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Fußball-WM 2014: Großes brasilianisches Ehrenwort

In 18 Monaten beginnt in Brasilien die Fußball-Weltmeisterschaft, auf den Stadienbaustellen ist davon noch nicht viel zu sehen. Eine Reise von Rio nach Manaus.

Wenn Besuch aus Deutschland kommt, erzählt Marcus Haase gern die Geschichte von Barack Obama. Wie der Präsident der USA nach Rio kam und dabei auch kurz beim Fußballklub Flamengo vorbeischaute. Er wollte gerade wieder in seinen Hubschrauber steigen, da trat die Klubpräsidentin nach vorn, schlüpfte aus einem über die offizielle Garderobe gestreiften Flamengo-Trikot und drückte es dem verblüfften Obama in die Hand: „Für Sie, Mr. President! Sie sind jetzt der neueste Flamengo-Zugang!”

Die auf ein paar Fotos festgehaltene Szene lief bei den brasilianischen Fernsehsendern rauf und runter. „In Berlin oder Washington wäre so etwas undenkbar“, sagt Marcus Haase. „Sie hätten mal die Gesichter der Bodyguards sehen sollen!“ Marcus Haase kennt sich aus mit den Regeln des Protokolls. Er hat bei der Fußball-WM 2006 in Deutschland für das Organisationskomitee gearbeitet und vor drei Jahren sein Anwaltsbüro von Berlin nach Rio verlegt. Gerade erst hat Haase für Herthas einstigen Paradiesvogel Marcelinho die Rentenansprüche geklärt, und natürlich geht er oft zum Fußball, am liebsten zu Fluminense, dem ältesten Verein in Rio, er hat gerade zum 31. Mal die brasilianische Meisterschaft gewonnen. Aber genauso gern spaziert Haase am Wochenende über die Avenida Atlantica und beobachtet die Cariocas beim Futevollei, einer brasilianischen Spielart des Beachvolleyballs, bei der der Ball mit allem, nur nicht der Hand berührt werden darf. Wer die brasilianische Hingabe zum Fußball verstehen will, kommt nicht vorbei an den zahl- und namenlosen Helden an den Stränden von Copacabana und Ipanema.

In Rio ist Fußball nicht Religion, sondern noch ein bisschen mehr. Deswegen werden die kommenden beiden Jahre ja auch so spannend. Im Juli 2013 kommt der Papst zum Weltjugendtag und ein Jahr später der Rest der Welt zur Fußball- Weltmeisterschaft. Benedikt XVI. lädt zum Gebet an den Strand von Copacabana, wo Platz genug ist für die Jugend. Aber wohin soll ein Jahr später der Rest der Welt? Wer die Brasilianer in diesen Tagen dezent darauf hinweist, es sei doch mal an der Zeit, den Bau der Stadien für die WM auf die Reihe zu bringen, bekommt zu hören: Wird schon irgendwie gehen, ist doch noch Zeit, und zur Not improvisieren wir. Wie es die Senhora Presidente von Flamengo bei ihrem Date mit Barack Obama getan hat.

18 Monate vor dem Eröffnungsspiel in Sao Paulo ist noch keine der zwölf WM- Arenen komplett fertig. Die Mitte Dezember mit großem Brimborium begangene Eröffnung des Stadions von Fortaleza beschränkte sich auf einen symbolischen Anstoß der Staatspräsidentin Dilma Rousseff. Fußball ist dort bis heute nicht gespielt worden. Die in der vergangenen Woche offiziell fertiggestellte Arena in Belo Horizonte soll ab Februar bespielt werden. Und als Gremio Porto Alegre Anfang Dezember gegen den Hamburger SV seine (allerdings nicht für die WM vorgesehene) Arena eröffnete, geschah das auf einer halben Baustelle und einem Rasen, der sich bestens zum Anbau von Kartoffeln eignete. „Wenn ich sehe, wie das Stadion in Porto Alegre eröffnet wurde, dann kann ich mir auch vorstellen, dass Maracana eröffnet wird“, sagt Marcus Haase.

Ah, Maracana … das berühmteste Fußballstadion der Welt! Schon im Sommer 2013 ist das runderneuerte Maracana fest eingeplant für den Confed-Cup, die offizielle WM-Generalprobe. Seit gut zwei Jahren wird das zur WM 1950 errichtete Stadion umgebaut. Zerbröselt ist es unter anderem an den ungezählten Geschäften ungezählter Fans infolge erhöhten Biergenusses in den Halbzeitpausen ungezählter Fußballspiele.

Vom alten Maracana bleibt nur die denkmalgeschützte Fassade. Eigentlich sollten die Arbeiten längst beendet sein, aber auf der Baustelle sieht es so aus, als würde es gerade erst losgehen. Allerlei Rippen fehlten im Oval, die unteren Tribünen existieren nur auf Computer-Animationen, und das Dach – welches Dach?

