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Noch überlegt Joachim Löw, ob er Bundestrainer bleibt.

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Die Trainerfrage: Joachim Löw: Bleibt er oder bleibt er nicht?

Was als Experiment begann, hat der Bundestrainer zu einer Mannschaft geformt, die auch Tagesspiegel-WM-Reporter Michael Rosentritt begeistert. Und die eine Perspektive hat. Fragt sich nur, ob auch mit Joachim Löw.

Neulich schlenderte Joachim Löw gedankenversunken über die morbide Hotelanlage des Velmore Grande. Im rotsandigen Hinterland Johannesburgs, wo sich die Spieler der deutschen Fußballnationalmannschaft verschanzt hatten, um Weltmeister zu werden, hier auf dem weitläufigen und doch intimen Gelände war der Bundestrainer mal ganz für sich. Er lauschte dem Plätschern der Springbrunnen, dabei hatte er seine Hände in den Hosentaschen vergraben und dachte womöglich darüber nach – ja, worüber dachte er nach? Ans Aufhören?

Man könnte in diese Szene, die sich nach der Vorrundenniederlage gegen Serbien zugetragen hat, viel hineindeuten. Ärgerte er sich vielleicht über die überflüssige Niederlage, die sein Team mal kurz in Bedrängnis brachte?

Inzwischen ist aus der Bedrängnis der vielleicht größtmögliche Befreiungsschlag geworden. Die deutsche Mannschaft, Löws Mannschaft, hat nicht nur den größtmöglichen Unfall, das Vorrundenaus, abgewendet, sondern hat nach den grandiosen Siegen über England und Argentinien einer Nation ein neues Gefühl verliehen. Es ist ein Gefühl des Zutrauens und der Leichtigkeit. So, wie die Mannschaft hier bei der ersten Weltmeisterschaft auf afrikanischen Boden auftrat, wie sie den Anschein erweckte, die Fußballwelt aus den Angeln hebeln zu können, so mitreißend wirkte ihr Tun auf Menschen in der Heimat.

Bis Mittwoch dieser Woche, bis Spanien im Weg stand und den Finaleinzug verbaute. Heute geht es ins kleine Finale, dem Spiel um Platz drei. In der Nacht zuvor hatte Löw die Grippe ereilt, der 50-Jährige konnte das Abschlusstraining nicht leiten. Aber darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an. Die entscheidende Frage ist, ob Löw nach der WM weitermachen wird, so, wie es sich die Mannschaft, wie es sich der deutsche Fußball, ja das ganze Land wünscht.

Es gibt nicht viele Menschen, die der öffentlichste aller deutschen Trainer in den vergangenen Jahren wirklich an sich herangelassen hat. Oliver Bierhoff ist wohl einer von ihnen. Der Teammanager ist der Einzige im aktuellen Stab, der Löw seit 2004 begleitet hat. Anfang Mai, als die deutsche Elf aufgebrochen war zum Abenteuer Südafrika, hatte Bierhoff gesagt, dass er sich um Löw keine Gedanken mache, „wenn er kein Bundestrainer mehr ist, da wird es schon noch was geben“.

Die Sache wäre einfach gewesen, wenn Deutschland hier in Südafrika enttäuscht hätte. Ein Vorrundenaus hätte er sich selbst nicht verziehen. Löw hätte den Platz geräumt. Jetzt hat Löw ein tolles Turnier und die Wucht von Millionen von Deutschen hinter sich. Und natürlich Theo Zwanziger. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) steht unter Erfolgsdruck. Schafft er es nicht, Löw zum Bleiben zu gewinnen, könnte es sein, dass er im Oktober nicht mehr wieder gewählt wird. Nach allem, was hinter ihm liegt. Der Schiedsrichterskandal, das Zerwürfnis mit dem beliebten und erfolgreichen Trainer.

Joachim Löw war ernstlich verstimmt darüber, dass im Frühjahr Vertragsinhalte aus der Verbandsspitze an die Öffentlichkeit weitergereicht worden waren. Vertraulichkeit war verraten worden. Vor allem verstimmte ihn, dass der Verband ihm, dem Bundestrainer, pünktlich zum 50. Geburtstag ein Ultimatum auf den Tisch knallte. „Indiskretionen kränken mich und haben mich gekränkt“, hatte Löw danach gesagt. Er wurde sehr nachdenklich.

Theo Zwanziger hat seitdem keine Gelegenheit ausgelassen, um Löw zu umwerben. Unabhängig vom sportlichen Abschneiden in Südafrika wolle er Löw halten. „Wir sind glücklich, dass wir ihn haben“. Nach dem Turnier werde man sehen, ob man eine Einigung erzielen könne: „Ich hoffe sehr.“

Die eigentlichen Reibereien begannen mit Jürgen Klinsmann. Seine Einstellung 2004 als Bundestrainer war weniger aus Überzeugung geschehen, sondern eher aus Mangel an Alternativen erfolgt. „Ich komme ja aus der Angreiferecke“, hatte der frühere Stürmer gesagt und sich daran gemacht, den deutschen Fußball zu revolutionieren. Klinsmanns Entscheidungen waren überraschend und unbequem, vor allem für die alte Fußballfamilie. Plötzlich mussten Funktionäre Abstriche machen und auf Privilegien verzichten. Noch heute gibt es eine sichtbare Trennlinie zwischen Mannschaft und Verbandsriege. Und bis heute sind die Bestrebungen, diesen Teil der Erneuerungen wieder einzukassieren, nicht geringer geworden. Das ginge am besten ohne Oliver Bierhoff, der das Werk Klinsmanns organisatorisch umgesetzt hat.

