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Krach im französischen Team: French Connection

Trainer beschimpft, Spieler suspendiert, Training boykottiert: Die französische Nationalmannschaft führt in Südafrika ein Fußballdrama auf statt zu gewinnen – und ist damit zum Synonym für den Zustand Frankreichs geworden.

Zu den weltweit häufig gebrauchten französischen Sätzen gehört: Rien ne va plus, nichts geht mehr. Er gilt an allen Roulettetischen, aber dieser Tage auch für die Équipe Tricolore, für das französische Fußballnationalteam und seinen Auftritt bei der Weltmeisterschaft in Südafrika: kein gewonnenes Spiel, ein beschimpfter Trainer, ein abgereister Spieler, ein boykottiertes Training, ein zurückgetretener Sportchef, ein empörter Staatspräsident, dazu eine von alldem angeödete französische Öffentlichkeit, und obendrauf auch noch Streit um einen Fan, Frankreichs berühmtesten Fußballfan, der stets einen Hahn – Balthazar mit Namen, angeblich hat er sogar einen eigenen Identitätsausweis – mit ins Stadion nimmt, weil der das Nationalsymbol der Republik ist.

Tierschützer haben das Federvieh auf Fernsehbildern entdeckt und „Der arme Vogel!“ geschrien, und nigerianische Fußballfans haben verlangt, auch Hähne mit ins Stadion nehmen zu dürfen, denn Hähne bedeuteten Glück. Schon machen Gerüchte die Runde, der Hahn sei gar nicht Balthazar aus Frankreich, sondern irgendein südafrikanischer Gockel. Die Kicker und ihr größter Fan – alles Scharlatane, Schaumschläger, Betrüger?

In Frankreich könnte die Stimmung kaum schlechter sein. Ausgerechnet vor dem heutigen Spiel gegen Südafrika. Verliert die Équipe, scheidet sie aus dem Turnier aus.

Was war passiert? Vergangenen Donnerstag bestritt die Mannschaft ihr zweites Gruppenspiel gegen Mexiko. Nach einem enttäuschenden 0:0 zum Auftakt gegen Uruguay ging Frankreich auch gegen Mexiko torlos in die Halbzeitpause. Nationaltrainer Raymond Domenech forderte in der Kabine seinen Stürmer Nicolas Anelka dazu auf, sich mehr zu bewegen. Der beschimpfte ihn daraufhin unflätig, weshalb er ausgewechselt wurde.

Eine öffentliche Affäre wurde das Ganze dadurch, dass „L’Équipe“ Anelkas Entgleisung am Samstag als Titelschlagzeile brachte. „Das ist der Gossenstil britischer Boulevardblätter“, sagten die einen, „L’Équipe hat nur ihre journalistische Pflicht getan“, die anderen. Wie auch immer: Der Skandal ist nicht mehr aufzuhalten. Staatspräsident Nicolas Sarkozy bezeichnete Anelkas Entgleisung als „inakzeptabel“. Der französische Fußballverband suspendierte den Spieler. Seine Mannschaftskollegen hingegen echauffierten sich darüber, dass ein „Verräter“ den Vorfall nach außen getragen habe.

Es war der vorläufige Tiefpunkt im Leben einer in Clans zerrissenen Mannschaft, in der in den letzten Monaten, ja eigentlich in den letzten vier Jahren seit dem Abschied von Spielmacher Zinédine Zidane viel zu viel schief gelaufen ist. Ein paar Tiefpunkte der letzten Monate: Nur durch eine Torvorlage per Hand qualifizierte sich Frankreich letzten November im Relegationsspiel gegen Irland überhaupt für die WM. Im Winter verkündete der Präsident des Fußballverbandes, Jean-Pierre Escalettes, dass der Vertrag mit dem höchst umstrittenen, eigenwilligen Trainer Domenech nach der WM unabhängig vom Abschneiden nicht verlängert werden würde. Die Diskussion um den Nachfolger befeuerte Escalettes monatelang – und schwächte damit Domenech. Und Nationalspieler Franck Ribéry geriet durch Kontakte zu einer minderjährigen Prostituierten in die Schlagzeilen.

