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Hier spielt man deutsch. Das Fußballstadion von Pomerode.

© Gunnar Leue

Fußball-WM 2014: Pomerode - Brasiliens deutsche Hauptstadt

Auswanderer aus Pommern gründeten einst Pomerode. Die Kleinstadt im Regenwald hat sogar eine eigene professionelle Fußballliga. Die Loyalitäten vor der WM sind gemischt.

Waldemar Buse kennt sie persönlich, die Legenden der brasilianischen Fußballvergangenheit: Jairzinho, Zico, Falcao. Aus seiner Tasche holt er ein kleines, schon ganz abgegriffenes Fotoklappalbum. Hastig blättert er die Fotos durch, die ihn neben den Berühmtheiten zeigen. Stolz wie Bolle, mit gestreckter Brust überm rundlichen Bauch. Zico habe bei Globo, dem größten Fernsehsender Brasiliens gesagt: „In einer kleinen Stadt in Brasil gibt es eine Fußballliga, so eine gibt's im ganzen Land nicht noch mal.“ Und er, Waldemar Buse, ist der Chef der Liga von Pomerode, einer kleinen Stadt im Regenwald entlang des Rio do Testo. Ihre Gründer kamen vor 150 Jahren vorwiegend aus Pommern, 95 Prozent der heutigen 25 000 Einwohner sind deutschstämmig, zwei Drittel sprechen immer noch Deutsch. Ein skurriles von Platt und Portugiesisch durchwebtes Deutsch.

Wenn Buse redet, klingt es besonders drollig, weil es so schön zum schelmischen Grinsen des kleinen Mannes passt. Und Buse redet gern. Früher war er selbst Fußballer. Aus der Zeit hat er seinen Spitznamen Cascudo. „Wie der Fisch, der sich immer zwischen den Steinen durchschlängelt.“ Der 64-jährige Taxifahrer verfügt über ein endloses Story-Repertoire, aber die tollste Story, da lässt er keinen Zweifel, ist die Liga Pomerodense de Desportos (LPD), der er seit 1998 vorsteht.

Die gemeinnützige Liga strahlt das Klischee von deutscher Organisation aus

Drei Ligen existieren auf nationaler Ebene, daneben gibt es die Regionalmeisterschaft der Bundesstaaten und unzählige kleine Ligen in den Regionen. Allein im Bundesstaat Santa-Catarina annähernd 60. Alle sind dem Fußballverband untergeordnet. „Aber wir sind die einzige mit Gemeinwohl“, sagt Präsident Buse. „In ganz Brasilien gibt es keine andere Liga, die die offizielle Deklaration von bundesstaatlicher Zweckmäßigkeit besitzt.“ In Deutschland würde man sagen Gemeinnützigkeit, denn die LPD muss ihre Einnahmen und Ausgaben öffentlich abrechnen. Auch den Bau ihrer Zentrale hat größtenteils die Stadt Pomerode bezahlt, nur Fenster und Malerarbeiten wurden von ortsansässigen Firmen spendiert.

Das zweistöckige Gebäude mit seiner sterilen Backsteinfassade ist keine architektonische Perle. Einziger Blickfang sind das LPD-Wappen überm Eingang und die Eisengitter vor der Tür und den Fenstern. Zweimal sei schon eingebrochen worden, erklärt Buse, während er nach stolzer Hausherrenart durch die Räume führt. Ihr aufgeräumter Zustand vermittelt klischeeesk, dass von hier aus die einzige „deutsche“ Liga im Land des Samba-Fußballs organisiert wird.

„Ja, gute Organisation ist alles“, sagt Ademar Ramthun, 55 Jahre alt, zweiter Mann der LPD nach Buse. Das Wichtigste sei das Championat de Pomerode, das zehn Teams – sieben aus Pomerode und drei aus der Umgebung – ausspielen. Die Saison dauert vier Monate, in denen die Teams die Play-off-Plätze sowie Halbfinalisten und Finalisten ermitteln. Außerdem organisiert die Mikroliga ein Jugendchampionat, eine Frauenmeisterschaft und Futebol de Salon, eine spezielle Art des Hallenfußballs, die im Sportpalast von Pomerode gespielt wird. Der Sportpalast ist auch ein Tanz- und Unterhaltungspalast. Jeden Januar findet in ihm das traditionelle Pomeranerfest statt, bei dem zu altdeutschem Liedgut in alten Trachten geschunkelt, getanzt und getrunken wird. Krawall und Randale gibt es trotzdem nicht. So läuft das auch beim Fußball im deutschen Eck von Brasilien. „Wenn die Klubs Streit haben oder Spieler und Fans rumprügeln, fliegen die raus“, sagt Buse – im Stile eines Paten.

