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© EPA

Nationalmannschaft: DFB-Team in Russland: Ein ganz anderes Spiel

Der Gegner ist nicht das einzige Problem. Die deutsche Nationalelf muss sich für den Kunstrasen in Russland umstellen.

Auf dem Verbotsschild hinter dem Mainzer Bruchwegstadion ist genau aufgeführt, was auf dem neuesten Sportplatz der verwinkelten Anlage nichts zu suchen hat. Eine Zigarette ist ebenso rot durchgestrichen wie ein Kaugummi, eine Flasche, aber auch ein Fußballschuh mit langen Schraubstollen. Sie alle sind die natürlichen Feinde des künstlichen Grüns, das der FSV Mainz im Dezember 2007 für 700 000 Euro errichten ließ. Dieser Kunstrasenplatz der dritten und damit neuesten Generation, gebaut von der Bielefelder Firma „Heiler Sportplatzbau“ mit einem schwimmend verlegten Plastikgras der Marke „Fieldturf Tarkett“, ein Unternehmen aus Paris, rückt nun in den bundesweiten Fokus. Plötzlich werden die Details dieses Produkts wichtig.

Die deutsche Nationalmannschaft trainiert auf diesem Rasen, um sich für das vorentscheidende WM-Qualifikationsspiel am Samstag in Russland zu präparieren. Auch im Luschniki-Stadion liegt ein Fieldturf-Produkt aus, nur sind die Kunststofffasern aus Polyethylen in Moskau 63 statt wie in Mainz 40 Millimeter lang und pro Quadratmeter 19 statt lediglich sieben Kilo Gummigranulat über dem Quarzsand aufgebracht. Das liegt daran, dass es bei den Russen zwar auch eine Drainage, eine Trägerschicht, aber keine zusätzliche elastische Tragschicht unter der Kunststoffmatte gibt, wie es die deutsche Industrienorm vorschreibt.

Dennoch seien Rollverhalten des Balles und Kraftabbau durch die Spieler identisch, beteuerte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) erst unlängst in einer eigenen Pressemitteilung. Man wollte nicht den Eindruck aufkommen lassen, man trainiere von Dienstag bis Donnerstag vier-, fünfmal auf dem falschen Terrain. Die Klarstellung aus der DFB-Zentrale war wiederum bester Beleg dafür, welche Brisanz die Platzfrage birgt, die Teammanager Oliver Bierhoff zum „Tabuthema“ erklärt hat. „Es darf keine Entschuldigung für uns sein, sich dort schwächer zu fühlen als auf normalem Rasen.“

In Wahrheit aber ist die Furcht groß, die Russen verschaffen sich ähnlich wie gegen England im EM-Qualifikationsspiel 2008 einen Wettbewerbsvorteil, schließlich hat es in der deutschen Länderspielgeschichte noch nie ein Spiel auf Kunstrasen gegeben. Die Weiterentwicklung dieses Untergrunds hat dazu geführt, dass er vom europäischen Verband Uefa und dem Weltverband Fifa für EM- und WM-Qualifikation sowie auch Champions und Europa League erlaubt ist.

Bundestrainer Joachim Löw hat bereits beteuert: „Wir müssen uns eben in der kurzen Zeit darauf einstellen. Diese Situation bedeutet ja nicht, dass wir das Spiel nicht gewinnen können. Der Kunstrasen darf kein Alibi sein.“ Doch Andreas Ivanschitz, der Neu-Mainzer, weiß aus seiner Zeit bei Red Bull Salzburg, dass die Gewöhnung ein langwieriger Prozess ist, „deshalb haben wir vor jedem Heimspiel die ganze Woche drauf trainiert.“ Die Bälle müssten exakt in den Fuß gepasst werden, „gerade wenn der Platz nass ist, bringen lange Pässe gar nichts – das hat mir der Trainer sogar verboten.“ Ivanschitz’ Einschätzung: „Auf Kunstrasen ist es ein ganz anderes Spiel.“ Nicht von ungefähr sei Salzburg so heimstark.

Filigrane Spielertypen wie Mesut Özil, die mit Vorliebe direkt und flach kombinieren, braucht man auf dem künstlichen Grün. Eine Meinung, die auch der Mainzer Trainer Thomas Tuchel vertritt, der vor wenigen Wochen die A-Junioren zum Deutschen Meister machte – mit regelmäßigem Training eben auf jenem für Löw reservierten Platz. „Das Spiel auf Kunstrasen ist schneller“, sagt Tuchel. „Der Ball hat ein extrem anderes Absprung- und Rollverhalten. Der Wechsel ist eine absolute Umstellung.“

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