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Deutschland: Und am Ende gewinnen immer...

Das ist die Botschaft des Spiels von Moskau. Die Deutschen sind wieder da, nie übertrieben euphorisch, immer auf die nächste Aufgabe fixiert, auch wenn sie nur noch statistische Relevanz hat wie das Spiel am Mittwoch gegen Finnland.

Später am Abend, die Arbeit des Tages war schon erledigt, da saß Joachim Löw noch ein Weilchen auf seiner Bank. Vor ihm tanzten Männer in schwarzen Shorts und weißen Leibchen, aber der Bundestrainer blieb ruhig sitzen und blickte hinauf in den Moskauer Himmel. Hat er da von Südafrika geträumt, von der Fußball- Weltmeisterschaft im kommenden Jahr, für die sich die deutsche Mannschaft gerade qualifiziert hatte? Löw schüttelte den Kopf. „Ich hab mir nur die Aufstellung für das Spiel gegen Finnland überlegt.“

Mit dieser Nüchternheit traf der Bundestrainer die Russen vielleicht noch schwerer, als es seine Spieler zuvor bei ihrem 1:0-Sieg getan hatten. Gut 70 000 Zuschauer verließen irritiert das Luschniki-Stadion. Was hatte ihre Mannschaft eigentlich falsch gemacht? Sie hatte doch zeitweise drückend überlegen gespielt und viele Chancen erarbeitet gegen einen Gegner, der nach dem Platzverweis für den Debütanten Jerome Boateng eine halbe Halbzeit lang einen Spieler weniger auf dem Platz hatte. Am Ende scheiterten die Russen nicht nur am überragenden Torhüter René Adler („mein bisher emotionalstes Spiel“). Sondern an einer Mentalität, an dem, was Joachim Löw als deutsches Siegergen bezeichnete.

Das ist die Botschaft dieses Abends von Moskau. Die Deutschen sind wieder da, nie übertrieben euphorisch, immer auf die nächste Aufgabe fixiert, auch wenn sie nur noch statistische Relevanz hat wie das Spiel am Mittwoch gegen Finnland. Diese Deutschen, die einen Gegner gern glänzen lassen, wenn er ihnen im Gegenzug die Punkte lässt. Die aus einer Chance ein Tor machen und manchmal auch aus einer halben. Die sich deshalb einen Status erspielt haben, der irgendwo zwischen Unbeliebtheit und Bewunderung liegt. Der großartige Gary Lineker hat ihnen eine Sentenz gewidmet, die an dieser Stelle nicht vollständig zitiert wird, weil sie doch schon ein wenig abgegriffen ist. Aber auch in Moskau war Fußball eine Angelegenheit von 22 Spielern und am Ende gewinnen immer … genau!

Auch Guus Hiddink hat überlegt, wie er dieses Phänomen in Worte kleiden kann, und am Ende ist dem holländischen Trainer der russischen Mannschaft nur eine deutsche Vokabel eingefallen: „Durchschlagskraft“. Und weil die russischen Reporter ein wenig ratlos in die Runde schauten, holte Hiddink aus zu einer längeren Erklärung, an deren Ende die Erkenntnis stand, dass deutsche Mannschaften seit Jahrzehnten so erfolgreich sind, weil sie sich im entscheidenden Augenblick auf das Entscheidende konzentrieren. Noch einmal Hiddink: „Wir haben gut gespielt und hätten mehr verdient gehabt. Aber die Deutschen machen dieses eine Tor.“

Dieses eine Tor, das im konkreten Fall aber kein Zufall war, sondern die gedanklichen aber auch technischen Fertigkeiten seiner Interpreten widerspiegelt. Von Lukas Podolski war wenig zu sehen im Luschniki-Stadion, aber allein dieser Pass in die Tiefe des russischen Strafraums war seine Aufstellung wert. Mesut Özil nahm ihn auf, er war der beste deutsche Spieler, schnell, wendig, fantasievoll, wie geschaffen für das Spiel auf dem rutschigen Kunstrasen. Wer sonst hätte den Ball so exakt in den Fuß von Miroslav Klose spielen können, wenn nicht Özil? Und wer sonst hätte über den Instinkt verfügt, im richtigen Augenblick am richtigen Platz zu stehen, wenn nicht Klose? Es war sein 48. Tor im 92. Länderspiel. Nur Gerd Müller und Joachim Streich haben in deutschen Nationalmannschaften häufiger getroffen.

Vom Nationalspieler Klose heißt es, er schieße zwar viele, aber vor allem unwichtige Tore gegen unwichtige Gegner wie Saudi-Arabien oder Aserbaidschan. Das ist ein wenig ungerecht und auch nicht ganz richtig, jedenfalls nicht, was die jüngere Vergangenheit betrifft. Im vergangenen Jahr hat er bei der EM im Viertelfinale gegen Portugal und im Halbfinale gegen die Türken getroffen. Und die Deutschen hätten sich wahrscheinlich nicht vorzeitig für Südafrika qualifiziert, hätte Klose nicht zu Beginn der Qualifikationsserie drei Tore zum 3:3 in Finnland erzielt. Man kann sich gut vorstellen, wie die Öffentlichkeit mit Joachim Löw und seinen Spielern umgegangen wäre, wenn es damals in Helsinki eine Niederlage gegeben hätte.

Wie Klose im Besonderen hatten zuletzt auch die Deutschen im Allgemeinen darunter zu leiden, dass ihnen in den großen Spielen gegen große Gegner lange keine Siege gelangen. Erst unter Joachim Löw hat die Nationalmannschaft das von ihm stolz zitierte Siegergen zurückgewonnen, „ich habe vor dem Spiel gespürt, dass es alle Spieler haben“. Ein entspannter Bundestrainer erzählte nach dem Spiel, dass „wir die Mannschaft so eingestellt haben, dass sie mit großem Selbstbewusstsein in das Spiel geht“.

So stützt der Triumph von Moskau auch die These, dass Fußball zwar mit den Füßen gespielt wird, aber mit dem Kopf gewonnen wird. Kapitän Michael Ballack sprach weniger von Schüssen, Pässen und Kopfbällen denn von Konzentration, Nervenstärke und Disziplin, da hätten sich die Deutschen klare Vorteile erspielt und deswegen „haben wir auch verdient gewonnen“. Ballack spielte eine große Partie, obwohl der nasse, schnelle Kunstrasen seinem körperlich geprägten Stil nicht entgegenkam. Es spricht für seinen Charakter, dass er im wichtigsten Spiel des Jahres so uneigennützig agierte wie sonst kaum in der Nationalmannschaft. Seine Aufgabe war es, gemeinsam mit Simon Rolfes im zentralen Mittelfeld die Räume eng zu machen und dem Ausnahmekönner Andrej Arschawin die Lust am Spiel zu nehmen.

Wer Arschawin im Viertelfinale der Europameisterschaft beim Sieg gegen die Holländer gesehen hat, der weiß, was er mit einem allein auf Schönheit bedachten Gegner anstellen kann. Auch am Samstag hat Arschawin ein gutes Spiel gemacht, er war der Beste in einer sehr guten russischen Mannschaft und konnte doch nie sein Leistungsvermögen voll ausschöpfen, „weil Ballack und Rolfes ihre Aufgabe sehr gut gelöst haben“, wie Löw sagte. Intelligenter Fußball bedingt auch die Reduktion auf systemimmanente Qualitäten. In diesem Sinne hat Michael Ballack wie seine Kollegen am Samstag auf überragendem intellektuellen Niveau gespielt.

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