Im März verlor Frankreich dann daheim ein Testspiel gegen Spanien äußerst kläglich. Danach schlugen die Franzosen, die Medien und einige Politiker geradezu auf Domenech ein, der als „meistgehasster Mann Frankreichs“ bezeichnet wurde. Ein Parlamentarier forderte die Staatssekretärin für Sport in einer schriftlichen Anfrage dazu auf, den französischen Fußballverband „zur unverzüglichen Auswechslung von Raymond Domenech zu bewegen“. In seiner Begründung hieß es: „Die Franzosen, von der Wirtschaftskrise schon hart getroffen, haben keinen Bedarf nach der medialen, weltweiten Demütigung in Südafrika, die sich gerade anbahnt.“ Der Mann konnte nicht wissen, wie sehr er recht haben würde.

Nach Anelkas Abreise hielt kaum jemand eine weitere Eskalation für möglich. Doch sie ließ nur einen Tag auf sich warten. Auf dem „Field of dreams“ genannten Trainingsplatz der Franzosen in Knysna traten die Spieler – offenbar nach einer Auseinandersetzung mit ihrem Fitnesstrainer – in den Streik. Sie boykottierten das Training, der Delegationsleiter trat zurück, die Spieler formulierten eine Erklärung, die der Trainer vor Journalisten vorlas, was wiederum Fragen aufwarf. Denn vor der WM hatte Domenech erklärt, dass er sich nicht mehr vor die Spieler stellen werde, es zähle nur noch die Leistung. Er verlas, dass die Spieler gegen die Suspendierung Anelkas seien. Domenech hält sie für richtig.

Er habe die Situation möglichst schnell beenden wollen, erklärte Domenech bei einer Pressekonferenz am Montagabend, zu der er allein erschien – ohne Kapitän Patrice Evra, der unentschuldigt fehlte. Den Trainigsboykott kritisierte Domenech als „unbeschreibliche Dummheit“. Auf wen er noch bauen wolle und wer vielleicht aus dem Team fliege, verriet er nicht.

Dabei war der Trainingsstreik schon am frühen Montagvormittag wieder vorbei gewesen. Still und mit hängenden Köpfen gingen die Profis ihren Übungen nach, doch da war das Fußballdrama längst zum Synonym für den Zustand Frankreichs geworden. Das Klima in der französischen Mannschaft sei mit dem durch Sarkozy hervorgerufenen Klima im Lande vergleichbar, sagte der sozialistische Abgeordnete Jérôme Cahuzac: „Individualismus, Egoismus, jeder für sich“. Das Einzige, was zähle, sei der Gehaltsscheck am Ende des Monats. Der ehemalige Parteichef der Sozialisten, François Hollande, konstatierte in der Mannschaft wie in der Gesellschaft „die Auflösung der Brüderlichkeit, ja des Nationalgefühls“. Die Ministerin für Hochschulwesen fragte: „Wie sollen bitteschön die Jugendlichen ihre Lehrer respektieren, wenn sie sehen, wie Anelka seinen Trainer beschimpft?“ Und der französische Philosoph und Fußballfan Alain Finkielkraut kommentierte am Sonntag im Radio das wohl skandalträchtigste Wochenende des französischen Fußballs so: „Ein Prozess der Entzivilisierung ist am Werke.“ Eine Leistung des Fußballs sei bisher die Verdrängung von Gewalt, die Kontrolle von Affekthandlungen, das Trainieren des Körpers zum friedlichen Aufeinandertreffen mit einer anderen Mannschaft gewesen. „Was wir jetzt sehen, ist der Geist der Problemviertel, wir lassen uns von der Banlieue verschlingen!“, sagte Finkielkraut bewusst auch auf die Gesellschaft gemünzt.

