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Die Stars auf und neben dem Platz: Lionel Messi und Diego Maradona.

© AFP

WM-Gruppe B: Argentinien putzt die unbekannten Größen

Der Gruppen-Check, Teil 2: In der Vorrundengruppe B wirkt Argentinien neben Nigeria, Südkorea und Griechenland wie der Gigant unter Zwergen.

Argentinien: Alle Augen auf Lionel Messi

Einen der besten Spieler aller Zeiten auf der Bank, den wohl besten Spieler derzeit auf dem Platz - eigentlich sollte die argentinische Nationalmannschaft optimistisch in ihre 15. Weltmeisterschaft gehen. Eigentlich - denn die Realität sah zuletzt anders aus. Die WM-Qualifikation lief für die "Albiceleste" alles andere als gut. Erst am letzten Spieltag im vergangenen Oktober sorgte ein später Treffer von Mario Bolatti gegen Uruguay für die endgültige Teilnahme 2010.

Grund genug für Trainer Diego Maradona, nach dem Spiel die volle Breitseite an Medienkritik zu fahren: "Dieser Sieg ist für alle Argentinier außer den Journalisten", fing der 49-Jährige an. "Mir ist egal, was die Hurensöhne schreiben. Die, die nicht an die Nationalmannschaft geglaubt haben, sollen weiter Schwänze lutschen. Die haben mich wie Müll behandelt." Harte Worte nach harter Kritik. Vor allem eine bittere 1:6-Klatsche in Bolivien und ein 1:3 gegen den Erzrivalen aus Brasilien sorgten für ein eher negatives Echo aus dem Blätterwald.

Auch die Nominierungspolitik des Weltmeisters von 1986 sorgte für einige Kritik: 36 Spieler berief Maradona in sieben Partien. Dass er es zeitnah geschafft hat, sich für die WM auf 23 Akteure zu begrenzen, kam für viele überraschend. Im Gegensatz zur endgültigen Auswahl: Im Kader stehen alle Stars, Sensationen blieben aus. Prunkstück der Argentinier ist mit Sicherheit die Offensive. Gonzalo Higuain (Real Madrid), Carlos Tevez (Manchester City), Sergio Agüero (Atletico Madrid) und Diego Milito (Inter Mailand) haben in der abgelaufenen Saison zusammen 84 Ligatreffer erzielt.

Und da gibt es ja noch Lionel Messi. 34 Tore in der Primera Division, acht in der Champions League - der Weltfußballer hat gerade die wohl beste Saison seiner noch jungen Karriere absolviert. Der 22-Jährige spielt im Moment in einer eigenen Liga, wenigstens auf Vereinsebene. In der Nationalmannschaft hinkt Messi den Ansprüchen allerdings meist hinterher. Bei der WM 2006 spielte der Ausnahmefußballer nur eine Nebenrolle, auch in der vergangenen Qualifikation gab es im Heimatland einige Kritik. Messi würde sich in der Nationalmannschaft nicht so einsetzen wie im Verein, war der Hauptvorwurf. Widerlegen konnte der Außenstürmer das bisher nicht. Nur zwei Treffer in der Conmebol-Gruppe waren, gemessen am enormen Potential des "Zauberflohs", sicherlich zu wenig.

Damit es bei der WM besser läuft, muss auch die Defensive mitspielen. Der Abwehrverbund um Bayerns Martin Demichelis hat zuletzt einige Löcher aufgewiesen, Walter Samuel und Gabriel Heinze sind über ihren Zenit hinaus.

Fazit:
Eigentlich sind die Südamerikaner ein ganz heißer Tipp auf den WM-Titel. Falls die Maradona-Truppe die in der Qualifikation gezeigten Leistungen aber nicht verbessern kann, droht schon im Viertelfinale das Aus.

Prognose:
Argentinien wird die Vorrunde ohne große Probleme überstehen. Die Offensive der Südamerikaner ist unglaublich gut besetzt und wird die gegnerischen Abwehrreihen ordentlich durcheinander wirbeln. Das alleine reicht aber nicht für den ganz großen Titel. Dafür muss auch die Abwehr gut stehen und das ist bei der "Albiceleste" mehr als fraglich.


