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Fußball-WM: Birgit Prinz: Wie ausgewechselt

Plötzlich ist sie ein Problem. Dabei war sie doch immer die Lösung: Wenn ein Tor gebraucht wurde – Birgit Prinz schoss es. 128 in 214 Länderspielen. Und jetzt geht auf einmal nichts mehr. Den Star des deutschen Frauenfußballs hat das Glück verlassen.

Sie hat die Ellbogen auf die Knie gestützt, den Rücken gebeugt, ihr Blick geht geradeaus auf das Spielfeld und doch ins Nichts. Birgit Prinz ist in diesem Augenblick ganz allein mit ihrer Enttäuschung – und Millionen Menschen sehen ihr dabei zu. Die Grasflecken auf ihren Stutzen, die zusammengekniffenen Lippen, ihre wie zum Gebet gefalteten Hände werden für die 48.817 Zuschauer auf den riesigen Videowürfel des Frankfurter Stadions projiziert, das Fernsehen sendet dasselbe Bild quer durchs Land. Der Anblick der traurigen Frau auf der Auswechselbank ist in diesem Augenblick am Donnerstagabendspannender als alles, was die Nationalmannschaften von Nigeria und Deutschland auf dem Rasen bieten könnten. Und die Gefühle von Birgit Prinz, die ihr Innenleben immer beschützen und verstecken wollte, sind plötzlich so öffentlich wie noch nie.

Sie wolle diese Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land, ihr letztes großes Turnier, bewusst genießen, hat Birgit Prinz vor kurzem gesagt. Sie ist 33 Jahre alt, sie führt die deutsche Mannschaft als Kapitänin auf das Feld, drei Mal ist sie zur Weltfußballerin des Jahres gewählt worden. Die WM sollte der krönende Abschluss einer Karriere sein, die längst keine Krönung mehr braucht. Birgit Prinz ist die erfolgreichste Fußballspielerin aller Zeiten, sie hat fast alles gewonnen, was man im Fußball gewinnen kann. Nicht aber die Herzen der Menschen, aber darauf kam es ihr nie an. Ihre Privatsphäre war ihr immer wichtiger – und der Erfolg auf dem Fußballfeld.

Jetzt ist sie in zwei Spielen zwei Mal ausgewechselt worden, sie hat nicht gut gespielt, das weiß sie selbst am besten. Bevor sie in Frankfurt vom Platz geht, pfeffert sie einer Mitspielerin die Kapitänsbinde vor die Brust, danach klatscht sie die Auswechselspielerin so hart ab, als wollte sie ihr die Hände brechen. Die Zeitungen schreiben jetzt von Demontage, Demütigung, vom Absturz, vom Problem Birgit Prinz.

Ein Problem war sie noch nie, sie war immer die Lösung. Schon in ihrem ersten Länderspiel vor fast 17 Jahren hat sie das Siegtor geschossen, damals war sie 16 Jahre alt. Seitdem stand Birgit Prinz bei 214 Länderspielen auf dem Feld und hat dabei 128 Tore geschossen, sie ist deutsche Rekordnationalspielerin und Rekordtorschützin. Aber Rekorde interessieren Birgit Prinz nicht. Es hat sie auch nicht interessiert, was über sie geredet wird. Sie wollte immer nur gewinnen – und danach ihre Ruhe haben.

Lesen Sie auf Seite 2 über das nicht immer leichte Verhältnis von Birgit Prinz mit den Medien.

Nach dem Spiel gegen Nigeria kommt Birgit Prinz als eine der Ersten aus der Kabine. Gut 200 Medienvertreter warten im Stadiongang auf die deutsche Mannschaft, niemand hat so früh mit Prinz gerechnet, es entsteht leichte Verwirrung. Prinz drückt sich an der Wand entlang, ein Mitarbeiter des Deutschen Fußball-Bunds ist dabei. Er verlangsamt den Schritt, murmelt: „Wenn niemand will…“ „Geh weiter“, zischt Prinz, als würde sie hoffen, tatsächlich ohne die Beantwortung einer Frage vorbeizukommen. „Birgit“, ruft der erste Reporter, sie geht noch ein paar Schritte, „Birgit!“ Sie pustet hörbar einmal durch, stellt sich hin, schiebt die Hände in die Hosentaschen, wie sie es schon hunderte Male getan hat. Genervt, lustlos, scheinbar gleichgültig. „Glücklich war ich nicht, aber das ist man auch nicht, wenn man nach 50 Minuten ausgewechselt wird“, sagt sie und schiebt die Unterlippe vor. Als ein Reporter sie darum bittet, ihre Leistung zu analysieren, sagt sie: „Da habe ich keine Lust drauf, können Sie selber machen.“

Mit solchen Antworten, mit ihrer manchmal schroffen Art, hat sich Birgit Prinz nicht nur Freunde gemacht. Es scheint so, als würden sich jetzt einige Journalisten revanchieren wollen. Die „Bild“-Zeitung vergibt nach dem Spiel gegen Nigeria Schulnoten für die deutschen Spielerinnen. Gut war keine, aber Prinz ist die einzige, die eine 5 bekommt. „Bild“ wirft ihr außerdem vor, bei der Nationalhymne nicht mitgesungen zu haben. Das hat Birgit Prinz noch nie gemacht, aber jetzt passt es, jetzt ist es ein Thema.

