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Mesut Özil.

© AFP

Türkei: Neidische Blicke auf Mesut Özil

Er ist einer der Stars der deutschen Mannschaft bei der WM in Südafrika, glänzt mit klugen Pässen und Spielwitz - und die türkische Öffentlichkeit fragt sich, warum Mesut Özil eigentlich nicht für die Türkei spielt.

"Wie ist uns der denn durch die Lappen gegangen?" will die Zeitung "Hürriyet" wissen. Schließlich ist Özil Sohn türkischer Eltern, und andere Bundesligaprofis wie Hamit Altintop spielen für die Nationalmannschaft des elterlichen Heimatlandes, und nicht für Deutschland.

Nach Özils Vorstellung beim Spiel gegen Australien jubelten die türkischen Zeitungen fast so wie die deutschen. Özil sei besser als der argentinische Star Messi, er sei Joachim Löws "größte Trumpfkarte", ja ein neuer Zinedine Zidane, lauteten die Schlagzeilen.

In vielen Berichten wird Özil schlicht als "Türke in der deutschen Nationalmannschaft" bezeichnet. Dass Özil deutscher Staatsbürger ist, bleibt häufig unerwähnt. Hier zeigt sich die Blickweise der Türken auf die türkischstämmigen Migranten in Westeuropa: Diese werden auch dann als Mitglieder der türkischen Nation betrachtet, wenn sie längst einen Pass ihres neuen Heimatlandes haben. Und diese Sicht der Dinge sorgt dafür, dass sich in der Türkei nicht nur der Stolz auf Özils Leistung in Südafrika ausbreitet, sondern auch Unverständnis darüber, warum er nicht für das wirkliche, nämlich das türkische Vaterland spielt.

Özils Vater Mustafa stammt aus der Kohle-Provinz Zonguldak am Schwarzen Meer, einer der besonders armen Gegenden in der Türkei. Wie Millionen von Landsleuten zog er auf der Suche nach Arbeit mit seiner Familie nach Deutschland; Mesut Özil wurde 1988 in Gelsenkirchen geboren.

Enttäuschung, aber auch Verständnis

Als sein Aufstieg begann, wurde er auch vom türkischen Fußballverband umworben - vergeblich. Im vergangenen Jahr bestritt Özil sein erstes Spiel für die A-Mannschaft des Deutschen Fußballbundes. "Die Familie wollte nicht den deutschen Pass verlieren, deshalb haben sie den Deutschen den Vorzug gegeben", sagte Oguz Cetin, ein früherer Trainer-Assistent im türkischen Nationalteam, der Zeitung "Takvim". Offenbar ist Cetin deshalb immer noch beleidigt. In seinen Worten schwang deutlich die Enttäuschung darüber mit, dass sich ein türkischstämmiger Sportler gegen die Türkei entschied. "Alles nur wegen des deutschen Passes", tadelte "Takvim".

Doch einige Beobachter widersprechen den beleidigten Nationalisten. Es sei gut, dass Özil für Deutschland spiele, schrieb der Kolumnist Ercan Güven in der Zeitung "Milliyet". Erstens gebe keinen vernünftigen Grund dafür, dass ein in Deutschland geborener junger Mann, der sein ganzes Leben in deutschen Jugend-Ligen zugebracht habe, sich plötzlich für die Nationalmannschaft der Türkei entscheide. Und zweitens wäre Özils Talent in der Türkei, wo es keine systematische Nachwuchsförderung gibt, möglicherweise nie erkannt worden und verkümmert: "Einige 'Mesuts' müssen hier die Schafe hüten."

Außerdem ist Özil bei weitem nicht der einzige türkischstämmige Spieler, der in Europa geboren wurde und in seinem dortigen Heimatland die Nationalmannschaft verstärkt. Kubilay Türkyilmaz lief mehr als 60 Mal für die Schweiz auf.

Bei den Entscheidungen spielt die Aufnahmebereitschaft des Fußballverbandes im neuen Heimatland eine große Rolle. In den vergangenen Jahren konnten die Abgesandten des türkischen Fußballverbandes viele türkischstämmige Talente aus Deutschland für das türkische Nationalteam rekrutieren, weil die Deutschen den Eindruck vermittelten, als wollten sie keine türkischstämmigen Spieler. Das hat sich inzwischen offenbar geändert.

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