Fachwerkhäuser vor Palmen locken Touristen an

Straffe Organisation – das erinnert an die sogenannten deutschen Tugenden, mit denen deutsche Nationalteams vor langer Zeit Titel erkämpften. In Pomerode sind die Leute stolz, dass man diese Tugenden schon im Straßenbild erkennt. Die sauberen Kopfsteinpflasterstraßen und Fachwerkhäuser sind ein einziger Affront gegen die subtropische Idylle aus Palmen, Farnen und bunten Blüten. Das wiederum lockt Touristen in den Ort, der in Brasilien skurril wirkt, trotz der vielen Deutschen Auswanderer im Süden. Pomerode ist eine wohlhabende Stadt, denn in den Textilfabriken und Niederlassungen deutscher Firmen wie Bosch-Rexroth wird gut bezahlt. Florierende Wirtschaft plus Fachwerktümelei – das produziert jenen Stolz, mit dem sich die Stadt „deutscheste Stadt in ganz Brasilien“ preist. Äußere Anzeichen von Deutschtümelei beschränken sich freilich auf kitschige Reklame wie den Lederhosensepp, der auf einem Bierfass reitend fürs Restaurant „Siedlertal“ wirbt. Von deutschen Fahnen in den Vorgärten der Wohnhäuser dagegen keine Spur. Man sieht Hängematten und vereinzelt Fahnen von Fußballklubs wie Vasco da Gama oder Flamengo Rio de Janeiro, denn zuallererst sind die Pomeranos Brasilianer. Trotzdem sind auch im Fußball deutsche Spuren unübersehbar.

Am kleinen Stadiontower des Pomeroder Vereins Agua Verde prangen zwei deutsche Namen – der Sponsoren Goede und Krueger. Das Estadio Leopoldo Krueger liegt eingebettet in einem grünen Tal. Zu den Spielen kommen wenige Hundert Zuschauer. Vor dem Anpfiff wird stets die brasilianische Hymne gespielt und Radio Pomerode überträgt live. Währen der Rahmen stimmt, hat das Spiel auf dem Rasen meist nichts von brasilianischer Leichtigkeit. Fußball in der LPD-Liga ist sportliche Kleinkunst, aber relativ gut bezahlte. Die Spieler bekommen pro Spiel mehr als den monatlichen Mindestlohn der Arbeiter. Und sie würden, das sei offenes Geheimnis, schwarz bezahlt, sagt Buse. „Die Fußballer in unserer Liga kriegen von ihren Klubs 500 bis 800 Real pro Spiel. Deshalb spielen auch viele Ex-Profis hier mit. Wenn unser Championat zu Ende ist, ziehen die einfach weiter zum nächsten Championat, zum Beispiel in Blumenau.“

Die Einwohner halten eher zu Brasilien, aber sympathisieren mit "Alemanha"

Im Vorfeld der WM werden die Pomeranos natürlich oft gefragt, für wen sie denn fiebern würden. Rolf Porath, der zwei Fußballcamps für Jugendliche betreibt und Wirtschaftsstadtrat in Pomerode ist, glaubt, dass 95 Prozent der Einwohner zu Brasilien halten werden. „Aber in den Kneipen jubeln sie auch für Deutschland.“ Viele würden zu Hause ja auch deutschen Bundesligafußball gucken. In Bezug auf das brasilianische Team sind die Erwartungen gedämpft. „Zu wenig Mischung aus jung und alt“, sagt Ademar Ramthun, „außerdem sind die anderen Teams auch gut geworden. Gerade Deutschland.“

Das sieht Robert von der Heyde ähnlich. Er war einige Jahre Vizepräsident von Metropolitan Blumenau und ist heute Spielervermittler. Die Leute in Pomerode würden zwar nicht direkt etwas vom Turnier mitbekommen, aber in den Kneipen würden sie auf jeden Fall bei deutschem Bier mitfiebern. „Am Schönsten wäre natürlich ein Finale Brasil gegen Alemanha.“

Gunnar Leue

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