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Bei "Satisfaction" von den Rolling Stones rutscht dem Gegner das Herz in die Hose.

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Musikalische Ideen: Martensteins WM: "Satisfaction" als Hymne, das wär’s doch

Tagesspiegel-Autor Harald Martenstein ist weiter im WM-Gastgeberland unterwegs. Diesmal wundert er sich über die Feinheiten der Apartheid und entdeckt ganz neue musikalische Ideen.

Beim Ghana-Spiel saß ich direkt hinter dem deutschen Ex-Nationalspieler Gerald Asamoah, der in Ghana geboren wurde. Einer der Ghana-Spieler heißt ebenfalls Asamoah. Um uns herum saßen nur Deutsche, die sich mit dem geduldig lächelnden Asamoah fotografieren ließen und um sein Autogramm baten. Er muss das Spiel zwischen seinen beiden Heimaten mit gemischten Gefühlen verfolgt haben. Asamoah lächelte einfach nur die ganze Zeit, und nachdem das deutsche Tor gefallen war, zog er sich aus der Affäre, indem er SMS-Botschaften in sein Handy tippte. In der nächsten Saison, so viel steht fest, spielt Asamoah für St. Pauli.

Auf Anraten meines Gastgebers war ich im Johannesburger Apartheid-Museum. Das Museum ist wirklich sehr gut. Ich dachte bisher, das damalige System habe die Menschen und ihre Rechte in die drei Kategorien schwarz, weiß und „farbig“ aufgeteilt, in Wirklichkeit war es viel komplizierter. Es gab alle möglichen Kategorien, wie „malayisch“, „indisch“ oder „sonstiger Asiate“, eine riesige Bürokratie, die Menschen sortierte. Jedes Jahr wechselten Hunderte die Kategorie, entweder auf eigenen Antrag oder weil die Behörde sich korrigierte. Aus dem Passeintrag „schwarz“ wurde „farbig“, aus „indisch“ wurde „chinesisch“, oder ein Weißer wurde plötzlich als „sonstiger Asiate“ eingestuft. Das kam alles vor. Angeblich war die Rasse das wichtigste Merkmal einer Person, gleichzeitig gab die Behörde, durch diese dauernden Änderungen, indirekt zu, dass die Grenzen fließend sind. Am sonderbarsten fand ich, dass Griechen im Apartheid-System nicht als Weiße galten. Alle Südeuropäer waren „weiß“, nur die Griechen nicht. Der Museumsführer wusste auch nicht, wieso. Da sei wohl einem Sachbearbeiter in der Rassenbehörde eine Verwechslung unterlaufen, so, wie dem Wissenschaftler, der irrtümlich bewiesen hat, dass Spinat viel Eisen enthält.

Die Völker sind ziemlich unterschiedlich, auch die Kulturen unterscheiden sich, und die Landschaften, und alles. Nur die Nationalhymnen hören sich total ähnlich an. Sie könnten immer sehr gut morgens um sieben Uhr in der Radiosendung „Leichte Klassik zum Aufwachen“ ausgestrahlt werden. Es ist immer pathetisch, mit Tschingderassabum. Es gibt immer einen langsamen, melodischen Liedteil (unser Land ist wunderschön!) und einen schnelleren, der nach Militärmarsch klingt (Achtung, wir können auch anders!).

Es gibt ein paar Ohrwürmer, vor allem bei den größeren Ländern. Bei den kleineren Ländern merkt man meistens recht deutlich, dass sie sich keinen von den richtig teuren Komponisten leisten konnten. Die Länder aus Afrika, die großen Wert auf ihre afrikanische Kultur legen, haben trotzdem Nationalhymnen, die ohne weiteres auch für die Slowakei abgespielt werden könnten. Warum macht man nicht mal eine Castingshow? Mali sucht die Superhymne? Warum nicht mal was Modernes, Poppiges, wie „Satellite“ von Lena, oder schnulzigen Ethnokitsch, das ist dann wenigstens mal was anderes, oder einen legendären Rock-Klassiker? „Satisfaction“ von den Rolling Stones? Da rutscht dem Gegner doch ganz sicher das Herz in die Hose, wenn die slowakischen Fußballer mit ihren Kiefern malmen und als slowakische Hymne wird „Satisfaction“ gespielt. Natürlich mit einem patriotischen slowakischen Text, ist doch klar.

Bei einem Wintervolk wie den Finnen könnte man einen komplizierten Zwölftöner von Stockhausen nehmen. Wenn man den hört, kapiert man sofort: Aha, bei denen ist der Winter sehr lang, ein dunkles Land, das Leben dort ist bestimmt nicht einfach.

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