Nigeria: Flügellahme "Super Eagles"

Berti Vogts wusste es mal wieder als Erster: "Man kann keine Ordnung in einen afrikanischen Fußball-Verband bringen", polterte der ehemalige nigerianische Nationaltrainer vor einigen Jahren. "Das ist das reinste Chaos. Als wir unser erstes Spiel in Nigeria machten, habe ich gedacht, ich sehe nicht richtig. Auf so einen Platz kriegen Sie keinen deutschen Fußballer, da würde wir nicht einmal eine Kuh draufstellen."

Trotz der von Vogts propagierten Verhältnisse: die "Super Eagles" haben sich zum vierten Mal seit 1994 für eine WM-Endrunde qualifiziert, mussten dabei aber buchstäblich bis zur letzten Sekunde zittern. Zwei knappe Siege gegen Mosambik - das Siegtor durch Victor Obinna fiel in der 93. Minute - und in Kenia - den entscheidenden Treffer erzielte Obafemi Martins in der 81. Minute - sorgten für die endgültige Teilnahme. Leidtragender Zweiter wurde Tunesien, die ihr letztes Spiel in Mosambik verloren und dadurch auf der Zielgerade noch abgefangen wurden.

Großes Vorbild für die aktuelle Equipe der Nigerianer und ein bisschen auch für alle anderen afrikanischen Mannschaften ist die Generation der "Super Eagles", die Mitte der 90er Jahre weltweit für Furore sorgte. Das Team mit Spielern wie dem Frankfurter Super-Dribbler "Jay-Jay" Okocha, Emmanuel Amuneke oder Daniel Amokachi siegte beim Afrika-Cup 1994 und belegte bei der anschließenden WM in einer Gruppe mit Argentinien, Bulgarien und Griechenland den ersten Platz. Im Achtelfinale hatten die Nigerianer sogar den späteren Finalteilnehmer Italien am Rande des Ausscheidens, erst Roberto Baggio sorgte mit Treffern in der Nachspielzeit und der Verlängerung für das unglückliche Aus.

Die Krönung der als "Dream Teams" in die nigerianischen Fußball-Annalen eingegangenen Generation war der Olympiasieg 1996. In zwei mitreißenden Spielen wurde im Halbfinale zunächst Brasilien - unter anderem mit Bebeto und Ronaldo - 4:3 geschlagen, im Finale sicherte ein Treffer von Amuneke in der 90. Minute den 3:2-Sieg gegen Argentinien und damit die Goldmedaille.

Zu solchen Glanzleistungen sind die aktuellen "Super Eagles" allerdings wohl nicht mehr in der Lage. Bis auf den in den letzten Karrierezügen liegenden Nwankwo Kanu haben alle Superstars der Ära ihre Laufbahn beendet. Ihre Nachfolger haben bisher noch nicht beweisen können, dass sie als Teams funktionieren. Traditionell kann Nigeria aber weiter auf teils herausragende Einzelspieler setzen.

Chelseas John Obi Mikel wäre so einer gewesen, der Mittelfeldspieler hat sich mit seinen inzwischen 23 Jahren gefangen und stabilisiert. Allerdings musste sich der Leistungsträger kurzfristig einer Knie-Operation unterziehen und fehlt den "Super Eagles".

Ebenfalls in England ist Stürmer Aiyegbeni Yakubu aktiv. Der 27-Jährige spielt für den FC Everton und ist mit über 80 Treffern der erfolgreichste afrikanische Torschütze der Premier League. Allerdings hat "The Yak" noch mit den Folgen eines Achillessehnen-Risses aus dem letzten Oktober zu kämpfen. Aus der Bundesliga kennt man zudem die offensiven Gefahrenherde Chinedu Obasi und bereits erwähnten Obafemi Martins.

Fazit:
Sollte Nigeria nicht nur spielerisch, sondern auch taktisch überzeugen, kann es für die nächste Runde reichen. Entscheidend ist das Duell mit Südkorea. Doch schon das Erreichen des Viertelfinals scheint utopisch.

Prognose:
Mit Argentinien und der restlichen Weltspitze können die Nigerianer nicht mithalten, das ist klar - Südkorea und Griechenland sind allerdings auf Sichthöhe. Die Achtelfinale-Teilnahme ist möglich, viel weiter geht es dann aber nicht. Zumal auch die Testspiel-Ergebnisse vor der WM keinen Grund zur Euphorie geben.


