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Deutsche Hoffnungsträger: Sami Khedira, Bastian Schweinsteiger und Thomas Müller (v. l.).

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WM-Gruppe D: Deutschland bleibt der Favorit

Der Gruppen-Check, Teil 4: Die deutsche Mannschaft überzeugte in der Vorbereitung trotz zahlreicher Ausfälle und reist daher nach wie vor als Gruppenfavorit nach Südafrika. Leicht wird es für Deutschland in der Vorrunde aber dennoch nicht.

Deutschland: Aus der Not eine Tugend machen

Genau zwanzig Jahre ist es her, dass die deutsche Fußballnationalmannschaft den Weltmeistertitel gewann. Seit dem letzten Triumph bei einer Europameisterschaft sind auch schon 14 Jahre vergangen. Eigentlich zu lange für eine traditionelle Großmacht im Weltfußball. Zu lange für ein Land, das dem eigenen Team zwar stets skeptisch gegenübersteht, aber am Ende doch bei jedem Turnier auf den großen Wurf hofft.

Die deutsche WM-Bilanz liest sich ausgezeichnet. Nur bei zwei Weltmeisterschaften war kein Team vertreten: 1930 verhindert die Weltwirtschaftskrise eine Reise nach Uruguay, 1950 wird der nach dem Krieg wieder gegründete DFB erst nach dem Turnier in die Fifa aufgenommen. Lediglich 1978 misslingt der Einzug in die K.o.-Runde (die Finalteilnehmer wurden in einer Zwischenrunde in Gruppen ausgespielt). Elf Mal erreicht das DFB-Team mindestens das Halbfinale, sieben Mal das Endspiel, drei Mal holt Deutschland den Titel.

Dabei drohte der Nationalmannschaft Ende der 90er zumindest bei der WM sogar der Absturz in die internationale Bedeutungslosigkeit. 1994 und 98 ist jeweils im Viertelfinale Schluss. Immerhin: 1996 wird die Mannschaft Europameister, scheitert vier Jahre später dann aber in der Vorrunde. Eine dauerhaft schlagkräftige Mannschaft können weder Berti Vogts noch Erich Ribbeck aufbauen, es hakt im System, es mangelt an herausragenden Individualisten. Hatte 1990 Franz Beckenbauer noch erklärt, die Deutschen seien auf "Jahre hinaus unschlagbar", holt die Realität den DFB schnell ein.

Um so erstaunlicher, dass Teamchef Rudi Völler die Nationalmannschaft quasi aus dem Nichts – allerdings durch eine glückliche Auslosung begünstigt – ins Finale der WM 2002 führt. Doch danach setzt sich das Trauerspiel fort: Vorrundenaus bei der EM 2004, Jürgen Klinsmann übernimmt von Völler und schreibt das "Sommermärchen". Mit einer deutlich verjüngten Mannschaft geht Klinsmann in das Turnier 2006 im eigenen Land und wird umjubelter Dritter und kann dabei Größen wie Argentinien und Portugal bezwingen. Co-Trainer damals: Joachim Löw.

Der schwingt seither das Zepter an der Seitenlinie und weckt Begehrlichkeiten bei den deutschen Fans. Dem Finale der EM 2008 soll nun mindestens das Halbfinale in Südafrika folgen. Doch eigentlich reist das Team ans Kap, um Weltmeister zu werden. In der Qualifikation ging zwar nicht alles glatt, aber in Russland wurde ein starker Gruppengegner letztlich souverän auf den zweiten Rang verwiesen.

Die wirklichen Probleme beginnen mit der Vorbereitung: Schon im Vorfeld muss Simon Rolfes für das Turnier absagen, dann René Adler, kurz nachdem er zur Nummer eins gemacht wurde. Es folgt der große Schock: Kapitän Michael Ballack fällt aus. Die verletzungsbedingten Absagen von Christian Träsch und Heiko Westermann verblassen angesichts dieser Nachricht. Doch gerade das letzte Testspiel gegen Bosnien-Herzegowina macht Mut. Das jüngste deutsche WM-Team seit 70 Jahren lässt die Ausfälle vergessen und zeigt bärenstarke Ansätze.

Die Mannschaft ist unberechenbar, das Spiel sichtbar breiter und auch wenn ein Spieler wie Ballack nicht zu ersetzen ist, haben Löw und das Team aus der Not eine Tugend gemacht. Zudem darf eines nicht vergessen werden, auch wenn es wie eine abgedroschene Phrase erscheint: Deutschland ist eine Turniermannschaft.