Gerade erst hat ein anderer Funktionär, Reinhard Rauball, vor einer Verselbstständigung der Nationalelf gewarnt. Bierhoff wies die Kritik des Präsidenten der Deutschen Fußball-Liga (DFL) umgehend zurück. „Von uns gab es nie Zeichen der Abtrennung. Eine Enge im Team kann es nur mit engem Zusammenhalt geben. Das sehe ich als professionelle Arbeit“, hatte Bierhoff gekontert. Und wie nebenbei erwähnte er: „Alles spricht dafür, dass wir dem deutschen Fußball, dem DFB und auch der DFL viel zurückgegeben haben, auch finanziell.“

All den Ärger hat Joachim Löw beiseite geschoben und sich an die Arbeit gemacht. Enge Begleiter der Nationalmannschaft konnten in den vergangenen Wochen bemerken, wie Löw die geplatzten Verhandlungen für sich in eine neue Unabhängigkeit uminterpretiert hat. Er tat nur noch das, war er für richtig hielt. Er mochte nicht mehr abwägen, wem was passte oder wen er in seine Entscheidungen mit einbezog. Auch nicht mehr Michael Ballack, den Platzhirschen, der kurzfristig ausgefallen war für die WM. Erstaunlich selbstverständlich ging Löw ans Werk. „Die Mannschaft hat das Gefühl, dass sie klar geführt wird“, hat Bierhoff erst in der Vorwoche gesagt.

Wenn Jürgen Klinsmann im Ganzheitlichen den Ansatz seines Tuns sah, so wirkt Löw auf dem Platz. Er ist ein Fachmann, der die Arbeit am offenen Herzen sucht, der Chirurg. Versessen, penibel, konsequent, bisweilen stur. So leitete er nach dem verlorenen EM-Finale 2008 gegen Spanien den Umbruch ein. „Eine Erkenntnis war für uns, dass der Altersschnitt relativ niedrig sein muss, denn die jungen Spieler sind hoch belastbar“, sagte er. Löw hat Jens Lehmann zum Rücktritt aus der Nationalelf überredet. Und Torsten Frings erst gar nicht mitgenommen, den alten Haudegen an Ballacks Seite. Jeder wisse doch, dass es in der Nationalelf nicht nur nach Leistung gehe, hatte der Bremer dem Bundestrainer hinterhergerufen, nachdem dieser ihn aussortiert hatte. Oder Kevin Kuranyi, dem 20-Tore-Stürmer der abgelaufenen Saison. Den hat Löw links liegen lassen, weil dieser einst in der Halbzeit eines Länderspiels Fahnenflucht betrieb. Löw kann ein Stoiker sein.

Die Grundmelodie, die sich durch Löws Wirken zieht, klingt immer gleich. Löw denkt nicht projektbezogen wie sein Vorgänger Klinsmann, er will Dauerhaftigkeit. „Ich bin ein ästhetischer Trainer“, hat Löw im Mannschaftshotel erzählt. Einer, „der guten Fußball sehen will, eine gute Fußballkultur“. Und diese Vorstellung hat er auf die Mannschaft übertragen wie vielleicht kein Bundestrainer vor ihm. Als Trainer sollte man versuchen, eben nicht dem tagtäglichen Erfolg alles unterzuordnen. Man sollte eine Vorstellung haben und diese Linie konsequent beibehalten, auch wenn Erfolg auf sich warten lässt, hat Löw neulich erzählt: „Ich denke, dass man das vielleicht für einen Trainer auch Erfahrung nennen kann.“ Auch er habe als junger Trainer den schnellen Erfolg haben wollen. Er habe sich „vom roten Faden wegbringen“ lassen. „Aber das lernt man.“

Die Verlöwschung der neuen jungen Mannschaft begann vor acht Wochen auf Sizilien. Das Schicksal wollte es so, dass wesentliche Spieler verspätet ins Trainingslager stießen. Löw steckte das weg. Wie auch die zahlreichen Ausfälle prominenter Spieler. Löw hatte eine Ahnung, hatte ein „gutes Gefühl“, denn er hatte zwar einen jungen, aber hoch talentierten Kader einbestellt. Gleich nach Ballacks Ausfall trommelte er die Mannschaft zusammen. Und sagte ihr, dass sie nach vorne schauen möge, dass er nach wie vor überzeugt sei, ein gutes Turnier spielen zu können. In all den Tagen war Löw positiv, fokussiert, energiegeladen, obsessiv.

