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© dpa

Durchwachsene Leistungen: Kreativ sind nur die Ausreden

Ist der Ball schuld, oder sind es die Tröten? Das spielerische Niveau der WM kann bislang nicht begeistern und erinnert an das schwache Turnier 2002 in Japan und Südkorea.

Am späten Montagabend hat Marcello Lippi einen lustigen Satz gesagt. Nein, nicht den, dass seine Italiener beim 1:1 gegen Paraguay ein großartiges Spiel gemacht hätten und bereit seien für eine erfolgreiche Titelverteidigung. Es ging dabei vielmehr um die vom Trainer des Weltmeisters kurz dahingeworfene Analyse der ersten WM-Woche: „Ich habe noch kein Team hier perfekt spielen sehen“, mal abgesehen von den Deutschen, aber die wären nun mal von keinem gut organisierten Gegner gefordert worden. Und: „Am besten haben mir Südkorea und Japan gefallen.“

Das hat die Fans zwischen Osaka und Pusan gefreut und den Rest der Welt ein wenig irritiert. Eine von Südkorea und Japan dominierte Weltmeisterschaft – das erinnert bedenklich an die von 2002, nicht nur, weil sie zufällig in Japan und Südkorea stattfand. Die WM in Fernost gilt heute noch als führend in Sachen Armut an Klasse, auch, weil die von zu hoher Überlastung überspielten Favoriten reihenweise stolperten, unter ihnen Argentinien, Spanien, Frankreich und Italien. Dagegen schafften es Mannschaften wie Südkorea und die Türkei ins Halbfinale und die seinerzeit nur bedingt konkurrenzfähigen Deutschen sogar ins Endspiel. So etwas will die Welt nicht sehen, jedenfalls nicht ihr etablierter Teil. Die etablierte Welt will Argentinien und Brasilien siegen sehen, zur Not auch nur knapp gegen Nigeria und Nordkorea, sie will Siege von England und Frankreich, von Holland, Spanien und auch wieder von den Deutschen, wenn sie denn so spielen wie gegen Australien. Sie sind bisher die großen Ausnahme in einer ersten Runde, „in der vor allem keiner verlieren will“, wie der schwedische Trainer der Elfenbeinküste, Sven-Göran Eriksson, sagt.

Andere senken einfach den Anspruch. Raymond Domenech, von dem keiner so recht weiß, warum er noch im Amt ist – an der Leistung der von ihm betreuen Franzosen kann es jedenfalls nicht liegen – Raymond Domenech also wertete es als Erfolg, dass seine Mannschaft die Low-Budget-Kamarilla aus Uruguay beim 0:0 kaum zu deren Spiel hatte kommen lassen. Das ist bescheiden für einen WM-Zweiten, der nur beim Singen der Marseillaise überzeugte. So viel Kakofonie im Zeichen dieses schönen Liedes war selten. Der, nun ja, Spielmacher Yoann Gourcuff versuchte die vielen Fehlpässe und sonstigen Missverständnisse mit dem monotonen Dröhnen der Vuvuzelas zu entschuldigen. Das immerhin war sehr viel kreativer als alles, was der schon zum neuen Zidane hochgejazzte Jüngling auf dem Rasen zu bieten hatte.

Sind die Vuvuzelas an allem schuld? Zum Sündenbock taugen die Tröten wirklich perfekt. Der Argentinier Lionel Messi hatte beim Spiel gegen Nigeria das Gefühl, „dass ich taub bin, es ist unmöglich, sich mitzuteilen“. Reporter verstehen ihr eigenes Wort nicht mehr, europäischen Fans fehlt die Stimmung in den Stadien und Schiedsrichter kommen wegen der höllischen Plastiktrompete sogar in Teufels Küche. So ließ der Franzose Stephane Lannoy im Spiel der Holländer gegen Dänemark die Gelbe Karte für Robin van Persie lieber stecken, als der ihm nach Wegschlagen des Balls trotz Spielunterbrechung mit einem genervten Armschwingen signalisierte, den Pfiff nicht gehört zu haben.

Vielleicht liegt es auch an Jabulani, dass so viel Tristesse auf dem Rasen herrscht. Der flatterhafte WM-Ball wird nicht nur von Torhütern bemängelt, auch technisch beschlagene Spieler erzählen von ihren Problemen mit Jabulani und meinen damit nicht die komplizierte Schreibweise. Aber müssen die Niederländer deswegen einen Sicherheitsfußball anbieten, wie ihn das deutsche Team in den späten Neunzigern spielte? Die Dänen an den uninspirierten Betonfußball erinnern, für den früher osteuropäische Teams bekannt waren? Und die Ghanaer das serbische Team ohne Glanz und mit einer Physis niederringen, die man eher von den Serben erwartet hätte?

Vielleicht ist der spielerische Abwärtstrend lediglich ein Ergebnis einer ausgeklügelten Strategie bei den Spitzenteams. Nämlich der, sich nicht schon zu Beginn zu tief in die Karten schauen zu lassen. Dann zumindest hätte sich das deutsche Team ziemlich blöd angestellt, denn der attraktive Angriffsfußball gegen Australien hat bewiesen, dass ihnen das Getöse der Vuvuzelas nicht den Spielfluss vermiesen kann und auch noch nicht die Flatterhaftigkeit von Jabulani. „Der geht richtig ab, wenn man ihn richtig trifft“, schwärmt der Münchner Stürmer Mario Gomez, der allerdings in letzter Zeit eher selten richtig getroffen hat.

Gomez hat seinen Stammplatz auf der Bank, Michael Ballack seinen im Liegestuhl in Miami, doch der Kapitän scheint den Deutschen gar nicht so sehr zu fehlen, wie viele nach Kevin-Princes Boatengs Urlaubstritt erwartet hatten. Ohne Ballack hat Bundestrainer Joachim Löw jenen Paradigmenwechsel herbeiführen können, der gegen dessen Willen kaum möglich gewesen wäre. Die Deutschen spielen mit flacherer Hierarchie sehr viel schneller als noch bei der EM vor zwei Jahren, wo das Spiel komplett auf Ballack und dessen Adjutanten Torsten Frings zugeschnitten war. „Vielleicht ist es sogar ein Vorteil, dass Ballack nicht mehr dabei ist“, sagt der Holländer Wesley Sneijder, er schätzt sich übrigens ganz glücklich, „dass wir erst im Finale auf die Deutschen treffen können“.

Das ist doch mal eine schöne Erkenntnis nach zehn Tagen WM.

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