In Spielern wie Bastian Schweinsteiger oder Mesut Özil stehen international begehrte Akteure im Aufgebot, der Kader lebt von ansehnlicher individueller Klasse, ansteigenden Formkurven (z. B. Cacau, Podolski) und einer beachtlichen qualitativen Breite. Auch die Abstimmung schien in der Vorbereitung zuletzt zu stimmen. Bei weiteren Ausfällen würde die Situation allerdings zunehmend kritisch, zudem bleibt die Frage, ob Löw an Miroslav Klose als Stürmer Nummer eins festhält und – falls ja – ob dieser Leistung bringt. Zusätzliche Hoffnung sollte der Erfolg bei der EM 1996 machen, als das deutsche Team von zahlreichen Verletzungen so gezeichnet war, dass zwischenzeitlich sogar über einen Einsatz von Torhüter Oliver Reck als Feldspieler nachgedacht wurde.

Fazit: Die Vorrundengruppe ist mit Australien, Serbien und Ghana höchstens auf den ersten Blick einfach zu spielen. Keines der Teams sollte im Regelfall auf Augenhöhe mit den Deutschen spielen können, sie sind aber allesamt auch keine dankbaren Gegner. Kommt die DFB-Elf halbwegs in Schwung, reicht es trotzdem zum Gruppensieg. Es werden jedoch Spiele mit Haken und Ösen.

Prognose: Die Vorrunde muss als Gruppenerster überstanden werden, jeder andere Anspruch wäre fehl am Platze. Die Leistungsfähigkeit kann das Team bis ins Halbfinale tragen, für den Titel fehlt die Routine. Zum Lackmustest würde eine mögliche Begegnung mit England im Achtelfinale.

Kevin-Prince Boateng durchlief zahlreiche deutsche Jugendnationalmannschaften, spielt bei der WM aber für Ghana - gegen Deutschland.
Kevin-Prince Boateng durchlief zahlreiche deutsche Jugendnationalmannschaften, spielt bei der WM aber für Ghana - gegen Deutschland.

© dpa

Ghana: Ohne Essien läuft es nicht

Der viermalige Afrikameister Ghana wurde in der Vergangenheit immer wieder als das Team der Zukunft bezeichnet – doch immer wieder verebbten die Angriffe auf die internationale Spitze. Bezeichnend dafür ist, dass die Fahrt nach Südafrika für die Westafrikaner nach 2006 erst die zweite WM-Teilnahme überhaupt ist.

Dieses Mal soll alles anders werden. Ghana reist mit ordentlich Rückenwind zum Turnier ans Kap. Zweiter bei der Afrikameisterschaft, als erstes Team aus Afrika für die WM qualifiziert, dazu junge Spieler, die amtierende U20-Weltmeister sind. "Wie die Elfenbeinküste und Ghana gehört auch Kamerun zu den afrikanischen Mannschaften, die Anwärter auf den Titel bei der WM 2010 sind", glaubt Kameruns früherer Nationaltrainer Claude Leroy – die Wertschätzung Ghanas unter den afrikanischen Rivalen ist offensichtlich.

2006 wurde die Vorrunde überstanden, Tschechien und die USA mussten Niederlagen einstecken. Die letzten Testspiele verliefen allerdings eher unerfreulich: Gegen Bosnien verlor Ghana mit 1:2, gegen die Niederlande gar 1:4, nur Fußballzwerg Lettland konnte zuletzt mit 1:0 bezwungen werden.

Wie so viele Teams musste auch Ghana eine personelle Hiobsbotschaft hinnehmen. In Michael Essien fällt der Ausnahmespieler der "Black Stars" nach langem Bangen nun endgültig für das Turnier aus. Wenn fit, ist Essien Dreh- und Angelpunkt des ghanaischen Spiels. Kapitän Steven Appiah vom FC Bologna spielte monatelang nicht für das Nationalteam, Inter-Spieler Sulley Muntari ist nach einer disziplinarischen Auszeit ebenfalls "neu" im Kader, zudem aufgrund einer Oberschenkelverletzung angeschlagen. Brisant ist die Personalie Kevin-Prince Boateng. Erst kurz vor dem Turnier erhielt der Bruder des deutschen Nationalspieler Jerome Boateng die Spielberechtigung und feierte gegen Lettland sein Länderspieldebüt. In Deutschland sorgte Kevin-Prince Boateng mit dem Foul gegen Michael Ballack, das zu dessen WM-Aus führte, für Aufruhr.