Südkorea: Erfolgreicher Mix aus Teamgeist und Legionären

Viele Blicke aus Südkorea gehen im Moment wohl zutiefst neidisch in die Türkei. Denn die nicht für die WM qualifizierten Südeuropäer haben sich gerade erst die Dienste des niederländischen Erfolgstrainers Guus Hiddink gesichert. Guus Hiddink und Südkorea - da war doch was… 2002 sorgten die "Taegeuk-Warriors" für die erfolgreichste WM-Teilnahme einer asiatischen Mannschaft in der Geschichte der Weltmeisterschaften. Ähnlich dem deutschen "Sommermärchen" vier Jahre später kämpften sich die Südkoreaner im eigenen Land sensationell bis ins Halbfinale.

Ansonsten hatten die Ostasiaten bei Endrunden nicht sonderlich viel zu lachen. Schon die erste Teilnahme endete als komplettes Fiasko. 1954 reiste eine unerfahrene Auswahl zum Turnier in der Schweiz, nur um nach einer wahren Odyssee und zwei herben Schlappen gegen Ungarn und die Türkei mit null Punkten und 0:16 Toren im Gepäck wieder nach Hause geschickt zu werden. Danach musste der zweimalige Asienmeister geschlagene 32 Jahre warten, um mal wieder in den Genuss einer Weltmeisterschaft zu kommen. Seit 1986 qualifizierten sich die Südkoreaner dann aber für alle sieben Turnier, bis auf den überraschenden Halbfinaleinzug 2002 überstanden die Rot-Blauen dabei allerdings keines einziges Mal die Vorrunde. Der 2:1-Auftakterfolg 2006 in Frankfurt gegen Togo war zudem der allererste WM-Sieg außerhalb Asiens, zuvor standen auf fremden Kontinenten gerade mal vier Remis zu Buche.

In diesem Jahr scheinen die Südkoreaner aber gut in Form zu sein. Die Elfenbeinküste, Ekuador und Japan wurden in Testspielen bezwungen, einzig die 0:1-Niederlage gegen Weißrussland trübte den positiven Eindruck.. Auch die souveräne Qualifikation der von Jong-Moo Huh trainierten Mannschaft lässt die traditionell lautstarken Fans der "Red Devils" hoffen: Als einziges asiatisches Team kassierten die Südkoreaner keine einzige Niederlage.

Einen der Hauptgründe für den Durchmarsch stellt Ji-Sung Park, der Offensiv-Allrounder in Diensten von Manchester United. Nachdem er 2002 von Guus Hiddink erstmals als Flügelspieler aufgestellt wurde, kam der endgültige Durchbruch. Nach der WM im eigenen Land wurde Park zusammen mit seinem Teamkollegen Young-Pyo Lee von Hiddink zum PSV Eindhoven mitgenommen, 2005 folgte der Wechsel in die Premier League. Inzwischen kann der 29-Jährige sogar behaupten, als erster Asiate jemals die Kapitänsbinde von United getragen zu haben.

Im Tor steht Woon-Jae Lee vor seiner inzwischen vierten WM-Teilnahme. Der unverwüstliche 37-Jährige hat bisher erfolgreich alle Angriffe jüngerer Keeper abwehren können. Der Akteur von den Suwon Bluewings hat einen Ruf als Elfmeterkiller, 2002 musste Spaniens Joaquín das im Viertelfinale schmerzvoll erfahren. Ein weiterer Routinier und Held von 2002 ist der ehemalige Duisburger Jung-Hwan Ahn. Der Stürmer köpfte beim Achtelfinalsieg gegen Italien in der Verlängerung das entscheidende 2:1 und wurde anschließend von dem Präsidenten seines Arbeitgebers AC Perugia, Luciano Gaucci, quasi-entlassen: "Ich werde nicht das Gehalt eines Spielers zahlen, der den italienischen Fußball ruiniert hat." Auch Du-Ri Cha vom SC Freiburg ist als Bundesligalegionär und Sohn der größten Fußballikone des Landes eine Größe im Team.

Fazit:
Die Ostasiaten sind Favorit auf den zweiten Platz hinter den wohl übermächtigen Argentiniern. Sie sind ein unangenehmer Gegner, kampf- und laufstark, daher nur schwer zu schlagen. Gelingt, wie erwartet, der Einzug ins Achtelfinale, sind weitere Überraschungen drin.

Prognose:
Die Südkoreaner sind ein eingespieltes Team, das auf Kampfkraft und Leidenschaft setzt. Die Testspielergebnisse lassen einiges erhoffen, zudem sind Nigeria und Griechenland als Gruppengegner durchaus schlagbar.