Es gab eine Zeit, in der Birgit Prinz versucht hat, es allen recht zu machen. Nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft 2003 hat sie Einladungen zu Talkshows angenommen, hat viele Interviews gegeben. Aber sie hat schnell erkannt, dass sie sich damit unglücklich gemacht hat. „Es ist nicht meine Welt“, hat sie später einmal gesagt. „Es hat mich nicht zufrieden gemacht. Ich habe immer mehr gemerkt: Oh Gott, das geht gar nicht.“ Birgit Prinz sagt solche Sätze nicht einfach so dahin, sie sagt nie irgendetwas so dahin.

„Sie ist ein wirklich ehrlicher Typ, man sieht, was in ihr vorgeht“, sagt Siegfried Dietrich, der eigentlich nur als „Siggi“ bekannt ist. Siggi Dietrich ist der vielleicht mächtigste Mann im deutschen Frauenfußball, er kennt Birgit Prinz schon seit Jahren. Dietrich managt nicht nur ihren Verein 1. FFC Frankfurt, sondern berät sie auch in persönlichen Karrierefragen. „Diese Situation quält sie jetzt besonders“, sagt Dietrich am Telefon. Die Verbindung wird immer wieder unterbrochen, Dietrich ist im Auto unterwegs ins Studio von „Verstehen Sie Spaß?“, wo es an diesem Abend auch einen Frauenfußball-Gag zu sehen gibt, die Nationalspielerin Fatmire Bajramaj wurde reingelegt.

Für diese Art von Unterhaltung ist Birgit Prinz nicht zu haben, Dietrich berichtet, er habe in den vergangenen Jahren mit ihr zusammen vier Werbepartner ausgesucht, „die zu ihrer Persönlichkeit“ passen, darunter sind ein Optiker und die Frankfurter Verkehrsgesellschaft. Mehr will Birgit Prinz nicht. 2003 bot ihr der AC Perugia in Italien an, sie unter Vertrag zu nehmen. Sie hatte auch ein Angebot von Real Madrid, als die eine Frauenmannschaft aufbauen wollten, auch das lehnte sie ab. „Sie hätte mit ihrer Popularität viel mehr Geld verdienen können“, sagt Siggi Dietrich. Die erfolgreichste Fußballerin aller Zeiten wollte aber nie auf einen Sockel gestellt und angestarrt werden.

Lesen Sie auf Seite 3 mehr über Birgit Prinz, Ehrgeiz und Überhöhung.

Zwei Wochen vor dem Start der WM. Da starrt Birgit Prinz die riesige Birgit Prinz an, die auf dem Sockel vor ihr steht. In der Zeil, der Haupteinkaufsstraße von Frankfurt am Main, wird eine knapp acht Meter große Figur enthüllt, die Prinz beim Kopfball zeigt. Sie wird bis zum 17. Juli stehen bleiben, dann wird das WM-Finale in Frankfurt ausgetragen, die deutsche Mannschaft soll unbedingt dabei sein. Birgit Prinz ist in Frankfurt geboren, mit der Ausnahme eines Jahres in der amerikanischen Profiliga, in dem sie natürlich die US-Meisterschaft gewann, spielt sie seit 1998 hier. Sie könnte jetzt lächeln, sie könnte irgendetwas Belangloses, Nettes sagen, wie es Sportler bei solchen Gelegenheiten tun. Neben ihr steht Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth, Birgit Prinz könnte sich dafür bedanken, in ihrer Heimatstadt derart geehrt zu werden. Birgit Prinz sagt: „Das ist mir schon unangenehm. Ich werde die Zeil sicher die nächsten Tage nicht betreten.“ Birgit Prinz will nicht überhöht werden, sie will sie selbst sein.

Die Richtung, in die sich der Frauenfußball gerade entwickelt, passt nicht zu Birgit Prinz. Sie hat eine Ausbildung zur Physiotherapeutin gemacht, sie hat Psychologie studiert, ihr war immer klar, dass ihr Fußball allein nicht genügt, dass es ein Leben nach dem Sport gibt. Doch sie will auch gewinnen, die Beste sein. Ihr Vater, der lange ihr Trainer war, hat einmal der „Zeit“ erzählt, irgendwann habe die Familie Prinz aufgehört, „Mensch ärgere dich nicht“ oder „Fang den Hut“ zu spielen, weil es immer Tränen gab, wenn Birgit nicht die Siegerin war.

Jahrelang war sie auf allen Fußballplätzen der Welt die Schnellste, die Dynamischste, die Treffsicherste. Inzwischen sind andere schneller, das weiß sie selbst, sie sieht die 13 Jahre jüngere Alexandra Popp jeden Tag im Training. Ihr letztes Länderspieltor hat Birgit Prinz im vergangenen November erzielt. Zuletzt hat sie oft gesagt, sie müsse nicht unbedingt Tore schießen, auch ein intelligenter Pass, ein Sprint, der eine Lücke für die Mitspielerin reißt, könne einer Mannschaft helfen. Doch auch das will ihr im Moment nicht gelingen.

