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Der Berliner Anwalt Thomas Jedlitschka, Jahrgang 1973, hat im Auftrag der deutschen Entwicklungshilfe die Gastgeberstädte in Südafrika beraten.

© Tim Jürgens

Thomas Jedlitschka: "Eine WM für reiche Weiße"

Der Berliner Jurist Thomas Jedlitschka war als Berater für die Fanbetreuung in Pretoria und Johannesburg tätig. Nach zwei Turnierwochen kommt er zu dem Schluss, dass die Idee von einer afrikanischen WM missglückt ist.

11Freunde: Herr Jedlitschka, Sie haben 2006 das Fanfest in Berlin mitorganisiert. Was genau war Ihre Aufgabe in Südafrika?

Thomas Jedlitschka: Wir wollten unser Know-how von 2006 weitergeben und dafür sorgen, dass Fans hierherreisen, sich dabei sicher fühlen und Spaß haben können.

11Freunde: Können Sie kurz zusammenfassen, was Ihre wichtigste Botschaft an die Verantwortlichen der Gastgeberstädte war?

Thomas Jedlitschka: Dass sie nicht alles glauben sollen, was die Fifa ihnen an Prognosen zur WM gibt. Der Fußballverband ist ein Wirtschaftsunternehmen, das nach Gewinnmaximierung strebt. Er hat die gesamte Vermarktung in der Hand – was den Ausrichterstädten kaum Möglichkeiten lässt, von der WM zu profitieren. Auch in Deutschland war es so, dass jede Kommune mit einem Minus aus der WM herauskam. Touristische Langzeiteffekte sind auch in Johannesburg und Pretoria nicht zu erwarten.

11Freunde: Welche Klauseln machen es den Städten denn so schwierig?

Thomas Jedlitschka: Dass das gesamte Sponsoring komplett verkauft ist. Ein Beispiel: Den Städten ist es gar nicht möglich, Kooperationen mit mittelständischen Getränkehändlern aus der Region einzugehen, weil Coca-Cola und Budweiser alle Rechte besetzt haben. Jede noch so gute Marketingidee, die im Umfeld der Stadien dafür sorgen könnte, dass Fans anders als von der Fifa vorgesehen feiern, wird auf diese Weise zunichte gemacht.

11Freunde: In welchem Bereich um das Stadion herum bewegt sich ein Fan in diesem Fifa-Kokon?

Thomas Jedlitschka: Es gibt die sogenannte Exclusion Zone mit einem Radius von einem Kilometer um das Stadion, wo an Spieltagen offiziell keine Waren verkauft oder beworben werden dürfen, die nicht zum Sponsorenpool gehören. In Soccer City spielt das keine Rolle, weil die Spielstätte weit vom Stadtkern entfernt liegt. Aber der Ellis Park in Johannesburg oder in Pretoria das Loftus Versfeld liegen zentrumsnah. Anfänglich sah es tatsächlich so aus, dass an Spieltagen hier massenhaft Geschäfte geschlossen bleiben müssten.

11Freunde: Und wer zahlt den Ausfall? Die Stadt?

Thomas Jedlitschka: Das ist ein Problem. Schließlich hat Südafrika auch eine Verfassung, die Berufsfreiheit und die Freiheit des Eigentums zusichert. Wir haben also die Städte gefragt, was sie machen, wenn einer der Geschäftsleute klagt. Die antworteten, dass sie das Risiko erst einmal eingehen.

11Freunde: Wie wird das nun in der Praxis gehandhabt?

Wir haben mit der Fifa gesprochen, und die hat eingelenkt. Der Inhaber kann seinen Laden in der Exclusion Zone öffnen, er darf nur keine Werbung machen, die über das normale Maß hinausgeht. Im Vorfeld der WM haben sich Abgesandte der Fifa das genau angesehen, fotografiert und dann im Detail entschieden, was geht und was nicht. Ein Wahnwitz.

11Freunde: In welchen Punkten hat die Fifa auf ihren Vertragsklauseln beharrt?