Die brasilianische Mentalität ist für Europäer schwer nachzuvollziehen

Es baut sich nicht so leicht im Sommer von Rio. Gerade erst war ein Großteil der Stadt nach einem Energiekollaps 15 Stunden lang ohne Strom, der internationale Flughafen funktionierte zwei Stunden lang nur mit Notlicht. Im Schatten der Weihnachtsfeierlichkeiten wurde der auf den 28. Februar verschobene Eröffnungstermin für das Maracana noch einmal verschoben – am 20. April soll alles fertig sein, großes brasilianisches Ehrenwort. Das erste Spiel findet vorsichtshalber erst am 2. Juni statt. Zur Einweihungsparty haben die Brasilianer sich die englische Nationalmannschaft eingeladen. Es wird wohl eine improvisierte Party mit allerlei Nebengeräuschen, denn die zuständige Behörde hat schon verlauten lassen, die Klubs aus Rio sollten sich keinesfalls einbilden, dass sie danach wieder zu ihren Meisterschaftsspielen ins Maracana zurückkehren. Zurzeit spielen Flamengo, Botafogo und der frisch gekürte Meister Fluminense weit draußen im Engenhao, einem Leichtathletik-Stadion ohne jede Atmosphäre. Ein eigenes Stadion hat nur Vasco da Gama.

Die WM 2014 fällt zusammen mit dem Aufbruch der heimlichen Weltmacht Brasilien. Die Wirtschaft boomt im fünftgrößten Land der Erde. Seit zehn Jahren steigen die Löhne, die Arbeitslosigkeit liegt bei sechs Prozent, der Real ist die stärkste Währung Südamerikas. Sorgen macht den Brasilianern nur der Fußball. Vielen erscheint die einst übermächtige Nationalmannschaft auf höchstem Niveau nicht mehr konkurrenzfähig. Nationaltrainer Mano Menezes, der die WM daheim mit neuen und jungen Spielern angehen wollte, erhielt die Kündigung und wurde durch den alten Haudegen Luiz Felipe Scolari ersetzt. Der steht für ergebnisorientierten und nicht allzu schön anzuschauenden Fußball. Das schmerzt die Brasilianer, denen die Ästhetik genauso wichtig ist wie der Erfolg, mindestens. Weil ihnen das englische Football nicht elegant genug klang, haben sie für ihren Nationalsport ein eigenes Wort kreiert: „Futebol“, gesprochen: Futschibol.

Neulich war eine Abordnung der Fifa zu Besuch in Rio. Jerome Valcke, der Generalsekretär des Fußball-Weltverbandes, spazierte gemeinsam mit Brasiliens Sportminister Aldo Rebelo und dem Nationalhelden Ronaldo durch die Betonwüste im Inneren des Maracana und posierte für die Fotografen mit einer Handvoll der 5000 Arbeiter, die im Schichtbetrieb rund um die Uhr am Umbau werkeln. Um die 20 Prozent fehlen noch zur Planerfüllung. Erinnerungen werden wach an das Jahr 2009, als die Fifa kurzfristig Port Elizabeth als Standort für den Confed-Cup strich und darüber debattierte, Südafrika im Falle einer missratenen Generalprobe die WM 2010 zu entziehen.

Es ist bekanntlich nicht so weit gekommen, und im Falle Brasiliens denkt erst recht niemand ernsthaft an ein Worst-Case-Szenario. Es hat schon Wirkung gezeitigt, als der verärgerte Fifa-Mann Valcke im Spätherbst verkündete, die Brasilianer könnten beim Stadionbau einen Tritt in den Hintern vertragen. „Die Europäer sollten sich schon mal daran gewöhnen, dass die WM hier sehr brasilianisch ablaufen wird“, sagt der Berliner Anwalt Marcus Haase. „Die brasilianische Mentalität ist für die Europäer nicht immer so leicht nachzuvollziehen. Am Anfang lassen die Leute hier die Sache ein wenig schleifen, aber sie haben dabei immer im Hinterkopf, dass sie am Ende richtig Tempo machen können und dann doch noch alles schaffen, wenn auch reichlich spät.“

In Manaus wird mitten im Regenwald ein Stadion gebaut

Zum Beispiel in Manaus. Die Stadt am Zusammenfluss von Rio Negro und Solimoes zum Amazonas ist mindestens so spektakulär wie Rio, aber mit anderen Vorzeichen. Manaus ist der exotischste WM-Standort aller Zeiten. Eine Stadt mitten im Urwald, der Äquator ist drei Breitengrade entfernt und der Atlantik 1700 Kilometer. Die einzige Landverbindung zur Außenwelt ist eine provisorische Straße nach Venezuela.

