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Der Lange aus dem Zentrum. Der Bremer Per Mertesacker ist seit vier Jahren fester Bestandteil der deutschen Innenverteidigung.

© ddp

Deutsche WM-Abwehr: Das Ende der Eisenfüße

Das Abwehr-Duo Arne Friedrich und Per Mertesacker ist momentan das beste, dass sich aus deutschen Spielern basteln lässt. Und die deutschen Innenverteidiger harmonieren inzwischen richtig gut.

Die deutsche Abwehr hatte schon mal größere Probleme als kalte Hotelduschen. Etwa im Frühjahr 2006, als sie kurz vor der Weltmeisterschaft von den Italienern sturmreif geschossen wurde. Gilardino und del Piero ließen die langen Innenverteidiger Mertesacker und Huth aussehen wie antike römische Säulen. Im Nachhinein lässt sich sagen, dass die 1:4-Niederlage damals eine Art Aufweck-Charakter für die Deutschen hatte. Bei der WM dann war die deutsche Innenverteidigung die zweikampfstärkste des gesamten Turniers. Vielleicht übernehmen das nun die kalten Duschen, von denen einige Spieler nach ihrer ersten Nacht im WM-Mannschaftsquartier des „Velmore Grande“ bei Pretoria überrascht wurden.

Auch dass die Handys noch nicht richtig funktionierten, welche die Nationalspieler nach ihrer Ankunft ausgehändigt bekamen, dient vielleicht dem großen, übergeordneten Zweck: Vom ersten Moment an wach zu sein für das Turnier, das im Gewinn des Titels zu münden hat. Es kann also nicht schaden, dass die Herren Nationalspieler gleich von Beginn ihrer Tage in Südafrika an aus der üblichen Komfortzone gerissen werden. Jetzt gehe es schließlich in „die Akutphase“, wie es Per Mertesacker sagte. Der hünenhafte Bremer war bereits vor vier Jahren gesetzter Bestandteil der deutschen Innenverteidigung, die das Zentrum der Abwehr bildet. In den Trainingseinheiten bis zum Auftaktspiel am Sonntag in Durban gegen Australien gehe es darum, sich „Sicherheiten zu holen und Pass- und Laufwege einzuprägen“.

Arne Friedrich ist ein Überbleibsel aus jener Zeit. Damals spielte er noch rechter Außenverteidiger, ist aber inzwischen an die linke Seite Mertesackers in die Innenverteidigung gerutscht. „Arne hat sich als erfahrener Spieler exponiert“, hatte Bundestrainer Löw nach dem letzten WM-Testspiel gegen Bosnien gesagt. Das mag nicht nur manchen Beobachter etwas irritiert haben, es hat auch den Berliner überrascht. „Ich weiß, dass ich eine schwierige Saison hinter mir habe“, sagte der 31-Jährige, der als Kapitän von Hertha BSC in die Zweite Liga abgestiegen ist. Inzwischen aber ist er Mitglied des neuen Mannschaftsrates und genießt in der jungen Mannschaft beachtliches Ansehen.

In erster Linie dürfte seine Versetzung von der Außen- in die Zentralverteidigung ihm gut getan haben – und damit dem Spiel der Deutschen. „Ich bin halt kein Spieler wie der Philipp Lahm, der 90 Minuten die Linie hoch und runter rennen kann. Ich fühle mich wohl in der Innenverteidigung, dort kommt es mehr auf Organisation an.“ Was Friedrich nicht sagte, aber meinte: Außenverteidiger sind heute verkappte Stürmer, die permanent im offensiven Spielaufbau integriert sind, was noch nie zu den Stärken des Berliners zählte. Vielleicht ist es ja so, dass die Versetzung eine Last von Friedrich genommen hat. Seine Stärken liegen klar im Abwehren, und das ist die vorrangigste Aufgabe der Innenverteidigung.

Neben Mertesacker hat Friedrich zu einer erstaunlichen Form gefunden. Dieses Duo ist momentan das beste, das sich aus deutschen Spielern basteln lässt. Wie lange es dauerte, dass sich dieses Paar gefunden hat, zeigt ein Blick in die noch frische WM-Qualifikation. Beim 3:3 gegen Finnland hatte Löw noch auf das Duo Westermann/Tasci gesetzt, das überfordert war. Mertesacker fehlte verletzt und spielte eine durchwachsene Saison, Christoph Metzelder hatte bei Real Madrid erst gar keine. Es drohte ein Abwehr-Chaos.

Es hat lange gebraucht, in Deutschland modernes Verteidigen einzuführen. Mit Libero und Manndeckern war man erfolgreich. Weltmeister 1974 gegen die fortschrittlichen Holländer und noch einmal 1990 mit Augenthaler als Libero. Diesen wieder loszuwerden und in der Abwehr auf Viererkette umzustellen war so mühsam, dass bei den Spitzenklubs der Bundesliga fast nur Ausländer dort spielten. „Die Zeit der teutonischen Tugenden ist vorbei. Heute sind schon zweikampfstarke Typen gefragt, aber nicht mehr die Eisenfüße, die nur dem Gegner hinterherlaufen und ihn bearbeiten.“ Das hat Löw bereits vor zwei Jahren gesagt.

In der Moderne des Fußballs gelten Innenverteidiger als eine Art Sekundär-Spielmacher. Sie sind verantwortlich für die Organisation auf dem Platz. Mit ihrem ersten Pass aus der Abwehr heraus entscheiden sie oft über das Gelingen einer Offensivaktion. Zusammen mit dem zentralen, defensiven Mittelfeldspieler bildet die Innenverteidigung ein Dreieck, das als Schaltzentrale eines Teams bezeichnet werden kann. Vor allem ist dabei Kommunikation gefragt.

„In den beiden zurückliegenden Testspielen habe ich gute Erfahrungen gemacht mit den Ankündigungen von Arne und ich glaube, er mit meinen“, sagte Mertesacker. „Ich spreche viel, was gut ist“, sagte Friedrich. „Was der eine von uns nicht sieht, sieht der andere.“ Wenn sich ein gegnerischer Spieler unbemerkt in den Rücken des einen Innenverteidigers schleichen sollte, würde es der andere bemerken und mitteilen. Einen Chef der Abwehr aber, den viele in ihm sehen, gäbe es nicht, wie Mertesacker bemerkte. Jedenfalls nicht, wenn man „eine hoch professionelle Viererkette betreiben will“.

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