Löw hat nicht ein Mal gestöhnt, er hat sich an die Arbeit gemacht. Eine Detailarbeit. Viel Zeit blieb ihm nicht. Er sagte sich: Das kriege ich hin. Jeden Tag hat er mit diesen lernwilligen, zum Teil sehr jungen und unerfahrenen Spielern auf dem Rasen gestanden. Er war wieder da, wo er er sein kann. Auf dem Platz. Er hat beobachtet, korrigiert, erklärt, wiederholt, vorgemacht, gelobt, geschwitzt, gelacht. Das war seine Welt, Jogis Welt. Es waren Tage, deretwegen er einmal Trainer geworden ist. Es waren schöne Tage.

Joachim Löw hat den Job wieder lieben gelernt. Er weiß aber auch, dass dieses Amt mit Erwartungen und Zumutungen verbunden ist. Seit Anfang Mai hat er unbeirrt seine Bahn gezogen, mit Zutrauen und Selbstbewusstsein. Das hat abgestrahlt auf die Spieler. „Es ist immer positiv“, hat der junge Torwart Manuel Neuer neulich gesagt. „Der Trainer vermittelt auch immer das Gute in einem, deshalb glauben auch so viele Spieler an sich.“ Sie sind Löw gefolgt. Bis hierher. Bis fast nach ganz oben.

Und ja, Joachim Löw hat auf die Verlierer der Saison gebaut, auf Klose, Podolski und Friedrich. Er hat den Verunsicherten förmlich sein Vertrauen aufgezwungen und den kriselnden Helden Verantwortung übertragen. Und er hat auf die Jungen gesetzt, auf Özil, Müller und Khedira. Alles exzellente Fußballer, gute Charaktere und willensstark, hat er gesagt. Was er nicht wusste, wie sie in Extremsituationen, die jede Weltmeisterschaft bereithält, reagieren würden. Sie haben sie gemeistert. Bis Spanien kam.

Trotzdem hat das deutsche Team der Nation ein paar herrliche Sommertage geschenkt, durchtränkt von Stolz und Patriotismus, von Freude und Spaß. Was als Experiment begann, hat Löw zu einer Mannschaft geformt, die begeistert hat, auch, weil sie eine Perspektive hat. Der Großteil des Teams wird erst in zwei oder vier Jahren, bei der WM 2014 in Brasilien seinen Zenit erreichen.

Vor vier Jahren konnte das Land sich nichts weniger vorstellen als eine Mannschaft ohne Jürgen Klinsmann als Trainer. Hunderttausende waren am Tag des Finals ans Brandenburger Tor gekommen. Allein mit der Macht ihrer Menge wollten sie Klinsmann zum Weitermachen überreden. Es kam anders. Klinsmann machte nicht weiter, Löw trat an seine Stelle. Damals ein Mann ohne große Karriere und ohne großen Namen. Ohne Klinsmann hätte es nie einen Bundestrainer Joachim Löw gegeben.

Löw hatte nicht die Autorität in den Beinen wie Klinsmann, der Welt- und Europameister geworden war. Löw hat andere Qualitäten. Inzwischen zweifelt niemand mehr daran. Und es ist ja nicht so, dass er dieser Mannschaft nichts mehr zu geben hätte. „Ich möchte Kombinationsfußball sehen“, hat er immer wieder gesagt, das ist eine Überzeugung. Er liebt das Leichte am Spiel, das Flüssige. „Ballmitnahme im hohen Tempo“, heißt einer seiner Lieblingsübungen. Wird ihn jetzt der schöne Erfolg mitreißen?

Nicht einmal seine Spieler wissen es. Neulich sagte Arne Friedrich: „Selbst wenn wir Weltmeister würden, wüsste ich nicht, ob er bleiben wird.“ Joachim Löw hat sich in all den Wochen nicht dazu geäußert, er sagte: „Das war von mir eine klare Anweisung an alle: Ich werde nicht mit euch darüber diskutieren.“

Die Springbrunnen im Velmore Grande plätschern noch. Löw ist vergrippt. Weil die Anspannung weicht? Hat er sich bereits entschieden?

Vor einer Woche sagte er, dass er sich nach der WM hinterfragen wolle. „Was habe ich für eine Vision? Welche Vorstellungen habe ich und wie kann ich die am besten umsetzen? Und was für eine Begeisterung habe ich für die Sache? Ich möchte für mich den einen oder anderen Tag Zeit haben, um dann mal wieder gute Gedanken zu fassen.“

An jenem Tag, als Joachim Löw über das Mannschaftsgelände streifte, ganz bei sich, ist er auf eine Handvoll Journalisten getroffen. Nach einem Weilchen führte Löws Weg genau rein in dieses Grüppchen. Er gab jedem die Hand, erkundigte sich nach dem Befinden. Er habe gehört, dass es in der Früh ein kleines Match zwischen den Angehörigen der deutschen Botschaft in Südafrika und einer Journalistenauswahl gegeben habe. „Wie ist es denn gelaufen“, fragte Löw. Ach so, aha, hmm. „Na dann hat wohl ein guter Trainer gefehlt?“, sagte er. Dann schmunzelte er in die südafrikanische Wintersonne und ging seines Weges.

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