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© dpa

Interview: Mario Gomez: "Für viele bin ich der Chancentod"

Stürmer Mario Gomez spricht im Interview über schwache Auftritte im Nationaltrikot, über seine Lehren aus der EM sowie über Kopf und Instinkt.

Herr Gomez, Sie haben vor kurzem ein Hotel und Restaurant übernommen. Wie muss man sich das vorstellen?

Ganz easy. Ich habe eine möglichst krisenfreie Geldanlage gesucht. Wir haben ein denkmalgeschütztes Haus mitten in der Altstadt von Backnang gefunden. Das ist kernsaniert und zum Restaurant ungebaut worden, mit ein paar Gästezimmern darüber. Mit dem täglichen Betrieb habe ich nichts zu tun. Das Haus gehört mir zwar, aber das Restaurant ist vermietet.

Was wird da angeboten?

Gut bürgerliche Küche, schwäbisch, deutsch, auch mal spanisch, wenn das jemand will.

Würden Sie sich als Schwabe aus Überzeugung bezeichnen?

Ich werde oft gefragt, was an mir schwäbisch ist und was spanisch. Ich weiß es nicht. Ich bin so, wie ich bin.

Man hat das Gefühl, dass Sie beim VfB Stuttgart auch deshalb so erfolgreich sind, weil Sie sich wohl fühlen und eine gewisse Anerkennung genießen.

Und das Gefühl haben Sie bei der Nationalmannschaft nicht? Das trügt. Ich fühle mich hier genauso wohl wie beim VfB. Vor einem Jahr hätten Sie mir diese Frage bestimmt nicht gestellt. Da hatte ich in neun Länderspielen sechs Tore gemacht.

Jetzt haben Sie schon seit zwölf Länderspielen nicht mehr getroffen.

Stimmt, das sind die Fakten, die ich gar nicht wegdiskutieren will. Ich weiß, dass ich der allgemeinen Erwartung seit der Europameisterschaft nicht gerecht geworden bin, dass ich für viele der Chancentod bin und was weiß ich noch.

Spüren Sie solche Vorbehalte, wenn Sie für die Nationalmannschaft spielen?

Ich merke, dass die Fans misstrauisch sind und denken: In der Nationalmannschaft bringt er’s einfach nicht. Aber ich kann diese Fans auch ganz schnell auf meine Seite ziehen, wenn ich wieder treffe. Ich bin ja selbst am meisten daran interessiert. Nur mache ich mich nicht verrückt. Das habe ich auch nach der EM nicht gemacht, als alle gesagt haben: Der braucht jetzt erst mal ein Jahr, bis er überhaupt wieder klar denken kann.

Haben Sie ein bisschen Angst vor Liechtenstein?

Ich habe vor niemandem Angst.

Aber wenn Sie jetzt selbst gegen Liechtenstein nicht treffen sollten…

… dann treff ich im nächsten Spiel. Fußball ist ganz einfach: Man hat alle drei, vier Tage die Möglichkeit, das, was war, vergessen zu machen. Natürlich habe ich bei der Nationalmannschaft nicht die gleiche Sicherheit wie beim VfB, nicht nach dieser Europameisterschaft. Bei jedem Menschen mit ein bisschen Grips wäre das in meiner Situation genau so. Aber das ist keine Frage der Qualität, das ist Kopfsache.

Was macht Sie da so sicher?

In der Bundesliga treffe ich auch regelmäßig und sehr gut. Im Verein hatte ich noch nie eine Phase über zwei, drei Monate, in der für mich gar nichts ging. Das Schlimmste waren mal drei oder vier Spiele am Stück. Deshalb war ich auch immer relativ stark.

In der Nationalmannschaft dauert Ihre Krise jetzt schon deutlich länger.

Es ist schon eine gewisse Verunsicherung da. Das kann ich nicht leugnen. Aber wenn bei mir von einer Krise gesprochen wird, muss man auch sehen, dass ich während dieser Krise fast 30 Pflichtspieltore gemacht habe. Zwölf Spiele ohne Tor in der Nationalmannschaft – das hört sich dramatisch an, aber nach der EM habe ich auch nicht mehr so oft von Anfang an gespielt.

Sie waren zweimal hintereinander der beste deutsche Stürmer der Bundesliga, aktuell sind Sie der zweitbeste hinter Patrick Helmes. Denken Sie nicht manchmal: Eigentlich hätte ich einen Stammplatz in der Nationalmannschaft verdient?

Nein, denke ich nicht, weil ich in der Nationalmannschaft nicht das gezeigt habe, was ich im Verein zeige. Da kann ich doch nicht sagen: Passt mal auf, ich schieße in der Bundesliga die meisten Tore, ich muss hier spielen! Das muss ich mir erst wieder erarbeiten.