Der Münchner Reiseveranstalter Studiosus hat nach Manaus eingeladen. Der erste Eindruck nach dem dreistündigen Flug von Rio in den tropischen Norden ist – feucht. Bei Temperaturen um 40 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von annähernd 100 Prozent schwitzt der unerfahrene Europäer schon im Stehen. Das verträgt sich nicht gut mit der bewegungsintensiven Sportart Fußball, aber Manaus ist ein politisches Prestigeobjekt der Regierung. Die WM 2014 soll ganz Brasilien repräsentieren, auch die im Regenwald lebenden Indios, für die Sportminister Aldo Rebelo der Fifa ein Kontingent an Freikarten abgeschwatzt hat.

„Wissen Sie, warum es in Manaus keinen Klub in der ersten brasilianischen Liga gibt?“, fragt Claudio Radke. „Na, die Leute können hier einfach nicht schnell genug rennen bei der Hitze und der Luftfeuchtigkeit.“ Claudio Radke ist in den siebziger Jahren aus Porto Alegre nach Manaus gekommen. Er wollte eigentlich nur für ein paar Wochen bleiben und führt jetzt seit bald 40 Jahren Touristengruppen durch den Regenwald. In letzter Zeit häufen sich die Fragen nach Manaus und der Fußball-WM. „Ich weiß bis heute nicht, was der Blödsinn soll“, sagt Radke. „200 Millionen Euro kostet uns allein das Stadion. Und dazu kommen noch die Kosten für die Straßen und die Bahnanbindung“, aber die wird wahrscheinlich ohnehin nicht fertig.

Das Amazonas-Stadion wird vom deutschen Architektenbüro gmp gebaut. Hinter Tankstellen, Reifenlagern und Palmen drehen sich drei Kräne. Die Konturen eines Stadions lassen sich auf der Baustelle allenfalls schemenhaft erkennen. Viel rote Erde und die Andeutung einer Tribüne. Wenn es einmal fertig ist, soll das Stadion aus der Luft wie ein bunter Obstkorb aussehen und von außen wie eine schlafende Schlange.

Das kann dauern. Ein deutscher Ingenieur, er arbeitet für die MAN-Niederlassung in Manaus, hat für das Problem der sich ständig verzögernden Arbeiten eine einfache Lösung: „Man muss den Brasilianern einfach nur sagen, dass die WM abgesagt wird, dann wird das schon. Karneval und Fußball, das können sie einigermaßen. Aber wenn die Bauarbeiten in dem Tempo weitergehen, dann wird das Stadion 2024 fertig.“ Das größte Problem ist die Natur. Sämtliche Materialien müssen per Schiff über den Amazonas oder per Flugzeug auf die Baustelle geschafft werden. Der Fifa-General Valcke sagt, er sei „ein bisschen besorgt wegen Manaus“ und hat schon mal prophylaktisch gedroht: „Noch ist es möglich, ein Stadion aus der Liste für die WM zu streichen.“

Wenn denn alles nach Plan verläuft, wird das Ufo Fußball-WM für vier Vorrundenspiele im Urwald landen und dann auf Nimmerwiedersehen aus dem Urwald verschwinden. Wie viel wird bleiben von der populärsten Veranstaltung der Welt? Wenig, glaubt Claudio Radke. „Im ersten Jahr nach der WM werden die Leute sich vielleicht noch für das Stadion interessieren. Dann wird es einfach nur noch rumstehen.“ Der populärste Klub Nacional Manaus spielt in der viertklassigen Serie D und hat als einzigen Spieler von nationalem Ruf den Stürmer França hervorgebracht, er hat auch mal ein paar Jahre in Leverkusen gespielt. Als França in den Neunzigern vom Amazonas nach Sao Paulo wechselte, „hat er vor seinem ersten Spiel alle Bekannten angerufen und ihnen gesagt: Heute bin ich im Fernsehen“, erzählt Claudio Radke. Allzu viele Leute sollen nicht zugeschaut haben.

Manaus gehörte mal zu den wohlhabendsten Städten der Welt. Das war zwischen 1870 und 1910, als die Region im oberen Amazonasbecken der einzige Lieferant von Kautschuk war. Heute ist die größte Attraktion der Stadt das 1896 eingeweihte Amazonas-Theater. Nach dem Einbruch des Kautschuk-Booms verfiel das urwaldpapageienbunte Haus, aber dann drehte Werner Herzog seinen Film „Fitzcarraldo“ und machte das Theater weltberühmt. Ein paar Jahre später, 1995, rüttelte Luciano Pavarotti an der Tür, aber der Hausmeister ließ ihn erst nach einer improvisierten Gesangsprobe hinein. Ein bewegter Pavarotti schmetterte vor leeren Stühlen eine Arie.

Ob Lionel Messi wohl in zwanzig Jahren mit einem Ball vor der schlafenden Schlange von Manaus stehen wird?

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