Griechenland: Zurück zum Außenseiterstatus

Ecke, Kopfball Charisteas, Tor - in etwa so sah die Offensivtaktik der Griechen 2004 aus. Ecke, Kopfball Dellas, Befreiungsschlag - in etwa so sah die Defensivtaktik der Griechen 2004 aus. Am Ende stand der sensationelle Titelgewinn bei der Europameisterschaft in Portugal. "Modern ist, wer gewinnt", grinste Trainer Otto Rehhagel danach durch seine Zahnlücke und freute sich über seinen neuen Heldenstatus. Das ist inzwischen sechs Jahre her, Rehhagel steht bei seiner ersten Weltmeisterschaft mittlerweile im neunten Jahr pfeifend in der Coachingzone der Hellenen, der Spielstil hat sich allerdings etwas geändert.

In der Qualifikation zur zweiten WM-Teilnahme nach 1994 überzeugten die Griechen tatsächlich eher in der Offensive, statt sich mit einer destruktiven Defensivausrichtung die Siege zu ermauern. Mit 20 Treffern waren die Südeuropäer das angriffslustigste Team ihrer Gruppe, dagegen stand die Null hinten nur zweimal in zehn Spielen. In der Relegation sorgten dann zwar zwei "Nullrunden" von Keeper Alexandros Tzorvas gegen die Ukraine für das endgültige Erreichen der Endrunde; alleine die Tatsache, dass ein Grieche der beste Torjäger der kompletten Europa-Qualifikation ist, spricht allerdings für sich.

Theofanis Gekas, in Diensten Leverkusens noch an Hertha BSC Berlin ausgeliehener zukünftiger Frankfurter, erzielte insgesamt zehn Treffer, vier davon beim wichtigen 5:2-Heimsieg gegen Verfolger Lettland. Sein Ruf als Knipser hat in der Bundesliga zuletzt etwas gelitten. Beim VfL Bochum schon in seiner ersten Saison 2006/07 mit 20 Toren als bester Schütze der Liga ausgezeichnet, traf der 30-jährige Instinktfußballer auch in Leverkusen und sogar in Berlin zwar regelmäßig, aber bei weitem nicht mehr auf Rekordniveau.

Umso wichtiger erscheint die Treffsicherheit Gekas' für die Griechen, wenn man die weitere Personallage im Sturm betrachtet. Die beiden Frankfurter Ioannis Amanatids (nach einer langwierigen Knieverletzung noch nicht fit) und Nikos Liberopoulos (zurückgetreten) fehlen, Angelos Charisteas ist nach einer völlig verkorksten Saison beim 1. FC Nürnberg ohne Spielpraxis. So wird neben Gekas wohl der 25-Jährige Georgios Samaras auflaufen, der für Celtic FC aus Glasgow in der vergangenen Saison zehn Tore erzielte.

Schlüsselspieler der Hellenen hinter den Spitzen ist Regisseur Konstantinos Katsouranis. Gerade in den düsteren Zeiten der bedingungslosen Verteidigung war der Akteur von Panathinaikos Athen einer der wenigen Griechen, die den seltenen Weg nach vorne mit Highlights versahen und dabei auch noch Torgefahr ausstrahlten. In der Abwehr hat der ehemalige Frankfurter und jetzige Liverpooler Sotirios Kyrgiakos den Posten als zentraler Wachturm und Kopfballungeheuer vom immer noch aktiven, aber nicht mehr nominierten Traianos Dellas übernommen.

Fazit:
Die Griechen gehen gegen kein einziges Team als eindeutiger Favorit in die Partie, auf der anderen Seite können die Hellenen auch mit ihren einfachen Mitteln fast jeden Gegner schlagen. Am Ende reicht das aber nicht, das Achtelfinale wird nur ein Traum bleiben.

Prognose:
Die wahre Stärke der griechischen Nationalelf einzuschätzen ist in etwa so schwer, wie das griechische Finanzloch zu stopfen. Otto Rehhagels Mannschaft lebt von der taktischen Disziplin und einem oder zwei starken Offensivkräften. Zudem werden die Griechen nicht mehr davon profitieren können, unterschätzt zu werden.

(Quelle: Handelsblatt)

Patrick Kleinmann, Handelsblatt

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