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Sein Spektakel: Wer ist Joseph Blatter?

Es ist sein Turnier, die Fußball-WM in Südafrika. Und es ist sein Verband, die Fifa. Unumstritten ist der Funktionär nicht. Wer ist Joseph Blatter?

Keiner hat den Fußball so verändert wie Joseph Blatter. Als der Sohn eines Chemiewerksarbeiters aus Visp im Wallis vor 35 Jahren zum Fußball-Weltverband Fifa kam, hatte dieser elf Mitarbeiter und gerade genug Mittel, um alle vier Jahre eine Weltmeisterschaft zu organisieren. Inzwischen ist die Fédération Internationale de Football Association eine Organisation von Weltrang, die mehr Mitgliedstaaten als die UN vereint. Als Generalsekretär und Präsident hat Blatter den Verband zu einer Geldgewinnmaschine mit Gutmenschen-Image umfunktioniert. Joseph S. Blatter, der sich selbst den Spitznamen Sepp zwischen Vor- und Zuname geklemmt hat, residiert nun mit 300 Mitarbeitern in einer herrschaftlichen Marmorzentrale auf dem Zürichberg, in der weltweit einzigen „Fifa-Straße“. 170 Millionen Euro kostete das „Home of Fifa“, wo die unterirdischen Stockwerke nur mit Fahrstühlen zu erreichen sind, die mit dem Fingerabdruck bewegt werden. Mit Fußball-Weltmeisterschaften verdient die private Profitorganisation, die in der Schweiz lediglich als Verein eingetragen ist, bis zu 1,6 Milliarden Euro. Die Überschüsse fließen teilweise in Fußballentwicklungsprogramme in aller Welt und von dort zuweilen schon mal in die Säckel manch hochrangiger Fifa-Funktionäre. So wird der Fußball immer internationaler – und Blatter immer mächtiger.

Der Fußball selbst ist inzwischen bis an die Schmerzgrenze vieler Fans kommerzialisiert und damit zum Vorreiter für die Vermarktung des globalen Sports geworden. Die Stärke des Fußballs ist dabei, dass sich das Spiel selbst kaum verändert hat. Elf gegen elf mit einem Ball und zwei Toren – das ist einfach zu verstehen und überall billig auszuüben. Der runde Lederball, der inzwischen synthetisch ist, rollte schon vor der Globalisierung von Wirtschaft und Politik universell. Längst ist das einstige Spiel der einfachen Leute eine Folie für den gesellschaftlichen Wandel geworden, die Spitzen von Politik, Wirtschaft und Medien drängen ins Scheinwerferlicht des Sports und lassen ihn so noch heller erscheinen. Nun soll er erstmals neue Bilder von Afrika vor die Augen der ganzen Welt holen.

Warum findet jetzt die erste WM in Afrika statt?

Vor allem, weil Blatter es so wollte. Als er bei der Fifa noch dem damaligen Präsidenten João Havelange als Chefentwickler diente, versprach er 1976 auf einer Fußballkonferenz in Afrika, einmal die WM auf den Kontinent zu bringen, wo viele Menschen vom Fußball so unbändig begeistert sind und so oft enttäuscht werden. Seitdem hat er sich für Afrika als Austragungsort eingesetzt. Schon 2006 wollte er die WM nach Südafrika bringen, doch die deutsche Bewerbung machte mit Fleiß, Geschick und manchem bis heute gehüteten Geheimnis knapp das Rennen. Blatter führte daraufhin das Rotationsprinzip ein, wonach die Austragungsorte nun über die Kontinente wandern müssen.

Für diesen Sommer bekam nun Südafrika den Zuschlag; seitdem setzt Blatter alles daran, dass diese, seine WM ein Erfolg wird. Als zwischenzeitlich wegen der schleppenden Stadionbauarbeiten, der ungeklärten Transportwege sowie der Sicherheitslage am Kap die Zweifel am Austragungsland wuchsen, trieb Blatter in einer Art Pendeldiplomatie zwischen Zürich und Johannesburg die Bauarbeiter persönlich an. Am heutigen Freitag nun wird Afrikas bislang größte Veranstaltung angepfiffen. Und für Blatter, der vor vier Jahren in Deutschland wegen der strengen Marketingregeln der Fifa ausgepfiffen wurde, erfüllt sich ein Traum. Mit einem bunten Bilderbogen will sich der 74-Jährige in die Geschichtsbücher eintragen. Probleme vor Ort werden dabei überblendet. So sind angesichts der zäh abklingenden Wirtschaftskrise, der überteuerten Flüge nach Südafrika und der Sicherheitsbedenken noch immer nicht alle Tickets für das Turnier verkauft. Die Fifa hat nun hektisch die Preise gesenkt und vertickt die Eintrittskarten, mit denen sie weniger Geld verdient als geplant, an Ad-hoc-Verkaufsschaltern im Gastgeberland. Das kostet die Fifa zwar Geld, aber verheerender für sie und Blatters Traum wären wohl leere Tribünen. In Afrika genießt Blatter inzwischen bereits jenen Erlöserstatus, den er sich weltweit erträumt. In einem WM-Werbefilm der Fifa sind afrikanische Fans zu sehen, die Schilder hochhalten mit der Botschaft: „Thanx, Sepp Blatter.“

Wie hat Blatter den Aufstieg zum

mächtigsten Sportfunktionär geschafft?