Belastet Sie die EM noch?

Die EM ist nicht mehr in meinem Kopf. Ich denke keine Sekunde mehr daran. Es gab auch kein Loch, in das ich gefallen bin. Ich habe einfach weiter gemacht, in der Bundesliga habe ich jetzt schon wieder 14 Tore gemacht. Aber es war natürlich keine leichte Situation, auch weil ich so etwas nicht gewohnt war: In meiner Karriere ist es immer nur nach oben gegangen, Stück für Stück. Die EM war der erste Rückschlag für mich.

Haben Sie trotzdem in irgendeiner Weise von der Europameisterschaft profitiert?

Sehr sogar. Ich kann mich noch gut an Umfragen vor dem Turnier erinnern: Wer soll nominiert werden? Da hatte ich eine Quote von 100 Prozent. Ein paar Wochen später haben alle gesagt: Was will der Gomez denn in der Nationalmannschaft? Für mich war das – auch wenn das schwer nachzuempfinden ist – mit die wichtigste Erfahrung überhaupt in meiner Karriere. Wissen Sie, was bis dahin mein schlimmstes Erlebnis als Fußballer war? Als ich schon bei den Profis trainiert habe und am Wochenende wieder für die Amateure spielen musste. Da war ich 17 oder 18. Natürlich ist es bitter, dass gerade die EM für mich nicht nach Wunsch lief. Aber damit muss ich klar kommen.

Hat Sie das Angebot der Bayern während der EM verrückt gemacht hat?

Nein. Das größte Problem für mich war diese Szene im ersten Spiel gegen Polen, gleich nach drei oder vier Minuten. Miroslav Klose legt den Ball quer, das Tor ist leer, und ich verpasse den Ball um einen Zentimeter. Ich habe nur gedacht: Wieso? Du schießt das ganze Jahr, wie du willst, triffst jeden Ball, und dann spielst du deine erste EM, bekommst diese Chance und machst den Ball nicht rein. Die Szene ist danach immer wieder in meinem Kopf aufgetaucht.

Und das war erst der Anfang.

Ja, ich wusste, gegen Österreich bekomme ich eine neue Chance. Was da passiert ist, kann ich gar nicht richtig beschreiben. Der Ball kommt von rechts, titscht auf, ich treffe ihn nicht richtig, er fliegt in hohem Bogen in die Luft. Das kann passieren. Das war nicht mein Fehler. Mein Fehler war, nicht nachgesetzt zu haben. Wenn ich das heute sehe, denke ich: Normalerweise laufe ich blind zwei Meter nach vorne, halte meinen Kopf hin – und dann ist der Ball im Tor. Aber in dem Moment war eben alles anders. Das zu verarbeiten war schon schwierig und hat eine gewisse Verunsicherung ausgelöst.

Sie sind ein sehr überlegter Typ. Was ist wichtiger für Ihr Spiel: Ihr Kopf oder Ihr Instinkt?

Beides ist wichtig. Im Spiel handelst du eher instinktiv, weil du gar keine Zeit hast und vieles aus Gewohnheit machst. Das ist auch das, was mir nach wie vor großes Selbstvertrauen gibt: dass ich nicht überlegen muss und es eigentlich noch nie musste. So wie der Ball kommt, so kann ich ihn nehmen. Auf dem Platz ist es nicht so gut, viel nachzudenken. Aber außerhalb des Platzes braucht man auch seinen Kopf. Man kann jeden belügen, nur nicht sich selbst. Ich bin nach wie vor relativ klar im Kopf.

Sie haben einmal gesagt: Ich werde nicht durchdrehen, wenn es Gegenwind gibt. Wie schwierig war das während der EM?

Nach dem Österreich-Spiel wusste ich, dass diese EM kein Erfolg mehr für mich wird. Mir war klar, dass ich der Mannschaft nicht mehr groß helfen kann. Mir war aber auch klar: Wenn ich jetzt durchdrehe oder den Miesepeter spiele, ist der Erfolg der Mannschaft in Gefahr. Das wollte ich auf keinen Fall. Ich habe mir gesagt: Versuch wenigstens, positiv zu sein, gute Laune zu verbreiten, im Training alles zu geben. Das habe ich gemacht, auch wenn es nicht einfach war.

Wann haben Sie die EM richtig verarbeitet?

Als ich in der Sommerpause im Krankenhaus lag, hatte ich viel Zeit zu überlegen. Da habe ich mir gesagt: Okay, was soll’s? Ich habe die Tore nicht gemacht, aber ich habe nichts Böses getan, habe niemanden verletzt. Höchstens mich selbst.

Das Interview führte Stefan Hermanns.

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