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Kommentar: Joachim Löw: Was er macht, ist falsch

Den günstigen Zeitpunkt für eine Begnadigung hat er bereits verpasst: Stefan Hermanns über Joachim Löw und sein Problem mit Kevin Kuranyi.

Fußball ist ein Spiel, in dem es wie bei kaum einem zweiten auf den Moment ankommt. Abgeben oder schießen, grätschen oder ablaufen, dribbeln oder passen – was gerade richtig war, kann im nächsten Augenblick schon falsch sein. Dass das auch für die Entscheidungen eines Trainers gilt, muss man Joachim Löw vermutlich nicht erzählen. Wie wichtig der passende Moment ist, darf er gerade in der Causa Kevin Kuranyi erfahren.

Der Bundestrainer hat in dieser Angelegenheit längst den Zeitpunkt verpasst, an dem er Kuranyi ohne Nachteile für seine Position hätte begnadigen können. Ein Akt der Größe wäre es gewesen, wenn er dem reuigen Stürmer eine zweite Chance in der Nationalmannschaft gewährt hätte. Inzwischen aber ist das eingetreten, was bei dem anhaltenden Formhoch des Stürmers nur eine Frage der Zeit war: Die Stimmungsmacher von Bild, Beckenbauer und DSF-Stammtisch haben sich pro Kuranyi formiert, ihre Rufe nach Begnadigung werden immer fordernder. Solche Einmischungen mag der Bundestrainer ganz besonders gerne.

Löw ist ein Getriebener, und egal welche Entscheidung er jetzt trifft – es wird die falsche sein: Begnadigt er den Stürmer, gerät er in den Verdacht, ein Opportunist zu sein, der vor Kuranyis Torquote einknickt. Beharrt er hingegen auf der lebenslangen Strafe, steht er als Dickschädel da, der das Leistungsprinzip verrät, um an seinen Lieblingen Klose und Podolski festhalten zu können, und letztlich eine Privatfehde über den Erfolg bei der WM stellt.

Das deutsche Recht kennt selbst bei Kapitalverbrechen die Möglichkeit, das Strafmaß nach einer bestimmten Frist zur Bewährung auszusetzen. Sportlich gesehen hat auch Kevin K. ein kapitales Vergehen begangen, als er im Qualifikationsspiel gegen Russland zur Pause aus dem Stadion flüchtete: Er hat sein eigenes Wohl über die Mannschaft gestellt. Aber Kuranyi hat längst bereut: durch Worte und – noch wichtiger – durch Taten. Nicht die Tore, mit denen er Schalke an die Tabellenspitze geschossen hat, sprechen für ihn. Es ist Kuranyis selbstloser Einsatz für die Mannschaft. Mit jeder Grätsche auf dem Rasen leistet er tätige Reue.

Die Sozialprognose ist eindeutig positiv, weil Kuranyi in den letzten anderthalb Jahren etwas gelernt hat, was ihm zuvor völlig fremd war: Demut. Als guter Pädagoge sollte Joachim Löw das honorieren.

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