Als Junge stürmte er auf dem Fußballplatz bis in die Schweizer Amateurliga. Doch als ihm ein Nachwuchsvertrag bei Lausanne Sport angeboten wurde, schrie ihn sein Vater an: „Mit Fußball wirst du nie Geld verdienen.“ Und in der Tat verdiente Blatter, der sich schon mit zwölf Jahren als Tellerwäscher und Laufbursche verdingte, nicht viel auf dem grünen Rasen: Umgerechnet drei Euro bekam er pro Spiel, dazu Geld für die Fahrkarte und ein Sandwich. Ehrgeizig schon in der Schule und an der Rechtsfakultät, arbeitet er sich in der kleinen Welt des Wallis hoch: vom Sekretär des Walliser Verkehrsverbandes über Funktionärsposten in nationalen Sportverbänden bis hin zum Direktor bekannter Schweizer Uhrenhersteller. 1975 holte ihn Havelange zur Fifa, gerade als der mit Adidas-Erbe Horst Dassler die globale Sportvermarktung erfand. Blatter flog in ihrem Auftrag um die Welt und fand schnell hinein in den inneren Zirkel der Macht, in dem sich irgendwann alles um ihn drehen sollte.

Als Blatter 1998 als Fifa-Generalsekretär in den Wahlkampf ums Präsidentenamt zog, verpasste er sich das an Kennedy angelehnte Kürzel JSB. Eigentlich galt Europas Fußballchef Lennart Johansson als Favorit. Doch in der Nacht vor der Wahl wechselten Umschläge den Besitzer, wie Zeugen später berichteten. Am nächsten Morgen stimmten vor allem afrikanische Delegierte für Blatter.

Seitdem verwendet der polyglotte Vielflieger, der fließend Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch und Portugiesisch spricht, die meiste Zeit darauf, mit weltumspannenden Ränken seine Macht zu sichern. Das war insbesondere 2001 nicht leicht, als die Fifa nur knapp der Pleite entging. Die Firma ISL, die die WM vermarkten sollte, meldete Konkurs an. Die Fifa gab die Rechte weiter an den Münchner Medienunternehmer Leo Kirch – mit ähnlichem Ende. Auf 30 Millionen Dollar bezifferte Blatter den Verlust, Finanzexperten hielten das für mehrfach untertrieben. Kurz vor der WM 2002 in Asien kündigte die Versicherung der Fifa ihren Vertrag, Schwarzkonten flogen auf, Zeugen drohten mit Aussagen über Korruption. Nur mit Mühe konnte Blatter seine Absetzung durch eine Opposition um den damaligen Generalsekretär Michel Zen-Ruffinen verhindern, vor seiner umstrittenen Wiederwahl 2002 entzog er Kritikern dreist das Mikrofon. Seitdem werden in Zürich auf den Chefposten regelmäßig die Menschen ausgewechselt, die Blatter dienen und ihm zu nahe kommen könnten. Seine erneute Machtbestätigung 2007 wurde inszeniert wie die Weihung eines Staatenlenkers, ohne Gegenkandidat und Gegenstimme. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Sachen ISL, die sich auch gegen die Fifa richten, sind immer noch nicht abgeschlossen. Blatter, der privat trotz mehrerer Hochzeiten kein langlebiges Glück fand, bezeichnet die Fifa mittlerweile als seine Verlobte. Als Entschädigung verdient er eine Million pro Jahr, „die Währung können Sie sich aussuchen“.

Welche Mission hat Blatter?

Joseph Blatter hat seinem Vater bewiesen, wie viel Geld man mit dem Fußball machen kann. Doch er ist überzeugt: „Meine Mission im Fußball ist noch nicht erfüllt.“ Im kommenden Jahr will er noch einmal als Fifa-Präsident kandidieren. Seine Amtszeit würde sich damit bis 2015 verlängern. Dann wäre der Sepp bereits 79. Wird die WM in Südafrika ein Erfolg, dürften sich seiner Wiederwahl wenige in den Weg stellen. Andernfalls drohen ihm Gegenkandidaturen aus dem mächtigen asiatischen Verband. Als Ausweg bliebe Blatter dann nur, dem bisher mit ihm verbündeten Chef des europäischen Fußballs, den Franzosen Michel Platini, als Nachfolger in Stellung zu bringen.

Bei seinem letzten öffentlichen Auftritt vor der WM kürzlich in Zürich ließ sich jedenfalls beobachten, dass Blatter langsam seinem temporeichen Leben Tribut zollen muss. Auf kritische Nachfragen reagierte er nicht ironisch wie sonst, sondern mit fahrig-tattrigen Bewegungen und gereizt: „Fragen Sie doch die europäischen Medien, warum sie Afrika nicht vertrauen.“ Vielleicht merkt auch er, dass seine Lebenszeit nicht mehr ausreichen könnte, um die ganze Welt mit Hilfe eines Balles zu retten – und das Bild aller anderen von ihm zum Guten zu wenden. Daher hat er sich inzwischen ein bescheideneres Ziel gesetzt: den Friedensnobelpreis.

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