Manuel Neuer: "Wir sind hungrig"

TAGESSPIEGEL: Herr Neuer, wissen Sie schon, was Sie gegen Ghana tragen werden?

MANUEL NEUER: Ja, das Standardoutfit.

TAGESSPIEGEL: Also nicht mehr das gelbe Torwarttrikot, das Sie gegen Serbien getragen haben.

MANUEL NEUER: Sie sagen es.

TAGESSPIEGEL: Das war ja Dortmund-Gelb, oder?

MANUEL NEUER: Deutschland-Gold, würde ich als Schalker sagen. Welche Farbe das Torwarttrikot hat, das entscheidet bei der WM am Ende immer die Fifa. Das grüne und das rote Trikot stehen mir deutlich besser.

TAGESSPIEGEL: Vermutlich würde es Ihnen noch besser stehen, wenn Sie sich im Tor schon hätten auszeichnen können.

MANUEL NEUER: Stimmt, es kamen noch nicht die richtig tollen Torschüsse, die ich hätte abwehren können. Für einen Torwart ist das nicht so schön, aber wichtiger ist das Ergebnis. Wir stehen ganz gut in der Verteidigung.

TAGESSPIEGEL: Leiden Sie unter der Unterforderung?

MANUEL NEUER: Leiden wäre falsch, aber es ist ärgerlich, wenn man sich gut vorbereitet hat. Im Training spiele ich auf hohem Niveau, nur kann ich es nicht zeigen. Mit diesem Konflikt muss ein Torwart leben. Im Prinzip will man ja nicht viel zu tun bekommen. Der Mannschaftsgedanke steht im Vordergrund. Je weniger ich aufs Tor bekomme, desto besser ist es für uns.

TAGESSPIEGEL: Das Spiel gegen Ghana hat Finalcharakter. Wäre es von daher nicht besser, wenn Sie als Torwart schon warm geschossen wären?

MANUEL NEUER: Schwierig zu beantworten, die Frage. Ein Torwart muss dann da sein, wenn es sein muss. Auch und gerade, wenn er vielleicht noch nicht so viel gefordert wurde. Das ist die Herausforderung.

TAGESSPIEGEL: Bei dieser WM gab es schon kuriose Torwartleistungen zu beobachten. Wie bewerten Sie das Spiel Ihrer Kollegen?

MANUEL NEUER: Also, ich habe auch sehr gute Leistungen gesehen. Ich möchte nichts über Kollegen sagen. Ich bin einfach noch nicht in der Position, über andere Torhüter zu urteilen. Ich konzentriere mich auf mich und unsere Mannschaft.

TAGESSPIEGEL: Der Australier Mark Schwarzer hat es sich nicht nehmen lassen. Er hat über die deutschen Torhüter gesagt, dass es keine Persönlichkeiten sind.

MANUEL NEUER: Jeder muss ja wissen, was er tut und sagt. Ich bin ganz ruhig geblieben. Wissen Sie, auch Jens Lehmann hat ja vor der WM über mich geurteilt …

TAGESSPIEGEL: Er hatte gesagt: „Wenn man Weltmeister werden will, ist es schwierig mit Manuel Neuer als Nummer eins. Er hat immer wieder Fehler gemacht.“

MANUEL NEUER: Und schon dazu habe ich nichts gesagt. Ich kann das alles ganz gelassen sehen. Die beste Antwort kann man nur auf dem Platz geben. Ich denke, dass ich in unseren Spielen Präsenz gezeigt habe.

TAGESSPIEGEL: Was wird gegen Ghana auf Sie zukommen?

MANUEL NEUER: Ghana besitzt interessante Offensivspieler, sie haben von ihrer Veranlagung sehr viel Kraft. Man hat gesehen, dass die Jungs sehr selbstbewusst sind und gern auch aus der Distanz schießen. Damit rechne ich. Das bedeutet, dass wir mit der Abwehr nicht zu tief, also zu nah am eigenen Tor stehen. Wir wollen versuchen, möglichst wenig zuzulassen.

TAGESSPIEGEL: Das deutsche Team ist recht jung. Spüren Sie eine gewisse Anspannung?

MANUEL NEUER: Wir wissen doch, dass bei einer WM jedes Spiel zählt. In der Gruppenphase gibt es drei K.-o.-Spiele, nicht eins. Der Druck ist immer hoch.

TAGESSPIEGEL: Deutschland könnte ausscheiden.

MANUEL NEUER: Ja, der Druck ist jetzt sehr hoch, aber wir können damit umgehen und sind sicher, dass wir gegen Ghana gewinnen.

TAGESSPIEGEL: Alle Spieler äußern große Zuversicht. Wie viel davon redet man sich ein, und wie viel kommt von innen, aus tiefer Überzeugung?

MANUEL NEUER: Wir haben hier trotz der Niederlage gegen Serbien keine schlechte Leistung geboten. Im Gegenteil. Wir hatten ein bisschen Pech. Aber natürlich müssen wir auch an uns glauben. Und das können wir auch. Wir wissen, was wir draufhaben. Wir sind hungrig, wir sind motiviert. Daraus ziehen wir die Kraft und Überzeugung.

