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Michael Oenning.

© TSP

UNSERE Experten: Leidenschaft wird sich durchsetzen

Tagesspiegel-Experte Michael Oenning über eine stimmungsvolle WM und die Schwäche einiger europäischen Granden.

Um auch noch etwas zu sagen zur leidigen Debatte: Ich halte strikt gar nichts von irgendwelchen Videobeweisen. Natürlich regt man sich über Fehlentscheidungen auf und über diesmal allerdings nahezu flächendeckend schwache Schiedsrichterleistungen. Aber Fehler passieren, Fehler sind menschlich, sind dadurch auch sympathisch und befriedigen das anarchische Element, das Fußball zu dem macht, was er ist: zum schönsten und spannendsten und erregendsten Spiel der Welt.

Und wie man sieht, nach holpriger Vorrunde, die Spiele werden besser, es fallen mehr Tore, es kommt Qualität ins Spiel, die Teams finden langsam ihren Rhythmus. Kaum einer regt sich noch auf über das Getröte, warum auch, der Fußball hat selbst die Kraft, sich gegen künstliche und nervige Plastikstimmung zu widersetzen. Die Stimmung, so erlebe ich das, ist gut, sehr gut, immer noch, was nach dem Ausscheiden fast aller afrikanischen Mannschaften ja nicht unbedingt zu erwarten war. Und der Fußball wird auch die Kraft haben, die Pragmatiker im Fußball, die ihm die Leidenschaft austreiben wollen, zu überwinden. Die Griechen hat er schnell überwunden. Und mag Carlos Dunga seinen Brasilianern noch so sehr die Ästhetik austreiben wollen, zu den Toren kombinieren sie sich weiter mit viel Herz. Was allerdings auffällt, und das erstaunt dann doch, dass die Brasilianer, aber auch andere Teams, nicht über die notwendige Fitness für die volle Spielzeit verfügen. Mag sein, dass es an der Höhe liegt, aber gegen Ende schwächeln einige doch arg. Und die Spiele, die in die Verlängerung gehen, werden kommen.

Was auch auffiel bislang: Mannschaften, die in Rückstand gerieten, blieben das meist. Fast kein Team konnte ein Spiel drehen, vielleicht weil alle, auch die Engländer von Fabio Capello gegen die deutsche Mannschaft, viel zu früh ins Risiko gehen und dann anfällig sind. Aber darüber wollen wir ja nicht klagen.

Hatte ich vor dem Turnier gesagt, Europa würde ein Übergewicht haben? War wohl falsch, muss ich revidieren, die Südamerikaner treten erstaunlich und beeindruckend auf, auch Mexiko gegen Argentinien, auch Chile gegen Brasilien taten das. Was man vom Auftreten einiger Granden aus Europa wohl eher nicht sagen kann. Also ein Verlust für die WM sind die blamierten Italiener, die zerstrittenen Franzosen und die alten Engländer gewiss nicht. Doch, es ist eine stimmungsvolle WM, und so wie es aussieht, wird es ab jetzt auch eine sehr gute. Wie schön, dass die deutsche Mannschaft am Qualitätsgewinn beteiligt ist.

Michael Oenning ist ab der kommenden Saison Kotrainer beim Hamburger SV.

Hier kommentiert er im Wechsel mit

Marcel Reif, Arnd Zeigler, Philipp Köster und Fredi Bobic die WM.

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