Es gibt wohl kein härteres Urteil für die ethnisch gemischte französische Nationalmannschaft, deren WM-Gewinn 1998 im eigenen Land noch als Beispiel für den Erfolg des französischen Integrationsmodells galt. Damit ist laut Finkielkraut nun Schluss: „Diese Spieler sind nicht nur unausstehlich, sie sind grotesk“, wetterte er, „das ist sicher keine Mannschaft, die uns repräsentiert.“

Und auch auf den Leserbriefseiten und in den Internetforen geht es auf einmal außer um mangelnde Spielfreude und fehlenden Kampfgeist wieder um die Hautfarben der Spieler. Es seien zu viele Afrikaner dabei, auch das wird gesagt, das sind Sätze der Front National.

Vorbei also die Zeiten, da man in Frankreich gern den Philosophen und Hobby-Torwart Albert Camus zitierte, der sagte: „Alles, was ich am sichersten über die moralischen Werte und die Verpflichtungen der Menschen weiß, verdanke ich dem Fußball.“ Schon verabschieden sich auch die Geldgeber der Mannschaft. Die französische Bank Crédit Agricole kündigte am Montag an, sie setze die Ausstrahlung eines Fernsehspots mit Spielern der „Bleus“ vorzeitig aus. Eine Fast-Food-Kette entfernte sämtliche Werbeplakate mit Anelkas Bild.

Dabei ist das Verhältnis der Franzosen zu ihrem Fußball ein leidenschaftliches – gerade auch mit dem Fußballfan Sarkozy an der Spitze. Noch keinen Monat ist es her, dass er persönlich in Genf war, um für Frankreich als Austragungsort der Fußball-Europameisterschaft 2016 zu werben. Erfolgreich. Das Turnier sei „das Engagement eines ganzen Volkes“, sagte er in Genf. Ganz Frankreich warte auf diesen Anlass. Als Motto hatte die Grande Nation „Fußball wie wir ihn lieben“ gewählt. Stattdessen also in Südafrika der große Knall und ein Vizeweltmeister, der darum zittern muss, die Vorrunde zu überstehen.

Doch schon vor Beginn der WM war die Freude in Frankreich überschaubar. Kaum jemand behängte seinen Balkon oder sein Auto mit der Tricolore, die Spiele zu sehen, war keinesfalls Pflicht. So fragte die Zeitung „Le Monde“, ob die Franzosen die Blauen nicht mehr lieben.

Die südafrikanische Öffentlichkeit reagiert auf das Drama bei den Franzosen mit Verwunderung. Denn fehlende Disziplin und überbordende Emotionalität werden ja sonst eher der eigenen Mannschaft zugeschrieben. „Es wird trotzdem nicht leicht, drei Tore gegen Frankreich zu schießen – ganz egal, in welch desolatem Zustand Les Bleus auch sein mögen“, schreibt die Zeitung „The Citizen“. Wenn das Spiel um 16 Uhr angepfiffen ist, wird – anders als in Frankreich – das Land stillstehen. Und natürlich keimt die zarte Hoffnung, dass ein zerrütteter Gegner den Weg ins Achtelfinale noch ermöglicht.

Die Franzosen jedenfalls müssen nicht nur ohne Rückhalt aus der Heimat, sondern vermutlich auch ohne Hahn auskommen. Man berate über den Fall, heißt es. Die Fifa-Regularien jedenfalls sind eindeutig: Tiere sind im Stadion nicht erlaubt. Wie wichtig der Hahn ist, zeigte sich bei der WM 2002 in Südkorea. Wegen der Vogelgrippe durfte Fan Tomaszewski seinen Balthazar nicht mitnehmen. Frankreich schied damals aus.

Mitarbeit: Esther Kogelboom und Simon Riesche, Johannesburg

Matthias Sander[Bordeaux]

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