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Die Macht der Verzögerung. Streikende Arbeiter, wie hier vor dem Maracana-Stadion in Rio de Janeiro, können durch Baustopps bessere Bedingungen durchsetzen. Foto: Reuters

© REUTERS

Fußball-WM: Die Fifa regiert, das Land verliert

Südafrika wird noch lange unter den Folgen der Fußball-WM zu leiden haben. In Berlin wurde diskutiert, wie es dem nächsten WM-Gastgeber Brasilien besser gehen kann.

Berlin - Es ist stets das gleiche Spiel: Zahlreiche Länder konkurrieren um die Austragung der Fußball-WM. Sie versprechen sich: Wirtschaftswachstum, Investitionen und neue Arbeitsplätze. Diese Hoffnungen werden gezielt von der Fifa und ihrem Präsidenten Joseph Blatter als Anbieter geschürt. Die Realität sieht meist ganz anders aus, der einzige Profiteur ist am Ende der Weltfußballverband selbst. Das hat die Fußball-WM in Südafrika bewiesen, die für das Land zu einer Katastrophe wurde, weil sich die Fifa im Vorfeld Narrenfreiheit hatte zusichern lassen. Aus ihr ergaben sich solche Profitmöglichkeiten, dass die „FAZ“ die Fifa als „Gelddruckmaschine“ bezeichnet hat.

In drei Jahren wird die WM nun in Brasilien angepfiffen, das Südafrika in vielem ähnelt: ein dynamisches Land im Aufbruch mit einer extremen Ungleichverteilung des Reichtums, einem großen informellen Sektor (sprich: Straßenverkäufern) sowie einer Slumbevölkerung in den Austragungsstädten. Wie kann Brasilien die Fehler vermeiden, die in Südafrika gemacht wurden? Darüber berieten im Berliner Haus der Demokratie der südafrikanische Aktivist Gaby Bikombo mit dem brasilianischen Gewerkschafter Leonardo Vieira und der Menschenrechtlerin Rossana Tavares aus Rio. Das Fazit ist, um es vorwegzunehmen, ernüchternd. Denn die einzige Möglichkeit, die Knebelgesetze der Fifa zu verändern, ist Druck von der Straße, der zudem von den Medien aufgegriffen werden muss.

Der Südafrikaner Bikombo fasst die Folgen der WM 2010 für sein Land zusammen. Dabei bezieht er sich auf die Studie des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks SAH, die für viel Aufsehen gesorgt hat. Die Verluste für den südafrikanischen Staat belaufen sich demnach auf 2,7 Milliarden Dollar. „Die Privilegien und Konzessionen, die wir der Fifa zugestehen mussten, waren schlicht zu hoch und zu erdrückend“, wird der Sprecher der südafrikanischen Steuerbehörde zitiert.

Für die Fifa war die WM 2010 hingegen die erfolgreichste ihrer Geschichte: Sie machte einen Gewinn von rund zwei Milliarden Euro. Steuerfrei, versteht sich, denn das ist die Bedingung, um eine WM austragen zu dürfen. Fifa-Chef Joseph Blatter bezeichnete sich hernach als „glücklichsten Mann der Welt“. Die Arbeitsplätze wiederum, die kurzzeitig durch Stadionbauten und Infrastrukturprojekte entstanden, gingen allesamt wieder verloren. Sechs der Stadienneubauten seien heute „Weiße Elefanten“, so Bikombo. Soll heißen: Sie sind überdimensioniert und kosten mehr Unterhalt, als sie einspielen.

Auch die sozialen Konflikte wurden durch das Fußballereignis eher verschärft. Afrikaner kauften nur zwei Prozent der Tickets, und es verfestigte sich der Eindruck, dass die WM eine Veranstaltung für die Reichen sei. 20 000 Menschen verloren ihr Zuhause, Straßenhändler wurden gewaltsam zugunsten der Fifa-Lizenzpartner vertrieben, auch letztere zahlen keine Steuern. „Die großen Verlierer der WM sind die städtischen Armen“, sagt Bikombo. „Für sechs Wochen hat Sepp Blatter Südafrika regiert. Die soziale Spaltung ist heute tiefer als zuvor.“ Er rät den Brasilianern, auf Transparenz zu drängen. Die von der Fifa dekretierten Sondergesetze, die sie sich von den Parlamenten absegnen lässt – meist ohne Debatte – müssten einsehbar sein.

Der brasilianische Gewerkschaftsmann Vieira setzt logischerweise auf Brasiliens Gewerkschaften. Sie sollten mit am Verhandlungstisch sitzen, wenn im Oktober die Gesetze in Brasilia zur Abstimmung stehen, in denen sich die Fifa alle Rechte zusichern lässt. Wie er verhindern will, dass etwa erneut eine ausländische Bierfirma ein Monopol erhält, wie dies in Deutschland 2006 der Fall war, lässt er offen. Daneben setzt er auf die Bauarbeiter, weil diese an Schlüsselpositionen sitzen. Sie müssten für ihre Interessen kämpfen. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass immer dann Verbesserungen möglich seien, wenn Verzögerungen im Ablaufplan drohten.

Da passte es, dass die junge Menschenrechtsaktivistin Tavares vom Streik der Arbeiter berichtet, die das Maracana-Stadion in Rio auf Druck der Fifa umbauen. Sie verlangen höhere Löhne, besseres Essen und die Anwesenheit von Ärzten bei den Nachtschichten. Daneben sei die Zwangsumsiedlung von Favela-Bewohnern bereits jetzt in vollem Gange. Die Entschädigungssummen seien lächerlich und es gebe keine Ausweichmöglichkeiten für die Armen, weil die WM zu einer von Spekulanten hervorgerufenen Immobilienblase geführt habe.

Als verhängnisvoll könnten sich die Kosten für die von der Fifa angeordneten Stadienbauten und Infrastrukturprojekte erweisen. Der brasilianische Senat hat diese auf 40 Milliarden Dollar geschätzt. Damit wäre die WM in Brasilien teurer als alle drei vorangegangenen Weltmeisterschaften zusammen. Fast 99 Prozent des Geldes kommt aus öffentlichen Quellen, wird also von den Brasilianern bezahlt. Die Fifa selbst ist weder in Brasilien noch in der Schweiz, wo sie als gemeinnützige Organisation geführt wird, steuerpflichtig. Die WM sei von einer emotionalen Aura umgeben, schreibt die UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Wohnen. Mit dieser werde ein regelrechter Ausnahmezustand gerechtfertigt, in dem normale Regelungen nicht mehr gelten. Es scheint, als ob die Fifa nicht nur mehr Mitglieder als die Vereinten Nationen hat, sondern auch mehr Macht.

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