Darüber hinaus besteht die Mannschaft aus vielen U20-Weltmeistern. Coach Milovan Rajevac weiß um die Problematik: "Die Realität ist, dass man bei einer Weltmeisterschaft viel Erfahrung braucht. Du brauchst Jungs, die mit dem Druck umgehen können", betont der Serbe. Kopfzerbrechen dürfte ihm auch sein Torhüter Richard Kingson bereiten, der gegen die Niederlande mit slapstick-artigen Fehlern die Diskussionen um seine Person befeuerte.

Fazit: Ghana braucht sich im Prinzip nicht vor den anderen Teams der Gruppe zu verstecken. Die spielerischen Anlagen sind vorhanden. Allerdings wiegt der Ausfall Essiens schwer und ist auch vom Kollektiv nicht zu kompensieren. Zur Unerfahrenheit der jungen Mannschaft gesellt sich die Unzuverlässigkeit des Keepers, die auf internationalem Niveau einem Roulette-Spiel gleicht. So werden die "Black Stars" nicht das Beste aus ihren Möglichkeiten machen können.

Prognose: Ghana wird es der deutschen Mannschaft schwer machen und sich zudem mit den anderen Teams einen harten Kampf um den zweiten Platz liefern. Am Ende wird es jedoch ganz knapp und vielleicht auch unglücklich nicht zum Weiterkommen reichen.

Die Australier - u. a. mit dem Ex-Karlsruher Johsua Kennedy (vorn) fühlen sich in der Rolle des Außenseiters in der Gruppe D sehr wohl.
Die Australier - u. a. mit dem Ex-Karlsruher Johsua Kennedy (vorn) fühlen sich in der Rolle des Außenseiters in der Gruppe D sehr wohl.

© AFP

Australien: Ganz entspannt zum Vorrundenaus

Australiens niederländischer Coach Pim Verbeek kündigte jüngst noch selbstbewusst an, der deutschen Mannschaft im Auftaktmatch aus persönlicher Abneigung heraus einen Dämpfer verpassen zu wollen. Dass Australien in einer Gruppe mit Deutschland, Ghana und Serbien nur Außenseiter ist, scheint ihn nicht zu stören.

Zum dritten Mal nach 1974 und 2006 sind die "Socceroos" bei einer WM-Endrunde dabei, erstmals zweimal nacheinander. "Es ist eine respektable Sache, wenn du bei zwei aufeinander folgenden Weltmeisterschaften dabei bist. Nur die großen Teams schaffen es alle vier Jahre", erklärte Australiens amtierende Fußball-Ikone Harry Kewell.

Die Australier spazierten entspannt durch die Qualifikation, behalfen sich dabei allerdings eines Tricks: Sie traten in der Asien-Gruppe an, konnten sich dort als Erster direkt für das Turnier qualifizieren. Die "Aussies" nehmen die Außenseiterrolle, trotz gelegentlicher kerniger Aussagen, voll an. "Das uns keiner wahrnimmt ist gut, das ist kein Problem", so die Einschätzung des routinierten Keepers Mark Schwarzer.

Die Generalprobe ist allerdings nicht geglückt. Konnte Dänemark noch mit 1:0 bezwungen werden, endete das Duell mit den USA 1:3. Die Australier sind international selten gegen Weltklassegegner gefordert, erzielten in der Vergangenheit aber immer wieder Achtungserfolge. Bei der WM 2006 ging es bis ins Achtelfinale, wo der spätere Weltmeister Italien wankte, aber nicht fiel.

Der Kader der "Socceroos" bietet auch Kennern nur wenig Grund zum Zungeschnalzen. Stars des Teams sind Harry Kewell von Galatasaray Istanbul und Tim Cahill vom Everton FC. Beiden blieb auf Vereinsebene aber der große Durchbruch versagt und im Alter von 30 Jahren wird der auch nicht mehr kommen. Kewell ist zudem gerade erst wieder fit geworden, es mangelt an Spielpraxis. Großer Rückhalt ist Torwart Mark Schwarzer vom FC Fulham, mit 37 Jahren einer der ältesten Akteure des Turniers. Aus der Bundesliga ist noch der mittlerweile in Japan spielende Stürmer Joshua Kennedy bekannt, der einst in Diensten des Karlsruher SC erst am 34. Spieltag sein erstes Saisontor bejubeln durfte. Der Rest des Teams setzt sich aus mehr oder minder erfolgreichen Legionären zusammen, überwiegend Routiniers, punktuell mit einigen jungen Hoffnungsträgern ergänzt.