Lesen Sie auf Seite 4: Hat Prinz den Zeitpunkt zum Rücktritt verpasst?

Vor der WM waren die deutschen Frauen, auch dank Birgit Prinz, der große Favorit auf den WM-Titel. Inzwischen tippen viele auf die Amerikanerinnen, die ihre ersten beiden Spiele souverän gewonnen haben. 1999 sind die USA zum bisher letzten Mal Weltmeister geworden, der große Star war Mia Hamm. Die ehemalige Stürmerin wurde 2001 und 2002 zur Weltfußballerin des Jahres gewählt. In den drei Jahren darauf gewann Birgit Prinz den Titel.

Heute ist Hamm 39 Jahre alt, zur WM ist sie in Deutschland, jetzt sitzt sie in einem kleinen Pressebüro im Sinsheimer Stadion. „Ich kann sehr gut nachempfinden, wie Birgit sich jetzt fühlt“, sagt Mia Hamm. „Auch ich hatte meine Krisen, auch ich musste mit Kritik leben. Ich hatte das große Glück, dass ich 2004 als Olympiasiegerin abtreten konnte.“ Niemand habe sie zum Rücktritt aufgefordert, es habe auch keine Jüngeren gegeben, die ihr den Platz streitig gemacht hätten. „Es hat aber auch keiner gebettelt, dass ich unbedingt weitermachen soll.“ So ist das, nicht nur im Sport.

Hamm war 32 Jahre alt, als sie aufhörte. Bei Birgit Prinz fragt man sich nun, ob sie ihren Zeitpunkt verpasst hat. Aber was hätte sie tun sollen? Vor der Weltmeisterschaft im eigenen Land zurücktreten? Das hätte niemand verstanden, am wenigsten Bundestrainerin Silvia Neid, die mit Prinz noch selbst zusammengespielt und sie als Schlüsselspielerin für die WM eingeplant hat. Doch jetzt hat Silvia Neid Birgit Prinz zehn Mal in Folge ausgewechselt, in den beiden WM-Spielen nach 56 Minuten und 52 Minuten. Mia Hamm hat im Fernsehen verfolgt, wie Birgit Prinz gegen Nigeria vom Feld musste. „Sie ist eine sehr stolze Frau, das konnte jeder in ihrem Gesicht ablesen, als sie den Platz verlassen hat“, sagt sie. Mia Hamm weiß, wieso Prinz jetzt so hart angegriffen wird: „Birgit selbst hat den Maßstab für ihre Beurteilung gegeben mit den Toren, die sie geschossen hat.“ Jetzt drohen all diese Treffer, alle Erfolge, vor den Bildern der glücklosen und wutschnaubenden Birgit Prinz zu verblassen.

Heute spielen die deutschen Frauen gegen Frankreich um den Gruppensieg. Bundestrainerin Silvia Neid hat erstmals offen gelassen, ob Birgit Prinz von Beginn an spielen wird. Im Fußball der Männer würden die jüngeren Spieler nun ihre Chance wittern, das angeschlagene Alphatier aus dem Rudel zu jagen. So ist es Michael Ballack ergangen, als er wegen einer Verletzung die WM in Südafrika verpasste. Bei den Frauen scheint das anders zu sein. „Sie ist sehr, sehr wichtig für uns“, sagt Fatmire Bajramaj. „Ohne Birgit können wir uns das im Moment nicht vorstellen.“ Ariane Hingst, die seit Jahren bei Länderspielen das Zimmer mit Prinz teilt, sagt: „Für uns stand Birgit nie zur Debatte.“ So reden alle Spielerinnen, die man fragt. Es klingt ehrlich.

Am vergangenen Sonnabend trainiert die deutsche Mannschaft im Düsseldorfer Vorort Meerbusch, 2000 Zuschauer sind gekommen. Auch nach zwei WM-Spielen haben die meisten Leute noch Probleme, die deutschen Spielerinnen zu erkennen. Birgit Prinz erkennen alle. Michael Ballack wohnt hier um die Ecke, die Leute auf der Tribüne tuscheln. „Wenn die sich nicht so zickig benimmt wie der Ballack, ist das ja gut“, sagt ein Mann im Publikum und meint ihren Rücktritt, was sonst. An ihrem linken Knie trägt Birgit Prinz einen Tapeverband, in Trainingspausen lässt sie sich auf einem Koffer der Physiotherapeuten nieder, die anderen Spielerinnen sitzen auf dem Rasen oder stehen. Als es weitergeht und Prinz zurück auf den Rasen trabt, legt ihr Abwehrspielerin Babett Peter kurz einen Arm um die Schultern.

Siggi Dietrich sagt: „Birgit wird in diesem Turnier noch gebraucht.“

Mia Hamm sagt: „Keine Spielerin bei dieser WM will den Erfolg mehr als Birgit.“

Silvia Neid sagt: „Wir müssen die Birgit auch mal in Ruhe lassen.“

Birgit Prinz sagt: nichts.

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