Thomas Jedlitschka: Dass auf den sogenannten Protokollstrecken zum Stadion keine „feindliche Werbung“ sichtbar sein darf. Wenn man irgendetwas sieht, was nicht Coca-Cola, Kia, MTN oder Budweiser ist, muss die Stadt dafür sorgen, dass es entfernt wird.

11Freunde: Wie lautete Ihre juristische Expertise an die Host Citys zu dieser Klausel?

Thomas Jedlitschka: Ich habe ihnen gesagt, dass ich keinen Fall kenne, in dem die Fifa gegen eine Ausrichterstadt wegen der Nichterfüllung eines Vertragspunktes geklagt hätte. Solche Probleme werden politisch gelöst.

11Freunde: Funktionieren die vorgeschriebenen Fanfeste, die anders als in Deutschland oft dezentral in Rugby-Stadien stattfinden?

Thomas Jedlitschka: Die Fanfeste waren nur gut besucht, wenn Südafrika spielte. Ansonsten habe ich in der Region Johannesburg gähnende Leere erlebt. In Durban und Kapstadt – wo die Fanfeste in Strandnähe stattfanden und sich die Touristen aufhalten – wurden sie wesentlich besser angenommen. In Pretoria ist das Fanfest 25 Kilometer vom Stadion entfernt.

Auch die Preise dort sind für viele Südafrikaner unerschwinglich.

Thomas Jedlitschka: Die Fifa konzipiert solche Feste nicht für die einfache Bevölkerung, sondern für eine reichere, weiße Schicht. Zu den Spielen der südafrikanischen Mannschaft kamen zwar auch viele einfache Schwarze, sie konsumieren aber so gut wie nichts.

Mit anderen Worten: Die ärmere Bevölkerung des Landes hat gar nichts von der WM.

Thomas Jedlitschka: Es war unsere Aufgabe, die Städte vor allem aus der Perspektive des weißen, europäischen Fans zu beraten. Es geht den Host Citys schließlich um den touristischen Aspekt. Gleichzeitig haben wir stets darauf hingewiesen, dass auch die einfache Bevölkerung vom Turnier profitieren muss. Schließlich geht es bei einer WM darum, dass Touristen und Bevölkerung sich vermischen und gemeinsam feiern. So wie in Berlin. Hier aber ist es so, dass die einfache Bevölkerung die Spiele wie bei der WM 2006 im Township am Fernseher sieht. Das ist sehr schade.

11Freunde: War kein Umdenken möglich?

Thomas Jedlitschka: Wir haben darauf gedrängt, dass lokales Essen, das bei Ligaspielen entlang der Straße erhältlich ist, auch bei der WM angeboten wird. Dem ist aber durch die Exclusion Zone ein Riegel vorgeschoben. Die Südafrikaner konnten sich gar nicht vorstellen, dass so ein Eingriff in ihre Fankultur möglich ist. Aber da ist die Fifa rigoros.

11Freunde: Und lässt sich nicht erweichen?

Thomas Jedlitschka: Wir haben es letztlich geschafft, dass einige der Mamas ihr Hühnchenfleisch an der Straße verkaufen können. Dazu mussten sie ein strenges Prüfverfahren über sich ergehen lassen und Hygienevorschriften lernen. Die Fifa will ja um jeden Preis verhindern, dass sich ein Fan auf dem Weg ins Stadion vergiftet.

11Freunde: Gibt es dennoch auch positive Aspekte dieser Weltmeisterschaft?

Thomas Jedlitschka: Sie funktioniert. Südafrika hat bewiesen, dass es eine sichere WM ausrichten kann, bei der sich die Menschen wohlfühlen. Auch wenn statt der erwarteten 450 000 Besucher nur etwa 150 000 WM-Touristen von außerhalb Afrikas gekommen sind. Aus Sicht der Fifa ist positiv, dass sie es geschafft hat, bei vielen weißen Südafrikanern, die bislang nur Rugby geschaut haben, ein Interesse für Fußball zu wecken.

Das Gespräch führte Tim Jürgens.

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