Fazit: Australien ist Außenseiter und möchte Außenseiter sein. Der Achtelfinaleinzug von 2006 ist aber eher den Wunderkräften Guus Hiddinks zu verdanken, als der Mannschaft selbst. Dem Team fehlen die etablierten Stars wie die jungen Aufsteiger. Es bleibt ein Kollektiv, das auf Fehler der Gegner lauern muss, um positiv überraschen zu können. Sie sind nicht leicht zu spielen, aber mehr ein Stolpersteinchen denn ein wirkliches Hindernis

Prognose: Australien wird sich schwer tun, einen Sieg einzufahren. Ein Punkt erscheint aber realistisch, was dennoch das sichere Vorrundenaus bedeutet.

Früher jubelte er für Hertha, jetzt will er mit Serbien die deutsche Mannschaft ärgern: Stürmer Marko Pantelic.
Früher jubelte er für Hertha, jetzt will er mit Serbien die deutsche Mannschaft ärgern: Stürmer Marko Pantelic.

© AFP

Serbien: Angriff der Bal(l)kan-Künstler

Die Zeit, in der Kroatien die dominierende Mannschaft der einstigen jugoslawischen Teilrepubliken war, scheint endgültig vorbei. Stattdessen spielten sich Slowenien und Serbien ins Teilnehmerfeld der WM 2010. Und die Serben scheinen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort gelandet zu sein.

Die Serben sind erstmals als eigenständige Nation bei einer Weltmeisterschaft. 2006 traten sie noch im Verbund mit Montenegro an. So gesehen ist es eine Premiere – und die Vorzeichen sind durchaus viel versprechend. Die Qualifikation gelang als Gruppenerster, wenn auch knapp. Doch wer Vize-Weltmeister Frankreich hinter sich lässt und an den Rand des Scheiterns bringt, zudem Rumänien mit 5:0 nach Hause schickt, der muss auf internationaler Bühne – einschlägig erfahren oder nicht – ernst genommen werden.

Das Team sieht sich offenbar bereit für die Reifeprüfung, will auch die Deutschen zumindest ärgern: "Deutschland hat einen großen Namen und ist sicherlich der Favorit in unserer Gruppe. Aber auch sie sind schlagbar", sagt Zdravko Kuzmanovic vom Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart. Für sportlichen Ehrgeiz wird auch das klägliche Abschneiden Serbien-Montenegros bei der WM 2006 sorgen. Dort wurde man mit drei Niederlagen, darunter ein 0:6 gegen Argentinien, nach Hause geschickt. In der Vorbereitung wurden immerhin Japan, Algerien und Kamerun bezwungen. Allerdings setzte es auch eine schmerzhafte Niederlage gegen Neuseeland.

Auf der Trainerbank nimmt der erfahrene Radomir Antic Platz. Antic kann bei der Kaderplanung auf eine Phalanx aus Stars setzen, die ihr Geld in mehreren europäischen Top-Ligen verdienen. Auch die Mischung aus Jung und Alt scheint zu stimmen. Im Fokus stehen sicherlich Abwehr-Ass Nemanja Vidic von Manchester United, Routinier Dejan Stankovic von Champions-League-Sieger Inter Mailand, Milan Jovanovic von Standard Lüttich und Branislav Ivanovic vom FC Chelsea. In die Reihe gehören zudem die in Deutschland bekannten Namen Marko Pantelic (jetzt Ajax Amsterdam) und Neven Subotic von Borussia Dortmund. Zoran Tosic, vergangene Saison beim 1. FC Köln tätig, hat die Anlagen, einer der Nachwuchsstars des Turniers zu werden.

Fazit: Der Kader ist nominell nach dem der Deutschen der stärkste der Gruppe. In der Qualifikation funktionierte die Mannschaft gut zusammen, Antic machte aus Einzelkönnern eine schlagkräftige Truppe. Schlüsselspiel für Serbien ist direkt der Auftakt gegen Ghana – gewinnen sie dort, sollte das Achtelfinale in trockenen Tüchern sein.

Prognose: Serbien entscheidet den Kampf um Platz zwei für sich und wird sicher auch das deutsche Team kitzeln. Als Gruppenzweiter würde in der Runde der letzten 16 voraussichtlich England warten.

(Quelle: Handelsblatt)

Alexander Möthe, Handelsblatt

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