TAGESSPIEGEL: Bei den vorigen Turnieren standen in Kahn und Lehmann sehr erfahrene Profis im deutschen Tor. Sie sind deutlich jünger. Wie können Sie der Mannschaft Halt verleihen?

MANUEL NEUER: Ich denke schon, dass ich der Mannschaft Sicherheit verleihe. Meine Mitspieler wissen, dass sie mich in brenzligen Situationen immer anspielen können. Ich bin immer für sie da. Ich strahle Ruhe aus. Und außerdem: So alt waren die deutschen Torhüter auch nicht immer. Bodo Illgner ist mit 23 Jahren Weltmeister geworden. Warum soll es bei mir nicht mit 24 klappen?

TAGESSPIEGEL: Die ersten beiden Spiele fanden für das deutsche Team auf Meereshöhe statt. Nun geht es auf 1800 Meter um alles. Was ändert sich dadurch, wie ändert sich das Torwartspiel?

MANUEL NEUER: Am Torwartspiel wird sich grundsätzlich nichts ändern. Viel interessanter ist, wie der Ball sein wird.

TAGESSPIEGEL: Wie meinen Sie das?

MANUEL NEUER: Natürlich gibt es immer wieder Leute, die an den Flugeigenschaften neuer Bälle etwas auszusetzen haben. Aber wenn man schon negativ ins Spiel geht, dann ist das doch kontraproduktiv.

TAGESSPIEGEL: Worin liegt also die Gefahr?

MANUEL NEUER: Beim Serbienspiel hatte der Ball nicht genug Luft. Ich habe zu Beginn des Spiels den Schiedsrichter drauf aufmerksam gemacht. Ich hatte zwei Bälle vor dem Abstoß probiert. Die waren nicht WM-würdig. Da hatte man wohl ein paar Bar vergessen. Das hat mich ganz schön aufgeregt.

TAGESSPIEGEL: Wer hat denn bei dieser WM den härtesten oder gefährlichsten Schuss?

MANUEL NEUER: Das hängt von der Situation ab. Die unberechenbaren Schüsse sind die gefährlichsten. So wie der vom Brasilianer Maicon …

TAGESSPIEGEL: … der gegen Nordkorea fast von der Torauslinie in die kurze Ecke traf …

MANUEL NEUER: … ja, der wollte mit Sicherheit nicht aufs Tor schießen, so wie ich das sehe.

TAGESSPIEGEL: Vor dem Spiel ist viel über Kevin-Prince Boateng geredet worden, der Michael Ballack folgenschwer gefoult hat. Kann die Mannschaft das außen vorlassen?

MANUEL NEUER: Ich persönlich werde ja keine großen Zweikämpfe mit ihm führen. Und auch die Mannschaft konzentriert sich nicht auf einen Spieler, um irgendwelche Rechnungen zu begleichen. Wichtiger ist, dass wir das Spiel gewinnen, und da zählt ein einzelner Spieler nicht.

TAGESSPIEGEL: Ab wann werden Sie vor dem Spiel in den berühmten Kahn’schen Tunnel gehen?

MANUEL NEUER: Gar nicht. Ich höre auch keine Musik. Für mich ist immer das Abschlusstraining der Startschuss, dann fange ich an, mich atmosphärisch einzustellen. Und wenn es am Spieltag zum Stadion geht, bricht bei mir Vorfreude auf das Spiel aus.

TAGESSPIEGEL: Was würde ein Weiterkommen für das Team bedeuten, und was ein Ausscheiden?

MANUEL NEUER: Ein Weiterkommen wäre eine riesige Erleichterung. Da würde schon ein wenig Druck abfallen, von jedem von uns. Über ein Ausscheiden möchte ich mir zum jetzigen Zeitpunkt keine Gedanken machen.

TAGESSPIEGEL: Was erwarten Sie persönlich für sich, wenn die WM zu Ende ist? Geht der Dreikampf zwischen Ihnen, Adler und Wiese ums deutsche Tor dann wieder von vorn los?

MANUEL NEUER: Auch daran denke ich im Moment nicht. Natürlich weiß ich, dass ich hier schon ein bisschen vorausarbeiten kann. Ich kann mir ein Standing erarbeiten, auch wenn ich so viel noch nicht zeigen konnte. Darauf warte ich noch. Aber wichtig ist, dass wir das Turnier erfolgreich spielen, das setzt einen Sieg gegen Ghana voraus.

TAGESSPIEGEL: Wie haben Sie eigentlich das bislang letzte Gruppenspiel einer deutschen Elf bei der WM 2006 erlebt?

MANUEL NEUER: Das war gegen Ecuador, oder? Da war ich an der Glück-auf-Kampfbahn, beim Public Viewing. Im Deutschland-Trikot!

TAGESSPIEGEL: Im Torwarttrikot?

MANUEL NEUER: Nein, in einem mit der Nummer 10!

Das Gespräch führte Michael Rosentritt.