Weltmeisterschaft in Kanada: Frauenfußball in der Gender-Falle

Traumhaften Einschaltquoten bei Turnieren, trostlose Zuschauerzahlen in der Bundesliga. Die Einordnung von Frauenfußball fällt schwer. Ein Essay.

Ein Essay von Claus Vetter

Die Dokumentation ließ sich lange gut ansehen. Ein Sportsender hatte drei Fußballspielerinnen unterschiedlicher Nationen vom französischen Klub Paris Saint-Germain ein Jahr lang auf dem Weg zur WM in Kanada begleitet. Irgendwann allerdings deutete sich an, dass für die Deutsche unter ihnen der Sport bald nicht mehr die zentrale Rolle spielen könnte: Fatmire Alushi, früher Bajramaj. Ihr Ehemann Enis Alushi, Fußballprofi beim Zweitligisten FC St. Pauli, sagte im Film über seine Frau zwar, dass sie „für mich“ die beste Fußballerin der Welt sei. Aber eben noch toller als Mensch – und dann fiel das Wort „Mutter“. In der Dokumentation gibt Bajramaj dann bekannt, dass sie nicht zur WM fährt. Weil sie schwanger ist.

Lionel Messi kann nicht schwanger werden und würde wohl kaum auf eine WM verzichten, weil seine Frau schwanger ist. Und selbst wenn seine Frau am Tag des WM-Finales entbinden würde, dann würde der argentinische Star vom FC Barcelona kaum diesen Satz sagen, den von Bajramaj: „Natürlich hätte ich gerne gespielt, aber es gibt Dinge im Leben, die sind einfach wichtiger als Fußball.“

Für Messi wird es womöglich nie etwas Wichtigeres geben als seinen Sport. Er lebt ihn, definiert sich durch ihn, hat ihm alles zu verdanken – sein Geld und seinen Ruhm. Viele Fußballerinnen im Nationalteam allerdings definieren sich auch über ihren Sport. Sie wollen sich messen und gewinnen. Sie sind an einem Punkt, an dem viele ihrer Zuschauer nicht sind: Für die ist von Frauen gespielter Fußball eine einzige Gender-Falle.

Frauenfußball-WM, Frauen-WM, Fußball-WM der Frauen?

Wie die Veranstaltung eigentlich nennen, da geht es schon los: Frauenfußball-WM, Frauen-WM, Fußball-WM der Frauen? Alles Unsinn. Es ist eine Weltmeisterschaft im Fußball, die im Nicht-Fußballland Kanada stattfindet. Ein Turnier mit sportlichem Gefälle (10:0 der Deutschen gegen die Elfenbeinküste), fußballerischen Höhepunkten (das Freistoßtor der Norwegerin Maren Mjelde zum 1:1 gegen Deutschland) und ein Turnier mit anderen Begleiterscheinungen als andere Weltmeisterschaften in dieser Sportart.

Das hat viel mit Gewohnheiten und mehr noch mit Männern zu tun. Zu großen Männerfußballturnieren gehören Millionenverdiener auf dem Rasen, Millionen mitfiebernde Anhänger auf den Fanmeilen, Millionen Bierbäuche unter den Millionen Fernsehzuschauern. Und davon haben die Frauen nur die Fernsehzuschauer, womöglich mit genauso viel Bierbauch. Denn die Einschaltquoten bei den Liveübertragungen sind hervorragend. Und das wirkt auf den ersten Blick wie ein Wunder – in einer Sportart, die lediglich alle zwei Jahre große Aufmerksamkeit bekommt und die vor allem deshalb keine Millionärinnen und volle Fanmeilen als luxuriöse Begleiterscheinungen hat.

Fußballerinnen finden in Deutschland außerhalb von Welt- und Europameisterschaften kaum statt

Denn außerhalb von Welt- und vielleicht noch Europameisterschaften finden Fußballerinnen in Deutschland öffentlich kaum statt. Die Zuschauerzahlen in der Bundesliga sind trostlos: 1019 Besucher kamen in dieser Saison im Durchschnitt, der Rekordbesuch lag bei 5203 Menschen. Die Entwicklung beim Zuschauerzuspruch stagniert, zwei Jahre zuvor noch war der Schnitt nicht mal vierstellig, ihren besten Wert hatte die Liga in der Saison nach der WM 2011 in Deutschland (1121).

Da hilft es nicht, dass der Deutsche Fußball-Bund (DFB) seit Jahren auf steigende Zahlen im Mädchen- und Frauenfußball verweist. Offensichtlich gehen die laut Verband fast eine Million Spielerinnen nur zum Spielen ins Stadion, nicht aber zum Zuschauen. Und offensichtlich sind die Strukturen noch nicht so gewachsen wie in anderen Sportarten: Als Frau im Sport lässt sich im Tennis oder Alpinen Skifahren eben mehr verdienen und mehr Aufmerksamkeit erzielen als im Fußball – die besten Athletinnen mögen sich daher in jungen Jahren auch für andere Sportarten entscheiden.

Deutschlands Fußballerinnen sind in der Disziplin Fernsehquote einsame Weltspitze

Trotzdem: Der Fußball ist bei den Frauen in Deutschland schon sehr weit. Weiter als alle anderen Mannschaftssportarten. Mag die deutsche Volleyballmannschaft auch noch so schön und mögen die Hockeyspielerinnen auch noch so erfolgreich spielen, sie spielen in der öffentlichen Wahrnehmung nicht die Rolle der deutschen Fußballerinnen, die in Kanada bei der WM vor fünfstelligen Zuschauerkulissen auflaufen und deren zweites Spiel in Deutschland über sieben Millionen Menschen am Fernseher verfolgten. Deutschlands Fußballerinnen sind in der Disziplin Fernsehquote einsame Weltspitze. In allen anderen teilnehmenden Nationen lag die absolute TV-Zuschauerzahl bei den ersten WM-Übertragungen des eigenen Nationalteams klar darunter – in den USA schauten 3,5 Millionen Menschen zu, noch weniger waren es in Kanada (1,8), Frankreich (1,4) oder Spanien (0,9).

Dass jetzt ein Meinungsforschungsinstitut errechnet hat, 39 Prozent der deutschen Bevölkerung würde sich nicht „für Frauenfußball interessieren“, kann daher getrost als Kompliment verstanden werden: Die Mehrheit ist also nicht desinteressiert. Die Mehrheit – wie beim „Männerfußball“. Und auch für den interessieren sich ja nicht alle Menschen.

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