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Nationaltorhüter: Ein Dreikampf, der keiner ist

Während Tim Wiese und Manuel Neuer auf dem Rasen um ihre Stellung kämpfen, gibt sich René Adler vergleichsweise entspannt der Beobachtung hin. Denn die beiden kommen im deutschen Tor nicht an dem Leverkusener vorbei.

Die moderne Technik ermöglicht eine Unmittelbarkeit, die einen manchmal ängstigen kann. Es war Mitte der zweiten Hälfte im Testspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen die Elfenbeinküste, als Manuel Neuer leichte Schwierigkeiten mit einem Weitschuss offenbarte. Der Ball prallte ihm von der Brust, im zweiten Versuch aber bekam der Torhüter ihn dann doch noch zu packen. Gleich darauf erschien René Adler auf der Videoleinwand unter dem Stadiondach. Er saß in Zivil auf der Tribüne, und natürlich war das auch ein Bild mit hohem Symbolgehalt: Während Tim Wiese und Manuel Neuer auf dem Rasen um ihre Stellung kämpfen, gibt sich René Adler vergleichsweise entspannt der Beobachtung hin.

Es ist in den vergangenen Tagen häufig die Rede davon gewesen, dass Robert Enkes Tod den deutschen Fußball verändern könnte. Was das große Ganze betrifft, ist das wohl nur eine vage Hoffnung; im Detail aber wird Enkes Selbstmord natürlich Folgen haben. Man mag die Feststellung für pietätlos halten, für makaber – oder einfach für banal: Ohne Enke hat sich der Konkurrenzkampf um den Platz im deutschen Tor von Grund auf verändert. De facto hat er jede Schärfe verloren.

Enke, Adler, Neuer Wiese – vier Kandidaten für drei Plätze im WM-Kader, dazu die Frage, wer in Südafrika die Nummer eins sein würde. Das ist nun hinfällig. Auch wenn eine offizielle Entscheidung des Bundestrainers noch aussteht: René Adler ist wohl die Nummer eins. Der Leverkusener verfügt von allen Kandidaten über die meiste Länderspielerfahrung, er hat in den entscheidenden Qualifikationsspielen gegen Russland überzeugt, und vor allem ist er der Torhüter, auf den sich das Land am ehesten verständigen kann.

Für Wiese und Neuer bleibt realistisch betrachtet nur der Kampf um Platz zwei. Beim 2:2 gegen die Elfenbeinküste kamen beide zu ihrem jeweils zweiten Länderspieleinsatz. „Beide Torhüter haben ihre Sache gut gemacht“, sagte Bundestrainer Löw. Höhere Ansprüche sollten sie aus diesem Satz allerdings nicht ableiten.

Weder Neuer noch Wiese sind bisher in einem Pflicht-Länderspiel zum Einsatz gekommen, in der WM-Qualifikation haben nur Enke und Adler im Tor gestanden. Insgesamt bringt es Adler zwar auch erst auf acht Länderspiele, trotzdem besitzt der 24-Jährige einen Erfahrungsvorsprung, den Neuer, 23, und Wiese, 27, nicht mehr aufholen können. Bis zur Nominierung des WM-Kaders bleibt nur noch ein Länderspiel, im März gegen Argentinien, unmittelbar vor der WM kommen noch zwei Tests hinzu. Experimente auf der Torhüterposition verbieten sich da von selbst.

„Ich kann nur meine Qualitäten anbieten“, sagt der Bremer Wiese. Gegen die Elfenbeinküste wurde er kaum gefordert. Neuer hingegen wurde ungewollt zu einer Hauptfigur. Eine knappe Stunde war vorüber, als Heiko Westermann seinen Schalker Kollegen mit einem rasanten Zuspiel in höchste Not brachte: Neuer trat dem Ivorer Emmanuel Eboué den Ball gegen den Körper, von dort rauschte er zum 1:1 ins Netz. „So ein Tor wird man viele Jahre nicht mehr erleben“, sagte Löw.

Im Grunde wurde Neuer in dieser Szene ein Opfer seiner eigenen Stärke. Von allen Torhütern des Landes versteht keiner den Ball so kunstvoll mit dem Fuß zu behandeln wie er, und als er die Aktion beschreiben sollte, redete Neuer wie ein Stürmer: „Ich bin volles Risiko gegangen, hab den Ball volley mit Vollspann genommen.“ Das Zuspiel von Westermann kam halbhoch und in beachtlicher Geschwindigkeit. Für jeden anderen Torhüter wäre es eine Zumutung gewesen, Neuer aber sagte: „Heiko weiß, dass er mich immer anspielen kann, und beim nächsten Mal geht der Ball bestimmt nicht gegen den Gegenspieler.“ Was wohl Oliver Kahn mit Heiko Westermann gemacht hätte?

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